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TIROLER TAGESZEITUNG "Leitartikel" Ausgabe vom Samstag, 1. Juli 2023, von Christain Jentsch: "Ein Sturm zieht auf über Europa"

Innsbruck (OTS) - 

Europa will sich angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine, angesichts der drohenden Konfrontation zwischen den USA und China und angesichts der Klimakrise rüsten. Und scheitert immer wieder an sich selbst.



Trotz sommerlicher Temperaturen ist die Stimmung im politischen Brüssel unterkühlt. Und nicht nur im Zentrum der EU hat sich der Optimismus  verflüchtigt. In Europa geht vielerorts die Angst vor einer neuen Welt um, in der es ziemlich stürmisch werden könnte. Mit der russischen Invasion in der Ukraine ist der Kalte Krieg zurückgekehrt. Die Säulen der nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion etablierten Ordnung sind ins Wanken geraten. Konfrontation, Abschottung und Eindämmung statt Annäherung lauten die neuen Parolen.
   Der Krieg ist zurück in Europa und mit ihm die Unsicherheit, das Misstrauen, die Angst, die Konfrontation, die Aufrüstung, das riskante Spiel mit der Eskalation. Kremlchef Putin hinterlässt nicht nur in der Ukraine verbrannte Erde, er hat auch tiefe Gräben zu Europa ausgehoben und sein eigenes Land an den Rand des Abgrunds geführt. Und die meisten Beobachter in Brüssel gehen davon aus, dass der Spuk kein rasches Ende finden wird. Russlands Überfall ist eine tiefe Zäsur für ein Europa, das die Zeit der Kriege längst überwunden zu haben glaubte. 
   Nicht nur Russlands Aggression lässt Europa erzittern. Nach der überstandenen Corona-Krise sorgen die Hiobsbotschaften der sich zuspitzenden Klimakrise und die ungelösten Probleme der Migrations­bewegungen für große Verunsicherung. Populisten sehen nun ihre Stunde gekommen. Doch die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen.
   Geopolitisch hat nicht nur Putins Krieg Europa und die Welt verändert. Der sich immer weiter aufschaukelnde Konflikt zwischen der etablierten Weltmacht USA und der aufstrebenden Weltmacht China, die sich nicht mehr mit der zweiten Reihe begnügen will, stellt eine immense Gefahr dar. Eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen den Giganten würde in einer globalen Katastrophe münden. Noch geht Europa in Deckung, doch die Warnungen vor dem strategischen Rivalen China werden trotz aller wirtschaftlichen Verflechtungen immer lauter.
   Eines wurde jedenfalls klar: Die Globalisierung als Einbahnstraße in Richtung Verwestlichung zu begreifen, hat sich als Illusion erwiesen. Das Fundament der alten Weltordnung hat Risse bekommen und eine neue ist noch nicht absehbar. Und der Übergang droht alles andere als friedlich zu verlaufen.
   Angesichts der vielen Gefahren und Krisen wurde in der EU zuletzt stets die neue Einigkeit beschworen. Doch abgesehen von der Unterstützung der Ukraine sind der Solidarität in der EU augenscheinlich enge Grenzen gesteckt. So ist auch der gestern zu Ende gegangene EU-Gipfel am Streit um eine gemeinsame Asylpolitik gescheitert. Aufbruchsstimmung ist da wohl das falsche Wort.

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