• 11.04.2022, 22:00:32
  • /
  • OTS0121

TIROLER TAGESZEITUNG "Leitartikel" Ausgabe vom 12. April 2022, von Alois Vahrner: "Nehammers schwieriger Hochseilakt"

Innsbruck (OTS) - Es gab weder ein Wunder in Richtung Frieden noch
einen Total-Reinfall: Der Besuch von Bundeskanzler Karl Nehammer bei
Russlands Präsident Wladimir Putin sorgte international für große
Aufmerksamkeit und auch Skepsis.

Noch am Samstag hatte sich Nehammer bei seinem Besuch in der Ukrai­ne
ein Bild von den verheerenden russischen Angriffen auch auf unzählige
zivile Ziele gemacht – auch von den unvorstellbaren Kriegsverbrechen,
die es in Butscha und anderen ukrainischen Städten gegeben hat.
Fast sieben Wochen tobt nun schon der von Moskau entfesselte
Angriffskrieg mit unzähligen Opfern und gewaltigen Schäden.
Telefonate mit dem Verantwortlichen der Aggression, Russlands
Präsident Wladimir Putin, hatte es sowohl vor Kriegsbeginn als auch
seither einige gegeben – vor allem von Frankreichs Präsident Emmanuel
Macron und dem deutschen Kanzler Olaf Scholz. Als erster
Regierungschef eines EU-Landes reiste Österreichs Bundeskanzler
gestern zu Putin nach Moskau. Eine Visite, die bereits im Vorfeld
international große Aufmerksamkeit wie auch Skepsis hervorgerufen
hatte.
Eine Stunde dauerte die Unterredung, und diese sei „sehr direkt,
offen und hart“ gewesen, so Nehammer, der seinen VermittlungsAnlauf
als „persönliche Pflicht bezeichnete“, einen Versuch für Frieden und
humanitäre Lösungen zu starten. Der Kreml, der bisher keinerlei
Signale für eine Kurswende ausgesandt hatte, kommentierte das
Gespräch mit Nehammer vorerst überhaupt nicht.
Nehammer hatte den Besuch in Moskau vorher mit
EU-Spitzenvertretern, mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr
Selenskyj, mit Deutschlands Kanzler Scholz und dem türkischen
Präsidenten Erdogan (wohl wegen der Istanbuler Gespräche)
abgesprochen. In einer so verfahrenen und zugespitzten Situation ist
jeder Versuch, den Krieg zu beenden, grundsätzlich löblich und
positiv. Trotzdem war dies ein Trapezakt, den Nehammer da zu
vollführen hatte. Denn die Zweifel darüber, ob man Putin gerade jetzt
einen persönlichen Besuch abstatten darf und soll, sind in etlichen
Ländern sehr groß – und das nicht nur in einigen osteuropäischen
Ländern, die sich von Russland bedroht fühlen.
Österreich würde sich, und auch das war wohl Antrieb für Nehammer,
gern wieder als echter Brückenbauer engagieren. Dazu gehört,
Gesprächsfäden nie abreißen zu lassen. Österreich hätte da als
neutrales Land gewiss Möglichkeiten. Aber as Land mit klarer Meinung,
aber nicht mit der Neutralität als Hängematte. Gerade im Falle
Russlands hat sich Österreich im Sinne wirtschaftlicher Vorteile
nicht nur in Gas-Abhängigkeit begeben oder sich Anbiederungen von
ÖVP, SPÖ bis zur FPÖ zuhauf geleistet – die allerpeinlichste war der
Hochzeitstanz von Außenministerin Karin Kneissl samt Hofknicks vor
Kreml-Herr Putin. Auch im Gegensatz dazu war Nehammers gestriger
Auftritt ein viel richtigeres Signal.

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | PTT

Bei Facebook teilen.
Bei X teilen.
Bei LinkedIn teilen.
Bei Xing teilen.
Bei Bluesky teilen

Stichworte

Channel