560 Menschen wurden die letzten Tage aus Kroatien ins bosnische Camp Lipa gebracht, wo die ÖVP-nahe Organisation ICPMD ein Gefängnis baut. SOS Balkanroute sprach mit Betroffenen.

Ein hoher Zaun, auf jedem Schritt und Tritt Kameras, Fenster mit Gefängnisgittern und fast kein Tageslicht in den Zellen: Wie ein amerikanisches Hochsicherheitsgefängnis sieht das vom ÖVP-nahen Institut ICMPD gebaute Abschiebezentrum im bosnischen Camp Lipa aus. Dort ist die türkisgrüne Bundesregierung und das Land Oberösterreich mit einer Summe von mindestens 1,1 Mio Euro Hauptgeldgeber des, in den Bergen isolierten und polizeilich abgeschotteten, Horrorcamps.
Alle Fotos & Videos zum Download (Quelle: SOS Balkanroute)
Die Hilfeschreie von Lipa: „Polizei verbrannte alles“
Dort, wo Geflüchtete einst Cricket spielten, steht jetzt der Gefängnisbau. Gleichzeitig bringen Polizeibusse dieser Tage immer wieder Geflüchtete, die illegal und gegen die EMRK aus Kroatien ins bosnische Camp gebracht werden. „Wir wollten Asyl in Kroatien beantragen, aber die Polizei verhaftete uns und brachte uns in eine Garage, wo wir 4 Tage festgehalten wurden. Es war sehr kalt, alles, was es gab, waren ein wenig Wasser und Brot“, berichtet A. aus Ghana in einem Video-Interview. Geflüchtete, die Opfer der weiter, fast täglich, stattfindenden Massen-Pushbacks wurden, bezeugen in Videos von SOS Balkanroute schwere systematische Menschenrechtsverletzungen. Ein Geflüchteter aus Afghanistan erzählt in dem Video, dass die kroatische Polizei ihr Geld, deren Handys und Schuhe einsammelte und alles verbrannte. Sie wurden geschlagen und nach einer Woche in das Camp Lipa gebracht. Fast alle Betroffenen berichten, nahezu ausnahmslos, von massiver Gewalt durch die Polizei.
Aussetzung der Dublin-Abschiebungen nach Kroatien gefordert
„Wir konfrontieren seit Jahren Politiker:innen mit Beweisen von schweren Menschenrechtsverletzungen an Geflüchteten im bosnisch-kroatischen Grenzgebiet. Die österreichische Justizministerin Alma Zadić hat von uns persönlich bereits vor drei Jahren tausende, akribisch dokumentierte Beweise für diese systematische Gewalt erhalten. Österreich forciert nun diese Gewalt gegen Geflüchtete nicht nur durch wirtschaftliche und politische Zuwendungen, sondern ist auch noch am Bau eines Gefängnisses für Geflüchtete federführend beteiligt. Lighthouse Reports brachte u.a. in Kooperation mit ORF, Spiegel und kroatischen Zeitungen erneut Beweise für rechtswidrige Massenpushbacks aus dem Landesinneren von Kroatien. Hier werden internationales Recht - ebenso wie Geflüchtete - mit Füßen getreten. Asylansuchen dürfen laut der Genfer Flüchtlingskonvention ohne Fallprüfung und Rechtsverfahren nicht abgewiesen werden, Menschen dürfen nicht in eine Gefahr abgeschoben werden und Folter ist nach Artikel 2 EMRK verboten. Menschenrechtliche Verpflichtungen lassen sich durch kein bilaterales Abkommen und keine Readmission-Vereinbarung außer Kraft setzen. Die koordinierten Massen-Mushbacks aus dem Landesinneren verlangen eine sofortige Aussetzung der Dublin-Abschiebungen nach Kroatien“, fordert Petar Rosandić, Obmann der SOS Balkanroute.
Bosnischer Minister: „Degutanter Bau“
Die neuentstandene Situation, in der der an Kroatien grenzende Una-Sana-Kanton erneut zum Flaschenhals wird, sorgt vor Ort für Unmut. Wie der Bürgermeister von Bihać Elvedin Sedić mehrfach in Medienauftritten betonte, baute ICPMD das Gefängnis ohne Baugenehmigung der Stadt. „Bei den Genehmigungen für das Camp Lipa seitens der Stadt war nie ein Gefängnis geplant“, betont Sedić. Der kantonale Premierminister Mustafa Ružnić fühlt sich ebenso übergangen und fordert ein Ende der illegalen Pushbacks nach Bosnien: „Niemand hat es für wert gehalten, uns als lokale und kantonale Regierungen zu informieren“. „Degutant, ein Gefängnis in einem Flüchtlingscamp zu bauen“, sagt hingegen der bosnische Minister für Menschenrechte Senad Hurtic.
Behörden bestätigen: Spindelegger-Institut verantwortlich
Mittlerweile bestätigen das EU-Office in Bosnien, das bosnische Fremdenamt und der Bürgermeister von Bihac, dass das ICMPD - welches unter der Leitung des österreichischen Ex-Vizekanzlers Michael Spindelegger steht - für den Bau der Haftzellen verantwortlich ist. Bereits im Februar hat das ÖVP-nahe ICMPD einer italienischen Zeitung bestätigt, dass es für den Bau, der Gefängniseinheit im Flüchtlingscamp Lipa in Bosnien zuständig ist, „dass dies aber vertraulich sei“.
Das BMI, welches ICMPD großzügig fördert, weiß nach Anfragen mehrerer Medien nichts von dem Bau des Abschiebegefängnisses innerhalb des Camps und das ICMPD hüllt sich bis heute in Schweigen. Fraglich ist, warum sowohl dem Bau der Haftzellen ohne Baugenehmigung als auch den skandalös koordinierten Massen-Pushbacks aus dem Landesinneren Kroatiens in das Flüchtlingscamp in Bosnien, nicht weiter nachgegangen und konsequent geschwiegen wird, stattdessen verkündigt Nehammer eine Aufstockung der österreichischen Polizei und des technischen Equipments am Balkan an.
Der Balkan als Abschiebezone
Dem Innenministerium, auch wenn es dementiert, wird das Gefängnisprojekt sehr wohl bekannt sein, da Österreich diesbezüglich der Propagandist innerhalb der EU ist - aus den Balkanländern eine „Pufferzone“ machen zu wollen. Die Joint Coordination Platform im Innenministerium in Wien ist für zahlreiche Implementierungsschritte des „Regional Return Mechanism“, eines Abkommens, das im Februar 2022 von Innenministern und Instituten der EU im Geheimen unterzeichnet, aber bereits von Karl Nehammer bei seinen Reisen in Südosteuropa im September 2021 verkündet wurde; zuständig. Doch schon 2020 wurde bei der vom damaligen Innenminister Nehammer initiierten Rückkehr-Ministerkonferenz in Wien beschlossen, dass die gemeinsame Koordinierungsplattform JPC einen "regionalen Rückführungsmechanismus für den Westbalkan" einrichten soll. Dabei sollen ein Rückführungszentrum gebaut und Westbalkanländer bei Abschiebungen unterstützt werden. Dies soll in Kooperation mit dem Projektpartner ICMPD passieren. Laut parlamentarischen Anfragebeantwortungen ist das Innenministerium in der Steering Group des ICMPD, in regelmäßigem Austausch und größter Fördergeber des Thinktanks, bei dem sich Personal und Kosten seit der Übernahme des früheren ÖVP-Obmanns vervielfältigten.
ICMPD ist dort, wo Menschenrechtsverletzungen passieren
„ÖVP-nahe Institute wie das ICMPD verdienen an dem Leid der schutzsuchenden Menschen. Aber auch das ÖVP-nahe „Hilfswerk International“, das unter dem Motto der grenzenlosen Hilfe um Spendengelder wirbt, spezialisiert sich mittlerweile auf Grenzschließungen, veranstaltet Konferenzen zu Grenzmanagement und Rückführungen, macht mit bosnischem Polizist:innen „Trainings gegen illegale Migration“, aber schweigt zu der alltäglichen Gewalt gegenüber unbegleiteten Minderjährigen durch die Grenzpolizei an den EU-Außengrenzen“, kritisiert SOS Balkanroute-Obmann Petar Rosandić.
Das Hilfswerk International sammelt bei seinen Unterstützer:innen bis heute noch Spenden für die Wasserversorgung von geflüchteten Menschen im Camp Lipa. Diese brach jedoch Ende Juni 2022 zur heißesten Zeit ebendort zusammen. Zudem ist es mittlerweile ins Grenzmanagement involviert, ohne ihre Spender:innen über ihre neue Ausrichtung zu informieren.
Während 2018 das Budget für die Grundversorgung für Asylwerber:innen in Österreich fast halbiert wurde, wurden die Fördermittel für das ICMPD erhöht, welchem laut einer weiteren parlamentarischen Anfrage seit 2010 2, 95 Millionen seitens des BMI zuflossen und zwei weitere Millionen Euro über Projekte, deren Abrechnungsstatus auch der ÖVP-Untersuchungsausschuss nicht klären konnte.
ICMPD auch in Libyen präsent
Das ICMPD verdient nicht nur an der Aufrüstung der Grenzen, sondern auch an der lybischen Küstenwache. Gegen diese gibt es bereits zahlreiche Beweise für über 40.000 rechtswidrig durchgeführte Pushbacks nach Libyen, bei denen Geflüchtete in Inhaftierungslagern gefoltert, erpresst und getötet werden. Die lybische Küstenwache hat vor kurzem die Ocean Viking an der Rettung von ertrinkenden Menschen durch Schüsse in die Luft gehindert. Vielfach wurde in diesem Zusammenhang belegt, wie die lybische Küstenwache Menschen in Seenot die Hilfe verweigerte. Omar Shatz und Juan Branco zogen 2019 gegen die EU vor den Internationalen Strafgerichtshof, um die lybische Küstenwache wegen ihrer mit Steuergeldern finanzierten Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verklagen. Bereits 2020 landete das ICMDP in den Schlagzeilen, da NGOS eine Beschwerde beim europäischen Rechnungshof wegen Zweckentfremdung von 90 Millionen Euro einreichten. Das Geld wurde dem EU-Treuhandfonds für Afrika (EUTF), das für die Armutsbekämpfung vorgesehen war, entnommen und für Trainings und Boote der lybischen Küstenwache eingesetzt. Dies bestritt damals das ICMPD, auf deren Seite aktuell ein neues Trainingsprojekt mit der lybischen Küstenwache beworben wird, das im Jänner 2023 startete und mit 5 Mio gefördert wird
„Österreichische Schweigespirale schützt die Täter“
„Österreich ist - durch die Bundesregierung, das Land OÖ, das vom BMI geförderte ICMPD, das BMI selbst, die ADA sowie das Hilfswerk International - der wichtigste Akteur und Hauptgeldgeber in Lipa. Die Logos hängen am Zaun des Gefängnisses und sprechen für sich. Die Massen-Pushbacks auf massiven Druck Österreichs und das Gefängnis in Lipa sind zugleich ein Skandal der gesamten österreichischen „Entwicklungszusammenarbeit“. "Jetzt gilt es, die österreichische Schweigespirale zu diesem Skandal zu brechen und vereint als Zivilgesellschaft die Inbetriebnahme des Gefängnisses zu verhindern. Denn der Bau von Gefängnissen für Menschen, die nichts verbrochen haben, außer auf der Suche nach einem besseren Leben zu sein, ist der Anfang vom Ende! Wir alle sind gefordert
“, so Rosandić abschließend.
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