• 24.03.2022, 22:30:02
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TIROLER TAGESZEITUNG "Leitartikel" vom 25. März 2022 von Michael Sprenger "Zumindest Kämpferin"

Innsbruck (OTS) - Im politischen Ring zeigt Pamela Rendi-Wagner
Nehmer- und Steherqualitäten. Jetzt will sie mit einer
„Kanzlerinrede“ ihren Anspruch auf das Kanzleramt untermauern. Die
ÖVP könnte dafür sorgen, dass sie dort auch bald einzieht.

Jetzt also eine „Kanzlerinrede“. Eines kann man der SPÖ-Vorsitzenden
Pamela Rendi-Wagner nicht absprechen: Sie hat Nehmer- und
Steherqualitäten. Nach dem mehr als peinlichen Abgang von Christian
Kern übernahm sie als erste Frau den Vorsitz der SPÖ. Sie führte die
Sozialdemokraten 2019 in die Nationalratswahl und erreichte für die
SPÖ mit 21,2 Prozent das schlechteste Wahlergebnis. Ihre bisherige
Amtszeit war geprägt von parteiinternen Intrigen und fehlendem Gespür
für Politik. Mit einer Vertrauensfrage unter allen Parteimitgliedern
versuchte sie einen Befreiungsschlag. Der Schachzug war mutig – aber
er sorgte nicht für Geschlossenheit. Aus der gesicherten Deckung
heraus planten Heckenschützen auf dem Parteitag den nächsten Angriff
auf ihre Parteichefin – und fügten ihr eine historische Schlappe zu.
Doch Rendi-Wagner schüttelte sich immerzu ab, vertraute weiter auf
ihre Einsagerinnen und Einsager – und machte weiter.
Obwohl intern weiter gesudert wird, scheint es mittlerweile
ausgemacht, dass die SPÖ mit Rendi-Wagner in die Wahl gehen wird.
Auch deshalb, weil der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig die
Bundespartei nicht übernehmen will. Im Gegenteil: Er stellt sich
demonstrativ hinter Rendi-Wagner. So dass interne Kritiker jetzt
kleinlaut verkünden: Wir werden auch mit oder trotz Rendi-Wagner die
nächste Nationalratswahl gewinnen. Und ja, es ist eine politische
Binse: Nicht die Opposition gewinnt die Wahl, sondern eine Regierung
verliert sie. Die Kanzlerpartei ÖVP, seit 35 Jahren ununterbrochen an
der Macht, ist seit Monaten politisch gelähmt. Mit Affären, Skandalen
und Beschuldigten sonder Zahl machte die ÖVP aus Österreich eine
Skandalrepublik. Zudem beherrschten die von der ÖVP geführten
Regierungen – zuletzt mit der FPÖ, jetzt mit den Grünen – nicht das
politische Handwerk.
Eigentlich müsste angesichts dieser Vorgaben die SPÖ in Umfragen
längst jenseits der 30-Prozent-Marke liegen. Wären da nicht die
fehlende Geschlossenheit, die erbärmlichen Zustände der Partei in
sechs Bundesländern – und ja, wären da auch nicht die Pannen und
Fehler. Dass eine Partei, deren Domäne einst die Außenpolitik war,
fast zwei Tage benötigt, um die von ihr mitverschuldete Posse rund um
eine Videorede von Wolodymyr Selenskyi im Parlament zu beenden,
spricht Bände. Am Sonntag könnte Rendi-Wagner Irritationen beseitigen
und in ihrer Rede beweisen, dass sie außenpolitisch firm ist – und
das Zeug zur ersten Kanzlerin hat. Bisweilen wissen wir nur: Sie hat
Nehmer- und Steherqualitäten.

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