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TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: "Vom Krieg, den keiner wollte", von Floo Weißmann
Ausgabe vom Dienstag, 25. Jänner 2022
Utl.: Ausgabe vom Dienstag, 25. Jänner 2022 =
Innsbruck (OTS) - Ukraine-Konflikt drehen Russland und der Westen an
der Eskalationsspirale. Wenn nicht bald ein diplomatischer Ausweg
sichtbar wird, besteht die Gefahr, dass den Strategen beider Seiten
die Konflikt-Dynamik entgleitet.
Im Ukraine-Konflikt wirkt die Lage von Tag zu Tag bedrohlicher.
Russland führt weiter von allen Seiten Militär an die Ukraine heran
und behauptet zugleich, keinerlei kriegerische Absichten zu hegen.
Alles nur Hysterie des Westens, heißt es aus dem Kreml. Ebendort
waren die Entscheidungen gefallen, 2008 in Georgien und 2014 in der
Ukraine militärisch zu intervenieren. Parallel zum vorgeblich
harmlosen Truppenaufmarsch stellt Kremlchef Wladimir Putin
Forderungen an den Westen, von denen er weiß, dass der Westen sie
nicht erfüllt.
Auf der Gegenseite hat der Westen zunächst eine Drohkulisse aus
Sanktionen aufgebaut, die für Putin den Eintrittspreis in die Ukraine
in inakzeptable Höhen schrauben soll. Doch der Kreml zeigt sich
bisher unbeeindruckt. Das bestärkt die Hardliner in Washington und in
anderen westlichen Hauptstädten. Sie erklären Putins Vorgehen damit,
dass der Westen nach 2014 zu wenig getan habe, um Russland
abzuschrecken.
Nun lassen auch die Vereinigten Staaten und andere NATO-Mitglieder
durchklingen, dass sie weitere Truppen nach Osteuropa verlegen
wollen. Wohl wissend, dass genau das Putin erzürnt und wohl eine
Gegenreaktion auslösen wird. Russland hatte bereits vorige Woche
nicht näher bezeichnete „militärisch-technische“ Maßnahmen
angekündigt.
Beide Seiten setzen damit eine Eskalationsspirale in Gang. Die
eigenen Handlungen und Ankündigungen sollen die Gegenseite unter
Druck setzen; und wenn sie ihr Ziel nicht erreichen, legt man ein
Schäuflein drauf. Die Gegenseite gibt aber nicht nach, sondern macht
dasselbe. Immer kombiniert mit der Rhetorik, dass man nur legitime
Sicherheitsinteressen verteidigt – und mit der Warnung, dass
Nachgeben als Schwäche ausgelegt und umgehend ausgenützt würde.
Noch besteht parallel zur Eskalationsspirale ein Dialog. Diese Woche
wollen die USA schriftlich auf die Forderungen Russlands antworten,
wie Moskau ultimativ gefordert hatte. Und die Außenminister beider
Länder haben weitere Gespräche vereinbart.
Die Strategen beider Seiten mögen glauben, dass sie ihr
diplomatisch-militärisches Stellungsspiel unterhalb der Schwelle
eines Kriegs halten können. Dass ihr Säbelrasseln vor allem dazu
dient, die eigene Verhandlungsposition zu verbessern. Aber mit jedem
Tag, an dem sie weiter an der Eskalationsspirale drehen, ohne dass
ein für beide Seiten akzeptabler Ausweg erkennbar wird, wächst die
Gefahr, dass ihnen die Kontrolle über die Konflikt-Dynamik
entgleitet. Dann kann es doch zu einem Krieg kommen, den Russland
angeblich nicht geplant hatte und den der Westen angeblich zu
verhindern trachtete.
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