- 05.09.2022, 11:29:20
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Neue „kreuz und quer“-Doku „Ein Fenster zur Vernunft – Die katholische Aufklärung“ am 6. September um 22.35 Uhr in ORF 2
Danach: „Die Geheimnisse der Akten“ auf Spurensuche zu Papst Pius XII.
Utl.: Danach: „Die Geheimnisse der Akten“ auf Spurensuche zu Papst
Pius XII. =
Wien (OTS) - Katholizismus und Aufklärung – für viele mag das wie ein
Widerspruch klingen. Haftet doch der katholischen Kirche der Ruf an,
behäbig, zögerlich und dogmatisch zu sein. Im 18. Jahrhundert befand
sich die katholische Kirche jedoch in einer dynamischen
Aufbruchstimmung – nahm die aktuellen Geistesströmungen auf und regte
Diskurse an, die noch heute fortschrittlich erscheinen: So wurde die
Abschaffung des Zölibats ernsthaft diskutiert, eine umfassende Reform
der Liturgie gefordert und ein von den Menschenrechten getragenes
pastorales Wirken vertreten. Die neue „kreuz und quer“-Dokumentation
„Ein Fenster zur Vernunft“ von Martin Betz – zu sehen am Dienstag,
dem 6. September 2022, um 22.35 Uhr in ORF 2 – ist ein filmischer
Ausblick auf dieses weitgehend unbekannte Kapitel der
Kirchengeschichte.
Der Vatikan hat die geheimen Archive aus der Zeit Papst Pius XII. für
Historikerinnen und Historiker, Wissenschafterinnen und
Wissenschafter geöffnet. Damit ist es auch möglich, auf eine
Persönlichkeit zu blicken, die während der dunkelsten Periode des 20.
Jahrhunderts Oberhaupt der Katholischen Kirche war. Mit zum Teil
unveröffentlichtem Archivmaterial sowie Neuaufnahmen aus dem Vatikan
und Deutschland befasst sich um 23.20 Uhr die Dokumentation „Die
Geheimnisse der Akten – Der Vatikan öffnet seine Archive“ mit Eugenio
Pacelli, so sein bürgerlicher Name, einem der kontroversesten
Protagonisten der jüngeren Kirchengeschichte. Der Film von Lucio
Mollica und Luigi Maria Perotti entstand als Koproduktion von BR, MDR
und ORF.
„Ein Fenster zur Vernunft – Die katholische Aufklärung“ – Ein Film
von Martin Betz
Erst vor wenigen Jahren hat der deutsche Kirchenhistoriker Ulrich
Lehner die katholische Aufklärung erstmals als globales Phänomen
wissenschaftlich untersucht. Für diesen „kreuz und quer“-Film widmet
sich Lehner der dynamischen Entwicklung im Heiligen Römischen Reich,
das für ihn wie ein Laboratorium für den weltoffenen Katholizismus im
18. Jahrhundert wirkt. Die Metafilm-Produktion folgt den Spuren
katholischer Reformer in Wien und den Klöstern des Donau- und
Alpenraums, wo der rigide Geist der Gegenreformation allmählich vom
aufgeklärten Freiheitsbegriff ausgehöhlt wurde. Das öffnete ein
historisches Fenster für religiöse Toleranz und umfassende
Bildungsreformen.
Weltveränderung durch Wissensausbreitung: Diese Maxime der Aufklärung
zeigte sich nicht nur in prächtigen Bibliotheken wie jener von Stift
Admont, sondern auch in den Bildungsprogrammen von Ursulinen und
Englischen Fräulein, die jungen Frauen höhere Bildung, die ihnen bis
dahin verwehrt blieb, zugänglich machten. Katholische Aufklärung
versöhnt auch Glaube und Naturwissenschaften, indem diese nicht mehr
um die Deutungshoheit der Welt ringen, sondern einander ergänzen.
Kleriker im 18. Jahrhundert sind nicht nur Priester, sondern oft auch
Hydrauliker, Ingenieure, Chemiker, Botaniker oder Astronomen. Etwa
der Jesuit Maximilian Hell, der 1769 im Zuge des Venustransits die
genaueste Entfernung zwischen Erde und Sonne berechnet, „das
Zentimetermaß des Universums“, wie es die Historikerin Nora Pärr
nennt. „Die Jesuiten haben die Enträtselung der Himmelsmechanik und
der kosmischen Massen als den schönsten Gottesbeweis gesehen“,
erklärt der Historiker Franz Fillafer. Der Versuch, den Glauben
empirisch zu begründen, setzt sich auch in den
katholisch-theologischen Fakultäten fort: „Die Bibel wurde mit einem
extrem ausgefeilten Feinbesteck fast salamitaktisch zerkleinert und
wissenschaftlich untersucht“, so Fillafer. Im Bereich der
Moraltheologie hält der Freiheitsbegriff von Immanuel Kant Einzug in
die Lehrbücher. Und der Innsbrucker Kleriker Karl Joseph Michaeler
fordert ganz offen, den Zölibat abzuschaffen, und rät katholischen
Priestern, bis dahin Geheimehen einzugehen.
Mit ihren Forderungen wandten sich die katholischen Reformer
hierzulande eher an den Kaiserhof als den Heiligen Stuhl in Rom. Denn
längst waren Staat und Kirche so miteinander verschränkt, dass
pastorale und gemeinwirtschaftliche Aufgaben der Pfarren nicht mehr
voneinander zu trennen waren: Ab den 1780er Jahren mussten Priester
quasi als Staatsbeamte kaiserliche Weisungen vollziehen, etwa die
Impfprogramme gegen die Pocken umsetzen oder „notfalls auch einer
Frau bei der Entbindung beistehen“, wie die Medizinhistorikerin Sonia
Horn anmerkt. Für Franz Fillafer wirkt die von katholischen Reformern
unterstützte josephinische Säkularisierung wie das
„Stockholm-Syndrom“: „Die Kirche ist eigentlich eine Geisel des
Staates, die von dem Geiselnehmer aber nicht mehr loskommt und ihn zu
lieben und verherrlichen beginnt.“
Die jahrzehntelang gewachsene katholische Reformbewegung wird
ausgerechnet durch das zentrale Ereignis der Aufklärung ausgehebelt.
„Die Französische Revolution von 1789 mit ihren massenhaften
Exekutionen vergiftet eigentlich das Klima, in dem ein Diskurs über
katholische Aufklärung möglich ist“, erklärt Ulrich Lehner. Die
Revolution bildet den Auftakt für den Antimodernismus der
katholischen Kirche, der 1873 im Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit
gipfelt. „Das hat sich wie ein Mehltau auf das geistige Leben der
Kirche im 20. Jahrhundert gelegt“, so Fillafer. Erst im II. Vaticanum
der frühen 1960er Jahre werden einige Ideen der katholischen
Aufklärer wieder aufgegriffen und in Reformen in Bezug auf religiöse
Toleranz und Liturgie umgesetzt. Doch so manch 250 Jahre alte
Forderung der katholischen Aufklärung steht bis heute zur Diskussion
…
„Die Geheimnisse der Akten – Der Vatikan öffnet seine Archive“ – Ein
Film von Lucio Mollica und Luigi Maria Perotti
Als Botschafter des Heiligen Stuhls in Deutschland und als
Kardinalstaatssekretär des Vatikans beobachtete Eugenio Pacelli
Hitlers Aufstieg zur Macht. Im Jahr 1939 begann seine Amtszeit als
Papst Pius XII. Alsbald wurde er mit der Vernichtung der Juden, der
Deportation von Minderheiten und Oppositionellen im „Dritten Reich“
konfrontiert. Bis heute ist nicht zuverlässig geklärt, welche Rolle
Pius XII. in dieser Zeit gespielt hat. War er wirklich, wie vielfach
behauptet wird, ein Zögerer und Zauderer, der vor der Verantwortung
vor allem gegenüber bedrängten Jüdinnen und Juden zurückgewichen ist?
Die Öffnung der Vatikanarchive soll Licht in dieses Dunkel bringen.
Renommierte Kirchenhistoriker/innen sind der Meinung, dass der
Pontifex durch sein bedachtsames Auftreten bewusst vor der
Weltöffentlichkeit kaschierte, dass er viele Menschenleben während
der NS-Zeit rettete, in Rom und anderswo. Schon jetzt sprechen
Tausende von Dokumenten, darunter Briefe, Tagebücher und Berichte von
noch lebenden Zeitzeugen, für diese Interpretation. Doch stimmt sie
auch? Die Arbeit der Wissenschafter/innen in den Archiven könnte
weitere Gewissheit bringen.
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