Am 7. Dezember um 22.30 Uhr in ORF 2
Utl.: Am 7. Dezember um 22.30 Uhr in ORF 2 =
Wien (OTS) - Ihre Tagebücher sind Teil des UNESCO-Weltdokumentenerbes
„Memory of the World“. In ihrer Heimat Österreich aber ist sie kaum
bekannt: Ruth Maier, 1920 in eine jüdische Familie in Wien geboren,
schrieb akribisch Tagebuch – über ihre private Situation, aber auch
die politischen Entwicklungen in Österreich vor und nach dem
Einmarsch deutscher Truppen. Ebenso über ihre Flucht 1939 nach
Norwegen und ihre Zeit als Fremde und Flüchtling. Die Eintragungen
enden erst kurz vor ihrer Deportation nach Auschwitz, wo sie am 1.
Dezember 1942 vergast wurde. Es sind feinsinnige und analytische
Beobachtungen einer außergewöhnlich sensiblen und begabten jungen
Frau. Nicht von ungefähr hat Ruth Maier daher heute oft den Beinamen
„Anne Frank von Österreich“.
Robert Gokl, Gestalter der „Menschen & Mächte“-Doku „Ruth Maier – die
Anne Frank von Österreich“, die ORF 2 am Mittwoch, dem 7. Dezember
2022, um 22.30 Uhr zeigt, hat sich in Wien und in Norwegen auf Ruth
Maiers Spuren begeben. Begleitet wurden er und sein Kamerateam von
der bekannten Schauspielerin Martina Ebm, die aus den Tagebüchern
Ruth Maiers liest. Ebm trifft mit hoher darstellerischer Sensibilität
jene Stimmungen, die Ruth zu Papier gebracht hat.
Robert Gokl: „Ihr Einsatz, ihr Teamgeist und ihre intensive
Beschäftigung mit Ruth Maiers Tagebüchern haben Martina Ebm zum
Glücksfall für diese Doku gemacht.“
Martina Ebm: „Ich kann mich in die jugendliche Ruth Maier gut
hineinversetzen, denn auch ich habe in diesem Alter leidenschaftlich
gern Tagebuch geschrieben. Den tiefen Schmerz und die Einsamkeit
infolge ihrer Flucht nach Norwegen, die die späteren Tagebücher
durchziehen, kann ich als Nachgeborene nur erahnen. Ruth hat alles
verloren, was ihr in Wien lieb und teuer war, während ich in
Sicherheit lebe. Und am Ende verliert Ruth das Kostbarste, ihr Leben.
Ihre Abschiedsworte offenbaren, dass sie weiß, was ihr bevorsteht.
Dieser Film gibt einer zum Verstummen Gebrachten eine Stimme. Wir
dürfen nicht aufhören, uns mit den Verbrechen des NS-Regimes zu
beschäftigen, denn sie machen uns deutlich, dass wir dort mutig
handeln müssen, wo Unrecht geschieht.“
„Ich seh’ das Tagebuch so, als wäre es mein Freund.“ Diesem Freund
teilte Ruth Maier seit ihrem zwölften Lebensjahr alles mit, was sie
beschäftigte, privat in ihrer Entwicklung vom Schulmädchen zur
erwachsenen Frau, politisch in ihrer kritischen Sicht politischer und
sozialer Entwicklungen, beginnend mit dem Bürgerkrieg in Österreich
im Februar 1934. Ruths Vater war Sozialdemokrat und
Gewerkschaftsfunktionär, ihre politische Haltung daher von Jugend an
links. Die jüdische Herkunft dagegen hatte in der Familie keine
Bedeutung, vor allem keine religiöse. Erst der Einmarsch deutscher
Truppen im März 1938 und die anschließende Gewalt gegen Jüdinnen und
Juden mitsamt Pogrom im November 1938 änderten das: „Gestern war der
schrecklichste Tag, den ich je erlebt habe!“, schreibt sie einen Tag
nach ihrem 18. Geburtstag. Es ist der 10. November 1938, der Tag des
November-Pogroms. Und: „Ich werde zur bewussten Jüdin. Ich spüre es.
Ich kann nicht anders.“ Für einen Platz in einem Kindertransport
schon zu alt, hat Ruth Maier das Glück, im Jänner 1939 zu einer
Gastfamilie in Norwegen fliehen zu können. Dort will sie Matura
machen und danach zu ihrer Familie weiterfahren, die nach England
fliehen konnte. Aber einen Monat vor der Matura marschiert die
Wehrmacht in Norwegen ein. Ruth vermerkt in ihrem Tagebuch: „Jetzt
wieder. Kein Unterschied. Ich bin allein.“ Als jüdischer Flüchtling
kann Ruth Maier auch unter deutscher Besatzung zumindest anfangs noch
ohne Einschränkungen und selbstbestimmt leben. Einen gewalttätigen
und mörderischen Antisemitismus wie in Wien erlebt sie in der
norwegischen Bevölkerung nicht. Mit mehrmaligen freiwilligen
Meldungen zum Arbeitsdienst sichert sie ihren Lebensunterhalt. In
einem dieser Lager lernt sie Gunvor Hofmo kennen, deren Familie sich
dem kommunistischen Widerstand angeschlossen hat. Die beiden jungen
Frauen verlieben sich und beginnen eine Beziehung, die bis zur
Deportation Ruth Maiers anhält. Im Hafen von Oslo kann Ruth Maier
noch eine letzte Nachricht an Gunvor Hofmo vom Deportationsschiff
„Donau“ schmuggeln: „Ich glaube, dass es gut so ist, wie es gekommen
ist. Warum sollen wir nicht leiden, wenn so viel Leid ist? Sorg Dich
nicht um mich. Ich möchte vielleicht nicht mit Dir tauschen.“
Nach Ruth Maiers Ermordung verblieben ihre Tagebücher bei Gunvor
Hofmo und mehr als ein halbes Jahrhundert lang in der Öffentlichkeit
unbekannt. Hofmo wird nach dem Zweiten Weltkrieg zwar eine bedeutende
norwegische Schriftstellerin, doch ihre Versuche, die Tagebücher zu
publizieren, scheiterten. Nach Hofmos Tod 1997 fand sie der
norwegische Schriftsteller Jan Erik Vold in ihrem Nachlass und
veröffentlichte sie 2007. Bis heute wurden sie weltweit in mehr als
zehn Sprachen publiziert. Die Wirkung von Ruth Maiers Schilderung der
norwegischen Gesellschaft zwischen Kollaboration mit und Widerstand
gegen die NS-Besatzung war so nachhaltig, dass ihre Tagebücher auf
norwegische Initiative seit 2014 Teil des Weltdokumentenerbes sind.
„Ruth Maier – die Anne Frank von Österreich“ wurde vom ORF produziert
und von der VGR (Verwertungsgesellschaft Rundfunk) gefördert.
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