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TIROLER TAGESZEITUNG; Leitartikel: "Die Toten dulden keinen Aufschub", von Wolfgang Sablatnig

Ausgabe vom Samstag, 17. Juni 2023

Innsbruck (OTS) - 

500 Menschen ertranken diese Woche beim Untergang nur eines Flüchtlingsbootes nahe der griechischen Küste. Und Europa diskutiert über Registrierungszentren und haftähnliche Lager. Die wahren Probleme bleiben bestehen.

   Das Bild, das die griechische Küstenwache veröffentlicht hat, ist unscharf und verschwommen. Dennoch macht es das Grauen im Mittelmeer deutlich klarer, als es Zahlen vermögen. Man sieht, wie sich die Menschen an Bord eines überfüllten Fischerbootes drängen. Wenig später sank das Schiff – und mit ihm 500 Menschen oder noch mehr. 104 Schiffbrüchige konnten gerettet werden.
Nur wenige Tage vor dem Unglück hatten die EU-Innenminister Grundzüge für ein gemeinsames Asylsystem vorgelegt. Migranten sollen schon in Lagern mit haftähnlichen Bedingungen an den EU-Außengrenzen einer ersten Schnellprüfung unterzogen werden. Sind sie schutzbedürftig, können sie bleiben. Sind sie es nicht, müssen sie von diesen Lagern aus die Reise zurück antreten.
   Zwar ist es noch weit bis zu einem gültigen Beschluss neuer Asylregeln. Viele Fragen sind offen. Dennoch war es die erste Annäherung seit Jahren.
Und plötzlich die Berichte aus Griechenland: „Mindestens 32 Tote“, hieß es zuerst. Schlimm, aber fast schon gewohnt. Später wurden es 59. Da horchen selbst abgebrühte Menschen auf. Dazwischen die Meldung, dass weltweit so viele Menschen wie nie auf der Flucht sind. Achselzucken. Dann wieder Griechenland: „Mindestens 79 Tote“ – und keine Hoffnung mehr für Hunderte weitere. 
   Die Innenminister begründen die Verschärfung der Asylregeln damit, dass sie den Schleppern das Geschäft abdrehen wollen. Dann würden auch weniger Schiffe mit Migranten ablegen.
   Kann dieser Plan funktionieren? Es ist zumindest nicht ausgeschlossen. Ist die „Fes­tung Europa“ die Lösung? Eher nein. Auch noch so hohe Mauern und Zäune können nicht verhindern, dass sich Menschen auf den Weg machen, wenn ihnen in der Heimat die Perspektiven fehlen. 
Sichere Fluchtrouten, wie sie die UNO fordert? Schwierig: Wer darf auf diese Routen? Und unter welchen Bedingungen? Und werden nicht viele erst recht wieder versuchen, an Beschränkungen vorbeizukommen? Geregelte Arbeitsmigration als Ventil? Eine Lösung für wenige – und keine Lösung für viele.
   Was dann? Das eine Wunderrezept gibt es nicht. Es sind viele Schritte, die nötig sind – in Europa, aber auch mit den Ländern, aus denen die Migranten kommen und durch die sie durchziehen. Das ist mühsam und langwierig, manches geschieht bereits, oft zu wenig.
Fest steht, dass keine Zeit bleibt. Denn weiterhin stechen täglich Menschen auf überfüllten und untauglichen Booten in See. Und viele kommen um.

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