- 14.02.2022, 08:28:00
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Gewaltschutzambulanz: Erste Evaluierungsstudie zeigt dringenden Handlungsbedarf für die Schwächsten in unserer Gesellschaft
Seit 2015 österreichweit einzigartige Gewaltschutzambulanz für Kinder und Jugendliche - dauerhafte Finanzierung gefordert, um Rechtsschutz für Opfer zu gewährleisten
2015 wurde am AKH die Forensische Kinder- und Jugenduntersuchungsstelle (FOKUS) unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Susanne Greber-Platzer gemeinsam mit Ass.-Prof. Dr. Sabine Völkl-Kernstock gegründet: Diese in Österreich einzigartige Stelle dient der tatzeitnahen Dokumentation und Abklärung von Verletzungen anhand von vorhandenen und objektivierbaren Spuren in einem standardisierten Verfahren für Kinder und Jugendliche. Somit soll eine Verbesserung der gerichtsmedizinischen Sachverständigenbeweise von Gewalt- und Missbrauchsopfern erfolgen, damit die Ermittlungsbehörden und Gerichte effektiv arbeiten können. Nun liegen die Ergebnisse der begleitenden Evaluierungsstudie vom Institut für Ethik und Recht in der Medizin (IERM) vor.
Sämtliche von FOKUS behandelten Fälle wurden von einem interdisziplinären Forschungsteam unter der Leitung von Dr. Maria Kletečka-Pulker und Mag. Klara Doppler ausgewertet: Jeder Fall zwischen Juli 2015 und Juni 2017 vom Erstverdacht, über weitere Ermittlungsschritte bis hin zu einer möglichen Hauptverhandlung wurde analysiert. Durch pseudonymisierte Analyse aller Gerichtsakten der von FOKUS behandelten Fälle sollten jene Faktoren aufgezeigt werden, die Auswirkungen auf das Gerichtsverfahren haben und folglich einen etwaigen weiteren Handlungsbedarf im Bereich des Gewaltschutzes aufgezeigt werden. Von 233 untersuchten Fällen gab es bei 173 Fällen einen begründeten Verdacht auf Misshandlung (durch Expertinnen und Experten der Kinderschutzgruppe, FOKUS bzw. Gerichtsmedizin), dennoch wurde in nur 62 Fällen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und letztlich gab es nur 11 Verurteilungen und in zwei Fällen eine Diversion.
Dauerhafte Finanzierung und gesetzliche Verankerung gefordert
Maria Kletečka-Pulker fordert eine gesetzliche Grundlage und eine dauerhafte adäquate Finanzierung für die Untersuchungsstelle: „Es gibt keinen ausreichenden und effektiven Rechtsschutz für minderjährige Opfer. Die Einstellung des Verfahrens oder der Umstand, dass nicht weiter ermittelt wird, führt zu einer Retraumatisierung der Opfer. Die Kinderschutzgruppen und FOKUS leisten hervorragende Arbeit. Es muss die Schnittstelle zwischen Medizin und Rechtspflege deutlich verbessert werden. Die tatzeitnahe Dokumentation und Abklärung von Verletzungen anhand von vorhandenen und objektivierbaren Spuren in einem standardisierten Verfahren führt nachweislich zu einer Verbesserung des Kinderschutzes.
“ Eine gesetzliche Verankerung von Gewaltambulanzen und eine damit einhergehende dauerhafte Finanzierung würde eine Verbesserung der Schnittstelle zwischen Medizin und Rechtspflege bringen sowie die Effektivität des Rechtsschutzes verbessern.
Die Ergebnisse der Untersuchung unterstreichen, wie schwierig die erfolgreiche Verfolgung von Täterinnen und Tätern in Fällen von Kindesmisshandlung. Dazu Studienleiterin Klara Doppler: „Trotz des wachsenden Bewusstseins rund um das Thema Kindesmisshandlung und dessen Prävention und Aufdeckung führen die meisten begründeten Kindesmisshandlungen nicht zu einem Gerichtsverfahren und nur ein kleiner Bruchteil endet in einer erfolgreichen Verurteilung der Täterinnen und Täter. Daher ist es dringend geboten, die Arbeit der Kinderschutzgruppen und von FOKUS zu stärken, um so die gerichtsmedizinische Beweislage in jedem Ermittlungsschritt zu verbessern.
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Klinken meist erste Kontaktstelle – 24 Stunden Kinderschutz-Telefonbereitschaft notwendig
Kliniken sind bei Gewalt und Missbrauch verbunden mit Verletzungen oder klinischen Auffälligkeiten meist die erste Kontaktstelle und damit wesentlich für die korrekte Diagnostik, Behandlung und Dokumentation verantwortlich. Dazu Susanne Greber-Platzer: „Hierzu bedarf es standardisierter Prozessabläufe, Schulungen und Fortbildungen sowie zentral einer medizinischen 24/7-Expertise zur korrekten Durchführung und Dokumentation betreffend Angaben zum Geschehenen, der körperlichen Untersuchung inkl. Fotodokumentation, Zusatzuntersuchungen und Spurensicherung sowie Meldung bzw. Anzeige.
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Dringender Handlungsbedarf aufgezeigt
Die erfolgreiche Arbeit von FOKUS und der Österreichische Gesellschaft für Kinderschutz Medizin (ÖGKiM) umfasst eine österreichweite standardisierte Vorlage bei Verdacht Kindesmisshandlung und den Aufbau eines Ausbildungs- und Fortbildungsprogramm zu Gewalt und Missbrauch. Die dringend geforderte finanzielle Unterstützung zur adäquaten personellen Ausstattung und der Etablierung einer österreichweiten 24 Stunden Kinderschutz-Telefonbereitschaft, ähnlich dem erfolgreichen Modell in Deutschland, ist ungeklärt.
Durchbrechen der Gewaltspirale
Sabine Völkl-Kernstock meint abschließend: „Kinder und Jugendliche, die einem Missbrauch und/oder Misshandlung ausgesetzt waren oder Misshandlungen/Gewalt beobachten mussten (adverse childhood experiences) haben ein signifikant erhöhtes Risiko an einer – das Leben erschwerenden – psychiatrischen und/oder körperlichen Erkrankung zu erkranken.
“ So ist das Risiko für Übergewicht 1-2-fach, für Alkoholmissbrauch 2-3-fach, für riskantes sexuelles Verhalten oder psychische Erkrankung 3-6-fach sowie für Drogenmissbrauch und interpersonale Gewalt mehr als 7-fach erhöht. Prävention ist zentral, vor allem wenn es um sekundäre und tertiäre Prävention zur Verhinderung von Krankheit und deren Folgen sowie ein Durchbrechen der Gewaltspirale geht.
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Mag. Bosko Skoko
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