- 22.12.2021, 17:49:38
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Langjähriger ORF-Landesintendant Prof. Paul Twaroch verstorben
Wien (OTS) - Der frühere Intendant des ORF-Landesstudios
Niederösterreich, Paul Twaroch, ist am 21. Dezember 2021 im Alter von
89 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit in Wien gestorben. Der ORF
trauert um einen Pionier der ersten Stunde. 20 Jahre lang stand der
studierte Jurist an der Spitze des ORF Niederösterreich. In dieser
Zeit wurden zahlreiche Programm-Innovationen umgesetzt. Vor seiner
Tätigkeit im Landesstudio hatte er acht Jahre lang die Funktion des
ORF-Generalsekretärs ausgeübt.
20 Jahre an der Spitze des ORF Niederösterreich
Die Schwerpunkte in Paul Twarochs Amtszeit (1978 bis 1998) waren
unter anderem die Übersiedlung des Landesstudios von Wien in die
Landeshauptstadt St. Pölten, die Regionalisierung des Radioprogramms,
die Einführung der Fernsehsendung "Niederösterreich heute" sowie das
Setzen zahlreicher kultureller Aktivitäten.
ORF-Generaldirektor Dr. Alexander Wrabetz: „Mit Paul Twaroch verliert
der ORF eine Persönlichkeit, die rund drei Jahrzehnte die Geschicke
des ORF mitbestimmte. Als Generalsekretär und danach 20 Jahre lang
als Intendant des ORF-Niederösterreich war er gleichermaßen
prägend für den Erfolg des Unternehmens und die Arbeit der
Landesstudios. Er und seine viel zu früh verstorbene Tochter Eva
Twaroch bleiben dem ORF unvergessen.“
Designierter ORF-Generaldirektor Mag. Roland Weißmann: „Paul Twaroch
war ein Pionier der Regionalität, ein Verbinder und Innovator, der
das Programmentwickeln als humanitären Dienst am Publikum verstand.
Sein Wirken beeinflusste Generationen von heimischen Journalistinnen
und Journalisten und prägte den ORF über Jahrzehnte. Sein Credo –
Programm für alle Menschen machen zu können – ist mehr denn je
gültig.“
ORF-Niederösterreich Landesdirektor Norbert Gollinger und der
designierte Landesdirektor Robert Ziegler: „Wir trauern um einen
großen Vorreiter. Paul Twaroch hat erhebliche Pionierarbeit geleistet
in der Entwicklung des Landesstudios. Die Nähe zum Publikum und
Regionalität waren ihm stets wichtig. Das erreicht man nur, indem man
im Land unterwegs ist und bei den Menschen ist. Das hat Paul Twaroch
schon früh zum Status quo der täglichen Arbeit gemacht. Ein Beispiel
für Publikumsnähe ist etwa die Livesendung „Radio 4/4“, die er ins
Leben gerufen hat. Quer durchs Bundesland sind wir mit dieser Sendung
auch heute regelmäßig in den Gemeinden zu Gast – sie ist immer noch
eine wichtige Marke des ORF Niederösterreich.“
Paul Twarochs Werdegang und seine Leidenschaft für das Publikum
Paul Twaroch wurde am 15. März 1932 in Wien geboren. Nach seiner
Promotion arbeitete er zwischen 1958 und 1963 in der Finanzprokuratur
als Rechtsvertreter der Republik Österreich. Zwischen 1963 und 1970
war Twaroch als Wirtschaftsjurist im Bundesministerium für Handel und
Wiederaufbau tätig sowie als Leiter des Büros des damaligen
Bundesministers für Bauten und Technik.
1970 holte ihn ORF-Generalintendant Gerd Bacher als Generalsekretär
in den ORF. 1978 wurde er Landesintendant des ORF Niederösterreich.
Nicht hinter dem Schreibtisch sollten die Reporter und
Journalistinnen sitzen, sondern unterwegs sein, so lautete immer die
Devise Paul Twarochs: „Radiomachen heißt, etwas für die Menschen zu
tun. Wir glauben, dass wir mit Radio Niederösterreich besonders ein
Radio von Menschen für Menschen machen, mit all deren vielfältigen
Wünschen und Bedürfnissen, ob sie nun einsam sind oder Sehnsüchte
haben, ob sie sich nur zerstreuen oder sich bilden wollen.“
Zahlreiche Programminnovationen für den ORF Niederösterreich
Twaroch erweiterte das Radioprogramm des Landesstudios
Niederösterreich, von ursprünglich täglich sieben auf 17 Stunden. Er
initiierte auch zahlreiche neue Sendungen wie etwa "Radio 4/4" oder
den "Grafenegger Advent". "Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir
die Menschen dort treffen, wo sie leben und wo sie sind. So können
wir sie auch verstehen, und so haben wir Kontakt und können nicht nur
für und über sie Programm machen, sondern auch mit ihnen", so Twaroch
über seine Programmphilosophie.
Besonders gewürdigt wurde sein hartnäckiges Bemühen um die
Nachbarschaft mit der Tschechoslowakei, und das in einer Zeit, als
von Glasnost und Perestrojka noch lange nicht die Rede war. "Wir
waren die kleine Maus, die den Eisernen Vorhang anknabberte", blickte
er einmal zurück.
Als Landesintendant nahm er bereits in den frühen 1980er-Jahren
Kontakt zum damals noch kommunistischen Nachbarland Tschechoslowakei
auf. Das Landesstudio veranstaltete in niederösterreichischen,
böhmischen, mährischen und slowakischen Schlössern Konzerte, die der
ORF und die Radiostationen des Nachbarlandes live übertrugen. Im
September 2021 erhielt Paul Twaroch für die Gründung dieser
Konzertreihe „Begegnung mit dem Nachbarn“ den Preis „Gratias agit“
der tschechischen Republik. Diese Auszeichnung erhalten Personen, die
sich um die Verbreitung eines guten Namens der tschechischen Republik
im Ausland verdient machen.
Mit diesem Engagement über die Grenzen hinaus begannen neue
Beziehungen. Als es darum ging, das Geburtshaus Karl Renners im
mährischen Dolni Dunajovice (Unter Tannowitz) zu revitalisieren, war
er ebenso dabei wie bei vielen weiteren kulturellen Initiativen, ob
bei der Renovierung von Stift Dürnstein (Bezirk Krems) oder Stift
Geras (Bezirk Horn) oder bei der Wiederentdeckung des fast in
Vergessenheit geratenen Komponisten Ignaz Joseph Pleyel (1757-1831),
geboren in Großweikersdorf (Bezirk Tulln), weltberühmt geworden in
Paris.
Von der Argentinierstraße 30a auf den Radioplatz 1
Kurz nach dem Beschluss des Landtags im Jahr 1986, durch den St.
Pölten zur Landeshauptstadt von Niederösterreich wurde, eröffnete der
ORF in der Stadt an der Traisen eine Expositur des Landessstudios,
das seinen Sitz seit der Gründung 1967 in der Wiener
Argentinierstraße hatte.
Der 17. September 1998 war einer der wohl wichtigsten Tage in der
ORF-Laufbahn Paul Twarochs, als er das neue Landesstudio eröffnen
konnte. Bald darauf übergab er die Schlüssel des von Gustav Peichl
entworfenen Hauses mit der Adresse Radioplatz 1 an seine Nachfolgerin
Monika Lindner. Es sei "ein Abschied ohne Wehmut", betonte Twaroch
damals.
Geehrt, gewürdigt und geschätzt
Dem niederösterreichischen Kulturleben blieb er auch nach seinem
Abschied vom ORF unter anderem als Publizist weiterhin verbunden. Er
war viele Jahre Präsident des Niederösterreich-Fonds und
Mitherausgeber der Kulturzeitschrift „morgen“. Für den Verband
Österreichischer Zeitungen ging er in den Österreichischen Presserat,
dessen Vorsitz er von 2001/02 führte. Als profunder Kenner des
Rundfunkrechts und Lehrbeauftragter an den Universitäten Wien, Krems,
Klagenfurt und München verfasste er einen Kommentar zum
Rundfunkgesetz 1974, der über sehr viele Jahre als Standardwerk galt.
Twaroch wurde im Laufe seiner Karriere mit zahlreichen Preisen und
Orden ausgezeichnet. 1992 wurde er mit dem Berufstitel Professor
geehrt, drei Jahre danach von der Stadt St. Pölten mit dem
Jakob-Prandtauer-Preis für Wissenschaft und Kunst. 1997 erhielt er
das Goldene Komturkreuz des Ehrenzeichens für Verdienste um das
Bundesland Niederösterreich sowie den Leopold-Kunschak-Preis, zwei
Jahre später bekam er das Große Silberne Ehrenzeichen für Verdienste
um die Republik Österreich und das Komturkreuz des Gregorius-Ordens
mit Stern verliehen. Paul Twaroch war auch Ehrenbürger der Gemeinde
Großweikersdorf in Anerkennung seiner Bemühungen um den Komponisten
Pleyel.
"Es war schön, ein Programm für alle Menschen machen zu können",
sagte Paul Twaroch bei einer Feier anlässlich seines 80. Geburtstags.
Er habe sich auch bemüht, "die Spuren unserer Herkunft zu sichern",
denn "Heimat, wie ich sie empfinde, ist nicht Enge, sondern Tiefe",
so Twaroch.
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