• 06.07.2023, 22:00:02
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"TIROLER TAGESZEITUNG" Leitartikel, Ausgabe vom Freitag, 7. Juli 2023, von Wolfgang Sablatnig: "Ein unsicherer Kantonist"

Innsbruck (OTS) - 

Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) will heute den Beitritt zur „Sky Shield“-Raketenabwehr besiegeln. Wieder stellt sich die Frage der Neutralität. Diese ist Mittel zum Zweck. Nicht weniger – aber auch nicht mehr.



Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) marschiert im Gleichschritt mit ihrer Schweizer Kollegin Viola Amherd. Die zwei neutralen Staaten wollen heute der „European Sky Shield Initiative“ beitreten. Österreich und die Schweiz sind die Mitglieder Nummer 18 und 19. Die anderen 17 sind Mitglied der NATO – mit Ausnahme Schwedens, das aber ebenfalls in das Bündnis drängt. Die Diskussion über die Vereinbarkeit mit der Neutralität hat in Österreich und der Schweiz begonnen.
   Die Regierungen behelfen sich bei „Sky Shield“ mit einem Neutralitätsvorbehalt. Der Innsbrucker Völkerrechtler Walter Obwexer steckt die Grenzen ab: Ausnahmen von der Neutralität gibt es nur im Rahmen der EU – das ist bei „Sky Shield“ nicht der Fall. Sonst darf Österreich keine Beistandspflicht eingehen. Es darf Waffen, die hier stationiert sind, nicht einem NATO-Kommando unterstellen.
   Und: Österreich muss im Kriegsfall seine Teilnahme am „Sky Shield“ aussetzen, wenn nur andere betroffen sind. Wenn es ernst wird, muss es sich verabschieden. Öster­reich ist damit ein unsicherer Kantonist mit beschränkter Zuverlässigkeit.
   Warum also die Neutralität? Bringt sie Vorteile? Oder steht sie der Sicherheitspolitik nur im Weg? Erst beim EU-Gipfel im Juni musste Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) erklären, warum Österreich ein Problem mit einer Sicherheitsgarantie für die Ukraine hat. Man sei nur militärisch neutral, heißt es oft, nicht aber moralisch und politisch: Ganz so einfach ist das offenbar nicht.
Warum also sind wir neutral? Eine Antwort: Die Neutralität bietet Schutz und leistet gute Dienste. Wer so argumentiert, macht es sich zu leicht. Die Neutralität funktionierte im Kalten Krieg, in dem sich zwei Machtblöcke gegenüberstanden – und das neutrale Land in den Alpen es sich dazwischen gut einrichtete.
   Eine andere Antwort: Sie hat Tradition, die Menschen verlassen sich auf sie. Das mag sein. Aber die Welt ist eine andere geworden. Nicht umsonst vernetzt sich die rot-weiß-rote Sicherheitspolitik laufend mit anderen Staaten. Nicht wegen, sondern trotz der Neutralität.
   Eine Antwort gibt auch das Neutralitätsgesetz aus 1955: Österreich erklärte damals seine Neutralität „zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes“.
   So gesehen ist die Neutralität Mittel zum Zweck – der Sicherheit des Landes nämlich. Zu oft wird sie aber als Tabu betrachtet, dem sich alles unterzuordnen hat. Solange sich das nicht ändert, wird sich die Debatte immer im Kreis drehen. Mit oder ohne Schweiz.

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