• 21.04.2023, 10:35:37
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Digitalisierung in der Gesundheitspolitik: Wo stehen wir und wo wollen wir hin?

Expert:innen warnen bei Diskussionsrunde der Universität Wien vor Stillstand

Großes Interesse: über 100 Teilnehmer im
Dachgeschoss des Juridcum in Wien
Wien (OTS) - 

Während der Corona-Pandemie wurden viele Chancen für eine umfassende Digitalisierung des heimischen Gesundheitssystems verspielt. Bund, Länder und Sozialversicherung erarbeiten derzeit eine Digitalisierungsstrategie. Ob sich der gravierende Rückstand Österreichs auf diesem Gebiet dadurch aufholen lässt, wird sich zeigen.

Die aktuelle Relevanz von Digitalisierung im Gesundheitssystem ist auf die multiplen Krisen im System, die auch als Folgen der Corona-Pandemie entstanden sind, zurückzuführen. Obwohl Österreich mit eCard und ELGA bereits früh erste Schritte in Richtung eines digitalen Gesundheitssystems umsetzen konnte, habe die Innovationskraft in den letzten Jahren entscheidend nachgelassen. Diese nüchterne Beobachtung artikulierte eingangs der Diskussion Siegfried Meryn, Professor für innere Medizin und ORF-Gesundheitsexperte: „Österreich hat mit der ELGA und der E-Health-Struktur stark begonnen, aber mittlerweile noch stärker nachgelassen.“ Zur aktuellen Lage äußerte er sich kritisch: „Wir sollten aufhören, uns gegenseitig auf die Schulter zu klopfen. Ich habe das Gefühl, der Zug hat den Bahnhof verlassen und wir stehen am Bahnsteig.“ 

Digitalisierungsstrategie wird erarbeitet

Meinhild Hausreither, Sektionschefin im Gesundheitsministerium, ließ in diesem Zusammenhang mit einer überraschenden Ankündigung aufhorchen: „Bund, Länder und Sozialversicherung entwickeln derzeit im Auftrag der Bundes-Zielsteuerungskommission Gesundheit eine Digitalisierungsstrategie für das österreichische Gesundheitswesen. Die dafür notwendigen Vorbereitungs- und Begleitarbeiten werden auf den Weg gebracht. Wir sind am fahrenden Zug.“ Weiters stellte sie klar, dass Datenschutz und Datensicherheit auch in Zukunft „ganz klar an erster Stelle“ stehen müssen. Von den Stakeholdern und Institutionen im Gesundheitssystem verlangte sie: „Nicht schönreden, nicht krankjammern, sondern arbeiten.“ Dass alle großen Player im Gesundheitssystem aktuell gemeinsam an einer Digitalisierungsstrategie arbeiten, stieß am Podium ebenso wie im Publikum auf große Neugierde. 

Datenschutz als Hemmschuh?

Doch woran scheitern weitere mutige und innovative Schritte hin zu einem digitalisierten Gesundheitssystem? Manche Expert:innen am Podium waren der Überzeugung, dass es nicht der oft kritisierte Datenschutz sei, der als Hemmschuh wirke. Barbara Prainsack, Professorin für Politikwissenschaften an der Universität Wien, meinte etwa, dass Datenschutz kein Hindernis für Digitalisierung wäre. Ein Statement, das allgemeine Zustimmung fand. „Datenschutzbedenken haben zu einer Aversion gegenüber Digitalisierung während der Covid-Pandemie geführt”, waren sich die Politologin und Johannes Zahrl, Kammeramtsdirektor der Österreichischen Ärztekammer, einig.

Patient:innen wollen rezeptpflichtige Medikamente online kaufen

Die Sichtweise der Patienten:innen brachte Jürgen Holzinger ein. Der Obmann des Vereins „Chronisch Krank“ präsentierte Ergebnisse aus einer Mitglieder-Umfrage: Demnach seien zwar Teilaspekte der Digitalisierung bei den betroffenen Patient:innen angekommen und werden auch angenommen, jedoch bestehe viel ungenütztes Potential, um Menschen mit einer chronischen Erkrankung nachhaltig das Leben zu erleichtern. Ein weiteres Ergebnis der Umfrage ist, dass die Digitalisierung im Medikamentenversand ausgebaut werden sollte, um die Versorgung zu erleichtern. So sprachen sich 62% der Befragten für eine Ermöglichung des Versands von rezeptpflichtigen Medikamenten in Österreich aus. Trotz der generell positiven Einstellung wies Herwig Ostermann, Geschäftsführer der GÖG – Gesundheit Österreich GmbH, darauf hin, dass weiterhin Ängste und Unsicherheiten bei Patient:innen bestünden, die angesprochen und aufgeklärt werden müssten: „Wir möchten chronisch kranken Menschen die Vorteile der Digitalisierung aufzeigen. Es wird jedoch auch staatliche Unterstützung brauchen, um den Menschen die Angst vor der Digitalisierung im Gesundheitsbereich zu nehmen.“

Link zur Studie 

Auch Charlotte Van Velthoven, Direktorin für Public Affairs bei Shop Apotheke Europe, setzte sich für den verstärkten Einsatz von Digitalisierung zum Patientenwohl ein. Seit der Corona-Pandemie bestellen immer mehr Patient:innen ihre Medikamente online und nutzen die verbundenen digitalen Services des Unternehmens, berichtete die Vertreterin der europaweit tätigen Online-Apotheke. Als großes Problem bezeichnete sie die Tatsache, dass Online-Apotheken in Österreich nicht an ELGA und E-Medikation angebunden seien, wodurch Wechselwirkungschecks mit stationär erworbenen Medikamenten nicht durchgeführt werden können. „Die Digitalisierung muss erfolgen – auf richtige Weise und mit politischem Willen.“ 

Endlich digitalisieren, was längst ginge

Dass Veränderung und Innovation nötig sind und Digitalisierung im Gesundheitssystem Einzug finden sollte, unterstützte auch Johannes Zahrl: „Wir brauchen in der Gesellschaft viel Mut, um das, was längst ginge, endlich umzusetzen.“ Vor allem in den Systemen der ELGA sieht er Verbesserungsbedarf. Herwig Ostermann unterstrich zudem, dass die aktuell größte Herausforderung darin bestünde, vorhandene Gesundheitsdaten zu verknüpfen und nutzbar zu machen. Abschließend fasste Barbara Prainsack die Herausforderung wie folgt zusammen: „Die Frage ist nicht Digitalisierung ja oder nein, sondern, wo ist Digitalisierung sinnvoll.“ 

Die Expertendiskussion auf Einladung der Universität Wien fand am 28. März 2023 im Dachgeschoss des Juridicums in Kooperation mit Shop Apotheke Europe statt. Das hohe Interesse am Thema wurde unter anderem durch mehr als 100 Teilnehmer:innen vor Ort und mehr als weitere 50 Live- Onlineteilnehmern:innen verdeutlicht. Unter der Moderation von Gastgeber Univ.-Prof. Dr. Nikolaus Forgó, Institut für Innovation und Digitalisierung im Recht Universität Wien) diskutierten Univ. Prof. Dr. Ruth Ladenstein, MBA, cPM (OKIDS Geschäftsführung, St. Anna Kinderkrebsforschung GmbH), Hofrat Hon.-Prof. Dr. Johannes Zahrl (Kammeramtsdirektor, Österreichische Ärztekammer), DDr. Meinhild Hausreither (Sektionsleitung Humanmedizinrecht und Gesundheitstelematik, BMSGPK), Univ.-Prof. Dr. Barbara Prainsack (Universität Wien, Vorständin Institut für Politikwissenschaften), Univ.-Prof. Dr. Herwig Ostermann (Geschäftsführung, GÖG – Gesundheit Österreich GmbH), Jürgen Holzinger (Chronisch Krank) und Charlotte van Velthoven (Shop Apotheke Europe).

Rückfragen & Kontakt

Dr. Peter Köppl
Mastermind Public Affairs Consulting GmbH
Neubaugasse 1|A | 12 - 15; 1070 Wien
T: +43 (1) 355 20 96-22
peter.koeppl@mastermind.cc

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