• 07.10.2022, 22:00:02
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Tiroler Tageszeitung, Leitartikel vom 8. Oktober 2022. Von Michael Sprenger: "Wozu überhaupt wählen gehen?"

Innabruck (OTS) - 

Sieben Männer stehen zur Auswahl. Amtsinhaber Alexander Van der Bellen gilt als klarer Favorit für die Hofburg-Wahl. Die spannende Frage für morgen lautet: Kommt es zu einer Stichwahl? Doch es geht um mehr. 

Es gibt natürlich Gründe, am Sonntag nicht zur Wahl zu gehen. Das Wetter! Die Kandidaten! Das Desinteresse an Politik und Demokratie. Die generelle Missachtung von staatlichen Institutionen. Ob es sich dabei um gute Gründe handelt? Das kann man naturgemäß bezweifeln. Jedenfalls könnten alle Bürgerinnen und Bürger, die am Sonntag ihr Recht auf eine freie, unmittelbare, allgemeine und geheime Wahl – aus welchen Gründen auch immer – nicht wahrnehmen, auch sagen, dass sie es viel lieber haben, wenn andere entscheiden, wer zum Staatsoberhaupt gewählt wird. 
Die Wählerinnen und Wähler, die heute noch zweifeln, ob sie überhaupt zur Wahl gehen wollen, könnten einen inneren Dialog führen und sich fragen, ob es wirklich egal ist, wie die Wahl ausgeht. 
Und wenn es einem nicht egal ist, dann sollte man sich mit den Kandidaten auseinandersetzen. Wer von den sieben Männern ist am besten geeignet, die Republik nach außen zu vertreten? Wem traut man am ehesten zu, in Krisenzeiten ausgleichend zu agieren? Und ja, man sollte die Amtszeit des amtierenden Bundespräsidenten beurteilen. Hat Alexander Van der Bellen Österreich im Ausland gut repräsentiert, hat er nach der Ibiza-Affäre einen für die Republik guten Weg eingeschlagen? War man froh, dass in diesen innenpolitisch höchst turbulenten zurückliegenden Jahren Van der Bellen in der Hofburg das Sagen hatte, oder wäre es egal gewesen, welchen Ausgang die Bundespräsidentenwahl vor sechs Jahren genommen hätte?
Natürlich kann und soll man Kritik an dieser Wahl üben. Gründe gibt es zuhauf. Es ist wirklich beschämend, dass sich nur die Namen von sieben Männern auf dem Stimmzettel finden. Es ist politisch höchst fragwürdig, wenn nur die FPÖ als einzige Parlamentspartei einen eigenen Kandidaten nominierte. Und ja, es ist vielleicht notwendig, darüber nachzudenken, ob es nicht besser wäre, die Amtszeit des Staatsoberhaupts zu verlängern, dafür aber die Möglichkeit einer Wiederwahl abzuschaffen. 
Diese Kritikpunkte in eine ernsthafte  Debatte überzuführen, wäre ein politischer Auftrag. Doch am Sonntag geht es vorerst um etwas Unmittelbares. Will man in Zeiten, in denen immer mehr demokratische Institutionen beschädigt werden, jetzt auch noch das Amt des Bundespräsidenten der Lächerlichkeit preisgeben? Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Die Teilnahme an einer Wahl ist zudem die einfachste Form, für demokratische Errungenschaften einzutreten. Damit man sich im Nachhinein nicht wundert, was alles möglich ist: Gehen Sie wählen!

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