Foto von verunglückter Familie verletzt Ehrenkodex
Wien (OTS) - Nach Meinung des Senats 3 des Presserats verstößt der Beitrag „Trauer nach Tod von Bilderbuch-Familie“, erschienen am 23.02.2022 in der Tageszeitung „OE24“, gegen Punkt 5 des Ehrenkodex für die österreichische Presse (Persönlichkeitsschutz).
Im Beitrag wird berichtet, dass eine dreiköpfige Familie mit dem Auto in die Salzach gestürzt und ertrunken sei. Beim Familienvater handle es sich um einen aus Syrien geflüchteten IT-Experten, der 2015 mit seiner Frau nach Österreich geflüchtet sei. Nicht nur die syrische Community sei über das Todesdrama geschockt; die ganze Region wäre erschüttert über die tragischen Ereignisse. Dem Artikel ist ein Foto beigefügt, auf dem die verunfallte Familie gezeigt wird. Das Gesicht des Kleinkindes und die Augenpartien der Eltern sind verpixelt.
Ein Leser wandte sich an den Presserat und kritisierte die Veröffentlichung als medienethisch bedenklich. Die Medieninhaberin nahm nicht am Verfahren teil.
Der Senat hält fest, dass Berichte über tödliche Unfälle für die Allgemeinheit von Interesse sind; dies gilt auch für den hier zu prüfenden Unfalltod einer dreiköpfigen Familie. Aus dem öffentlichen Interesse ergibt sich jedoch nicht, dass der Persönlichkeitsschutz der verunglückten Opfer missachtet werden darf. Zudem verweist der Senat auf Punkt 5.4 des Ehrenkodex, wonach auf die Anonymitätsinteressen von Unfallopfern besonders zu achten ist.
Die Senate des Presserats haben bereits mehrfach festgehalten, dass die Persönlichkeitssphäre eines Menschen auch über dessen Tod hinaus zu wahren ist und dass die Veröffentlichung identifizierender Fotos von Unfallopfern geeignet ist, in die Persönlichkeitssphäre dieser Personen einzugreifen und die Trauerarbeit der Hinterbliebenen zu beeinträchtigen. Beim vorliegenden Foto wurden bloß die Augenpartien der Eltern grobkörnig verpixelt, ihr übriges Erscheinungsbild wurde nicht bearbeitet. Nach Ansicht des Senats wäre es erforderlich gewesen, die Fotos der Abgebildeten in einer Weise zu bearbeiten, dass deren äußeres Erscheinungsbild überhaupt nicht mehr identifizierbar ist. Die Frisuren der Abgebildeten sind nach wie vor erkennbar – der Vater trägt Bart und die Mutter hat einen markant geformten Mund. Vor diesem Hintergrund geht der Senat von einer unzureichenden Anonymisierung aus.
Im Sinne der bisherigen Entscheidungspraxis stellt der Senat daher einen Verstoß gegen Punkt 5 des Ehrenkodex für die österreichische Presse (Persönlichkeitsschutz) fest. Die Medieninhaberin von „OE24“ wird aufgefordert, freiwillig über den Ethikverstoß zu berichten.
SELBSTÄNDIGES VERFAHREN AUFGRUND EINER MITTEILUNG EINES LESERS
Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig.
Im vorliegenden Fall führte der Senat 3 des Presserats aufgrund einer Mitteilung eines Lesers ein Verfahren durch (selbständiges Verfahren aufgrund einer Mitteilung). In diesem Verfahren äußert der Senat seine Meinung, ob eine Veröffentlichung den Grundsätzen der Medienethik entspricht. Die Medieninhaberin von „OE24“ hat von der Möglichkeit, am Verfahren teilzunehmen, keinen Gebrauch gemacht.
Die Medieninhaberin der „OE24“ hat die Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats anerkannt.
Rückfragen & Kontakt:
Wolfgang Unterhuber, Sprecher des Senats 3, Tel.: 05 9030-22760