- 20.10.2022, 16:51:10
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Statement von Bundespräsident Alexander Van der Bellen im Wortlaut
„Es braucht eine transparente und für alle wahrnehmbare Generalsanierung des Vertrauens.“
Utl.: „Es braucht eine transparente und für alle wahrnehmbare
Generalsanierung des Vertrauens.“ =
Wien (OTS) - Liebe Österreicherinnen und Österreicher und alle, die
in Österreich leben.
Eigentlich habe ich gehofft, dass mein erstes Statement nach der Wahl
andere Inhalte haben wird, aber hier geht es nicht um meine
Wiederwahl.
Es geht hier um die Demokratie in unserer Heimat und das Vertrauen in
die Demokratie, das einmal mehr massiv erschüttert wird.
Die letzten Tage waren – einmal mehr – geprägt von fundamentaler
politischer Unruhe und ich kann und will das so nicht hinnehmen.
Viele Menschen wenden sich -und das nicht erst seit den letzten
Ereignissen- mit Schaudern von der Politik ab. Und, ganz ehrlich:
Ich kann das verstehen.
Auch ich sehe, was passiert und denke: Das darf doch alles nicht wahr
sein.
Die Chats, die letztes Jahr begannen, in die Öffentlichkeit zu
tropfen, haben sich zu einem sichtbaren Wasserschaden entwickelt.
Begonnen hat es mit einem nassen Fleck, aber mittlerweile hat dieser
Wasserschaden die Substanz des Gebäudes erreicht. Und es wird immer
klarer, dass dieser Schaden mit ein paar Farbtupfern hier und da
nicht zu beheben sein wird.
Das, was in den letzten Tagen zum Korruptionsthema wieder öffentlich
wurde, ist kein kleiner Wasserfleck.
Es ist ein massiver Schaden, der an die Substanz unserer Demokratie
geht.
Wir brauchen eine Generalsanierung, eine Sanierung der Substanz. Und
selbstverständlich ist es meine Pflicht, sicherzustellen, dass das
auch passiert.
Meine Damen und Herren, ich bin gegen jede Art von Korruption!
Sie wissen, dass ich jede Form von Freunderlwirtschaft und Korruption
zutiefst ablehne. Weil Korruption ein lähmendes Gift ist – für unser
Zusammenleben, die Politik, die Wirtschaft. Weil Korruption blockiert
und uns Zukunftschancen raubt. Weil Korruption verhindert, dass wir
Österreich gemeinsam besser machen. Weil sie verhindert, dass
Menschen ihr Bestes geben können. Weil Korruption Abhängigkeit
bedeutet. Und Abhängigkeit heißt, dass nicht die besten Ideen
umgesetzt werden oder die am besten qualifizierten Menschen einen Job
bekommen, sondern die, die es sich richten können, die, die scheinbar
die richtigen Kontakte haben.
Und wenn Menschen in unserem Land auch nur den Eindruck bekommen,
dass man es sich richten kann, dass man sich zum Beispiel seine
Steuerangelegenheiten einfach richten kann, wenn man nur reich genug
ist oder die richtigen „Freunde“ hat.
Wenn auch nur der Eindruck entsteht, Politiker handelten zum Vorteil
der eigenen Seilschaft, der eigenen sogenannten Verbündeten oder
Vertrauten und auf Kosten der Gemeinschaft.
Dann muss es im größten Interesse des Bundeskanzlers und der
verantwortlichen Regierungsmitglieder sein, diesen Eindruck zu
entkräften.
Meine Damen und Herren, es geht bei den mutmaßlichen
Korruptionsverdachtsfällen rund um einige ÖVP-Politiker nicht nur um
das Rechtliche alleine.
Denn wenn es in all den Verwerfungen eine gute Nachricht gibt, dann
ist es diese: Unser Rechtsstaat funktioniert! Wir sehen ihm gerade
alle gemeinsam bei der Arbeit zu. Wir sehen dem Rechtsstaat bei der
Arbeit und beim Funktionieren zu!
Und er wird diese Arbeit, so lange es auch dauern möge, mit aller
Umsicht zu Ende führen. Das ist beruhigend.
Und ich kann es nur wiederholen: die unabhängige Justiz genießt
meine volle Rückendeckung.
Aber! Meine Damen und Herren, aber, es geht eben nicht alleine um die
rechtliche Dimension dieser Vorwürfe.
Nein! Es geht um mehr! Es geht um das Vertrauen. Und deswegen ist es
zu wenig, sich auf die Unschuldsvermutung oder den Ausgang von
Verfahren zurückzuziehen.
Demokratie kann nur funktionieren, wenn Menschen darauf vertrauen,
dass die regierenden Personen integer handeln. Dass die politisch
Verantwortlichen mit dem ihnen geliehenen Vertrauen sorgsam umgehen.
Dass mit der Stimme, die wir bei bei der Wahl abgegeben haben,
verantwortungsvoll umgegangen wird.
Es braucht eine transparente, nachvollziehbare und vor allem für alle
wahrnehmbare Generalsanierung des Vertrauens.
Meine Damen und Herren, diese gesamte unschöne Thematik erfordert,
dass in den nächsten Wochen und Monaten Maßnahmen gesetzt werden, um
die volle Handlungsfähigkeit aller politisch Verantwortlichen in
diesem Land sicher zu stellen und um das Vertrauen in die Politik
wieder herzustellen.
Es geht dabei eindeutig auch darum, die eigene Rolle, die Rolle der
eigenen Partei, die bisherigen Aktivitäten kritisch zu hinterfragen
und die notwendigen Konsequenzen und Maßnahmen zu ziehen.
Österreichs Bevölkerung braucht Garantien. Glaubwürdige Garantien,
dass das, was sich in diesem Sittenbild angedeutet hat, nicht der
Normalität entspricht.
Diese Garantien, in welcher Form auch immer, glaubwürdig zu geben,
ist die Bringschuld der Verantwortlichen.
Ich werde nun zügig weitere Gespräche mit den politisch
Verantwortlichen in unserem Land führen.
Denn die großen Herausforderungen unserer Zeit – Sie wissen es - mit
dem fürchterlichen Krieg in der Ukraine, der notwendigen raschen
Umstellung unserer Energieversorgung und der Abfederung der Teuerung,
das alles, braucht die volle Aufmerksamkeit der Regierenden. Die
großen Herausforderungen brauchen die Zusammenarbeit aller Ebenen und
– das ist sicher die größte Herausforderung – und eben das Vertrauen
der Bevölkerung.
In der Republik Österreich werden wir Korruption niemals akzeptieren
und als Normalität hinnehmen. Ich verspreche Ihnen, dass ich keine
Ruhe geben werde, bis wir uns von dieser Last befreit haben und das
Vertrauen wieder hergestellt ist.
Wenn Sie so wollen, bis dieser substanzielle Schaden am Gebäude
Demokratie behoben ist.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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