• 05.06.2023, 21:42:33
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StPO-Reform: Konsens und Dissens bei Podiumsdiskussion im Parlament

Edtstadler pocht auf Stärkung der Beschuldigtenrechte und monokratische Spitze der Bundesstaatsanwaltschaft

Wien (PK) - 

Mit einer Podiumsdiskussion ging heute das Symposion im Parlament zu "Aktuellen Fragen einer StPO-Reform" zu Ende. Vertreter:innen aller fünf Parlamentsfraktionen nahmen zu den zuvor von Expert:innen aufgeworfenen Problembereichen Stellung, wobei der Fokus der Wortmeldungen zum Teil recht unterschiedlich war. Während etwa ÖVP-Justizsprecherin Michaela Steinacker massiv auf eine Ausweitung der Beschuldigtenrechte drängte und sich beispielsweise ein Zitierverbot aus nicht öffentlichen Ermittlungsakten nach dem Vorbild Deutschland vorstellen kann, mahnte Agnes Sirkka Prammer (Grüne) eine sorgfältige Abwägung der am Tisch liegenden Reformvorschläge ein. Man dürfe Korruptionsverfahren nicht als Maßstab für etwaige Gesetzesänderungen nehmen, sondern müsse das Gesamtsystem im Auge behalten, betonte sie. Schließlich gehe es bei den meisten Großverfahren, die lange dauerten, um organisierte Kriminalität.

Einig waren sich die Vertreter:innen der Parlamentsparteien darin, dass der Kostenersatz bei Freisprüchen deutlich angehoben gehört. Allerdings zeigte sich NEOS-Abgeordneter Johannes Margreiter skeptisch, dass es hier tatsächlich noch in dieser Legislaturperiode zu einer Lösung kommen wird. Grünen-Justizsprecherin Prammer sieht hier insbesondere Finanzminister Magnus Brunner in der Pflicht, ihrer Meinung nach können die dafür nötigen zusätzlichen Mittel nicht aus dem laufenden Justizbudget finanziert werden.

Namens der FPÖ plädierte Harald Stefan dafür, die seiner Meinung nach notwendige Ausweitung von Beschuldigtenrechten unabhängig von der Einrichtung einer unabhängigen Bundesstaatsanwaltschaft zu diskutieren. Eine Zweidrittelmehrheit für letztere ist derzeit aber ohnehin nicht in Sicht. Abgesehen von den unterschiedlichen Vorstellungen der Regierungsparteien bekräftigte SPÖ-Datenschutzsprecher Christian Drobits die Linie seiner Partei, vorläufig keine Gesetzesvorhaben der Koalition zu unterstützen, zumal nicht einmal noch ein zu diskutierender Gesetzentwurf am Tisch liege.

In mehreren Punkten Reformbedarf sieht Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler: Sie pochte auf eine Ausweitung der Beschuldigtenrechte, Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung und einen angemessenen Kostenersatz bei Freisprüchen und eingestellten Ermittlungsverfahren.

Steinacker für Ausbau von Beschuldigtenrechten

Grundsätzlich sieht ÖVP-Justizsprecherin Michaela Steinacker die Positionen der Parlamentsfraktionen "gar nicht so weit voneinander entfernt". Man müsse die Strafprozessordnung an aktuelle Entwicklungen wie die rasante Digitalisierung anpassen, machte sie geltend. Briefe dürfe man "nicht aufschlitzen", Chats aber schon lesen, sieht sie etwa ein Grundrechtsproblem. Zudem führe die Veröffentlichung von Teilen von Ermittlungsakten regelmäßig zu medialen Vorverurteilungen. Vor allem, was in den sozialen Medien abgehe, sei unerträglich. Auch werde immer wieder "Politik mit Anzeigen gemacht". Als weiteres Problemfeld macht Steinacker "überlange Verfahren" aus.

Die ÖVP-Justizsprecherin will vor diesem Hintergrund unter anderem über Auswertungsbeschränkungen beschlagnahmter Handys, ein Zitierverbot aus Ermittlungsakten bis zur öffentlichen Hauptverhandlung nach dem Vorbild Deutschlands und die Einführung von Sanktionen bei Verstößen gegen bestehende Veröffentlichungsverbote diskutieren. Es gehe hier um eine Präventivwirkung, sagte sie. Auch kann sie sich eine Höchstdauer von Ermittlungsverfahren - bei Wiederaufnahmemöglichkeit im Fall neuer Fakten - vorstellen. Zudem erachtet Steinacker eine "gut organisierte Fachaufsicht im Justizbereich" für wichtig.

Drobits gegen Zitierverbot aus nicht öffentlichen Ermittlungsakten

Ausdrücklich gegen die Einführung eines Zitierverbots aus Ermittlungsakten sprach sich SPÖ-Datenschutzsprecher Christian Drobits aus. Er glaube nicht, dass dem Rechtsstaat durch ein Zitierverbot gedient wäre, zumal Österreich im Pressefreiheits-Ranking ohnehin nicht im Vorderfeld liege, sagte er.

Was die Beschlagnahmung von Handys betrifft, sprach sich Drobits für eine richterliche Bewilligung samt Begründung aus. Der Ausbau von Beschuldigtenrechten dürfe aber nicht dazu führen, dass Korruptionsermittlungen behindert werden können, warnte er. Auch machte er sich neuerlich dafür stark, das Archivierungsgebot auf neue technische Kommunikationsmittel auszuweiten. Neu geregelt werden muss Drobits zufolge auch der Kostenersatz bei Verfahrenseinstellungen und Freisprüchen: Wenn der Staat bei der Verfolgung falsch liege, müsste Kostenersatz geleistet werden.

Stefan für Verwertungsverbot von Zufallsfunden

FPÖ-Justizsprecher Harald Stefan wies darauf hin, dass bei Strafverfahren mehr als die Hälfte der Beschuldigten nicht schuldig gesprochen werde. Die Verfahren würden nicht nur eine hohe psychische Belastung und hohe Kosten verursachen, häufig komme es auch zu einer Vorverurteilung und einer Offenlegung des Privatlebens. Man werde "an den Pranger gestellt".

Um die Rechte von Beschuldigten zu stärken, sprach sich Stefan insbesondere für Einschränkungen bei der Beschlagnahme und Auswertung von Datenträgern wie Handys aus. Es müsse geklärt werden, unter welchen Voraussetzungen man jemandem ein Handy abnehmen dürfe. Zudem brauche es Fristen: Ermittelnde Behörden dürften nur eine bestimmte Zeit haben, einen Datenträger auszulesen. Zudem müssten Inhaber:innen darüber informiert werden, was ausgelesen wurde. Auch ein Verwertungsverbot für Zufallsfunde, die Löschung von nicht verwendeten Daten und die Übermittlung eines Löschungsprotokolls an den Beschuldigten sind Stefan ein Anliegen.

In der Frage des Kostenersatzes sprach sich Stefan dagegen aus, nach der Art des Freispruchs zu differenzieren. Was die Höhe betrifft, könnte man ihm zufolge die Regelungen in anderen Staaten zum Vorbild nehmen.

Prammer: Man muss Gesamtsystem im Auge haben

Für ein sorgfältiges Abwägen der Reformvorschläge trat Grünen-Justizsprecherin Agnes Sirkka Prammer ein. Man dürfe das Prozessrecht nicht an Ausreißerverfahren wie aktuellen "Korruptionsaufregern" ausrichten, sondern müsse das Gesamtsystem im Auge haben, mahnte sie. Schließlich würden 99 % der Verfahren in sechs Monaten rechtskräftig entschieden. Lange dauerten vor allem Verfahren gegen organisierte Kriminalität. Hier dürfe sich die Politik auf keinen Fall "in ein zu enges Korsett zwingen lassen". Änderungen könnten Folgen auslösen, mit denen man nicht gerechnet habe.

"Natürlich" sei es wichtig, Persönlichkeitsrechte zu schützen, meinte Prammer. Sie bezweifelte aber, dass diejenigen, die ein Zitierverbot aus Ermittlungsakten fordern, die Rechtslage in Deutschland bzw. die zugehörige Judikatur kennen. Auch dort gebe es eine Interessenabwägung, betonte sie. Ihrer Meinung nach wäre es zweckmäßiger, bei der Höhe des Schadenersatzes anzusetzen. Vorverurteilung sei zudem mehr ein gesellschaftliches und weniger ein strafrechtliches Problem und könne auch durch eine Änderung der StPO nicht verhindert werden, meinte Prammer.

Was digitale Zufallsfunde betrifft, sollten Prammer zufolge die gleichen Bestimmungen wie für "analoge" Zufallsfunde gelten. Gleiches gelte für die Information der Beschuldigten über beschlagnahmtes Datenmaterial. Was jedenfalls nicht passieren dürfe, sei, dass Terrorist:innen Bombenbauanleitungen oder Beschuldigte von Sexualdelikten kinderpornografisches Material in Kopie zurückbekämen.

Klar ist für Prammer, dass Verteidigungskosten bei Freisprüchen in deutlich größerem Umfang ersetzt werden sollen als das jetzt der Fall ist. Eine Erhöhung könne aber nicht aus dem laufenden Justizbudget geleistet werden, betonte sie. Zudem sei Freispruch nicht gleich Freispruch, manchmal komme es nur deshalb zu keiner Verurteilung, weil die Schuld nicht nachgewiesen werden könne. Prammer ist durchaus zuversichtlich, hier noch in dieser Legislaturperiode zu einer Lösung zu kommen, allerdings nur, wenn Finanzminister Magnus Brunner dafür Geld zur Verfügung stellt.

Margreiter fordert höheren Kostenersatz für Verteidiger:innen

Bei ihm renne man offene Türen ein, wenn es darum gehe, Beschuldigtenrechte zu stärken, sagte NEOS-Justizsprecher Johannes Margreiter. Zwar seien die Beschuldigtenrechte in kaum einem anderen europäischen Land so stark ausgebaut wie in Österreich, berief er sich auf Aussagen einer Expertin, man könne sich schließlich fast gegen jeden Ermittlungsschritt zur Wehr setzen. Dennoch sieht er "das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht". Vor allem bei der Beschlagnahme von Handys ortet er legistischen Änderungsbedarf. Allerdings sieht er die aktuelle Diskussion zu stark auf in der Öffentlichkeit stehende Personen fokussiert, auch islamistische Terrorist:innen seien Beschuldigte. Wenig hält Margreiter von einem Zitierverbot aus nicht öffentlichen Ermittlungsakten: Er verstehe nicht, warum man Medien in ihrer Arbeit beschränken solle.

Beim Kostenersatz für Verteidiger:innen müsse man über die jetzigen "lächerlichen Pauschalbeträge" hinausgehen, forderte Margreiter. Es sei "eines Rechtsstaates unwürdig", wenn Freigesprochene auf diesen Kosten sitzen bleiben, meinte er. Den Aufwand dafür schätzt er auf rund 115 Mio. €, technisch müsste das ihm zufolge leicht umsetzbar sein.

Unterschiedliche Positionen zur Bundesstaatsanwaltschaft

Was die Einführung einer unabhängigen Bundesstaatsanwaltschaft betrifft, wertete ÖVP-Justizsprecherin Steinacker eine monokratische Spitze als "enorm wichtig". Es brauche eine Verantwortung der Generalstaatsanwaltschafts-Spitze gegenüber dem Parlament, bekräftigte sie. SPÖ-Abgeordneter Drobits hält es vor allem für wesentlich, dass das Interpellationsrecht der Abgeordneten und die parlamentarische Kontrolle erhalten bleiben. Da noch kein konkreter Gesetzentwurf vorliegt, könne er schwer sagen, ob die SPÖ diesem zustimmen würde, sagte er auf eine Frage aus dem Publikum. Zudem verwies er auf die aktuelle Linie der SPÖ, so lange keinen Gesetzesvorschlägen der Regierungsparteien zuzustimmen, so lange keine adäquaten Maßnahmen gegen die Teuerung gesetzt würden.

Dass die FPÖ zur Sicherung der Zweidrittelmehrheit in die Bresche springen würde, ist unwahrscheinlich: Laut Stefan lehnt die FPÖ einen Generalstaatsanwalt nach wie vor ab.

Edtstadler: StPO bildet heutige Realität nicht mehr ab

Vor der Podiumsdiskussion hatte Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler für eine Reform der Strafprozessordnung geworben. Es sei höchste Zeit, dieses demokratie- und gesellschaftspolitisch wichtige Thema zu diskutieren, schließlich gehe es um das Vertrauen in die Justiz und den Rechtsstaat, sagte sie.

Die heutige Realität werde in der StPO nicht mehr abgebildet, erklärte Edtstadler. Sie trete daher seit vielen Jahren dafür ein, diese "auf die Höhe der Zeit zu bringen". Ihr zufolge gilt es, bei drei Punkten anzusetzen: dem Ausbau der Beschuldigtenrechte, der Verkürzung der Verfahrensdauer und der Gewährung eines angemessenen Kostenersatzes.

In einer Zeit, wo auf dem Handy fast das ganze Leben abgebildet sei, müsse man den Rechtsschutz "nach oben schrauben", mahnte Edtstadler. Sie könne etwa dem Vorschlag einer richterlichen Bewilligung einer staatsanwaltschaftlichen Anordnung zur Handy-Beschlagnahme viel abgewinnen. Zudem müssten Beschuldigte wissen, welche Daten beschlagnahmt wurden, schließlich wisse man nicht mehr, welche Mails man vor Jahren geschrieben habe. Ein Zitierverbot aus nicht öffentlichen Ermittlungsakten nach deutschem Vorbild wäre ihrer Auffassung nach außerdem hilfreich, "um der Unschuldsvermutung zum Durchbruch zu verhelfen". Es sei ihr klar, dass öffentliches Interesse daran besteht, gegen wen ermittelt werde, sagte Edtstadler, es dürfe aber nicht zu medialen Vorverurteilungen kommen. Persönlichkeitsrechte seien zu schützen.

Als Negativbeispiel für eine lange Verfahrensdauer nannte Edtstadler das Buwog-Verfahren. Hier könnte man ihrer Meinung nach bei der Verjährungshemmung ansetzen. Auch eine Höchstdauer von Ermittlungsverfahren und eine bessere Zusammenarbeit mit der europäischen Staatsanwaltschaft sieht sie als Lösung. Auf einen angemessenen Kostenersatz habe man sich eigentlich schon im Regierungsprogramm geeinigt gehabt, so Edtstadler.

In Bezug auf die unabhängige Bundesstaatsanwaltschaft pocht Edtstadler weiterhin auf eine Einzelspitze, die dem Parlament verantwortlich ist. Sowohl bei der Bestellung als auch bei der Kontrolle müsse das Parlament einen wesentlichen Einfluss haben. "Lassen wir uns nicht einreden, dass die Einbindung des Parlaments Parteipolitik wäre", bekräftigte sie.

Im Zuge einer Generaldiskussion wurde aus dem Publikum unter anderem der Wunsch geäußert, dass sich die Politik auf Punkte konzentrieren sollte, die realistischer Weise rasch umgesetzt werden können, anstatt auf den "großen Wurf" zu warten. Als ein konkreter Punkt wurde etwa die Frage des Kostenersatzes genannt. Weiters wurde davor gewarnt, "das Kind mit dem Bade auszuschütten". Was für ein Großverfahren gut sei, sei vielleicht im Allgemeinen nicht gut, so ein Einwand. Vorgeschlagen wurde außerdem, beim Rechtsschutz schon ganz am Beginn anzusetzen, etwa bei der Prüfung, ob ein Anfangsverdacht besteht oder nicht.

Zum Symposion eingeladen hatten Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und Strafrechtsexperte Peter Lewisch. Lewisch zufolge war auch die zuständige Justizministerin Alma Zadić eingeladen, habe sich aus Termingründen aber entschuldigen müssen. (Schluss Symposion) gs

HINWEIS: Fotos vom Symposion finden Sie im Webportal des Parlaments.


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