Florestan-Initiative bringt erneute Verfassungsklage sowie Menschenrechtsbeschwerde beim EGMR ein
Wien (OTS) - Die „Florestan“-Initiative von Pianist & Dirigent Florian Krumpöck und Kulturmanager Mag. jur. Florian Dittrich hat im März 2021 zusammen mit dem Rechtsanwalt Dr. Wolfram Proksch (ETHOS.legal) eine Verfassungsklage zum Schutz und für die Rechte der Kunst und Kultur eingebracht. Unter den Unterstützer*innen der Florestan-Initiative finden sich unter anderem Angelika Kirchschlager, Alfred Dorfer, Nikolaus Ofczarek, Günther Groissböck, Gerhard Ruiss, Maria Köstlinger, Jürgen Maurer und die Politikwissenschaftlerin Dr. Ulrike Guérot.
Aktuell bestätigt sich zum wiederholten Male, wie unausgereift die erneuten überraschenden Schließungen und ebenso kurzfristigen Öffnungen angesichts der nachgewiesenermaßen geringen Ansteckungsgefahr im Kulturbereich sind. Diese Kurzsichtigkeit verschlechtert die ohnehin bereits prekäre Lage vieler Kulturschaffender noch weiter. Nach wie vor kam es seit Beginn der Pandemie im Gegensatz zu anderen öffentlichen Bereichen zu keinerlei relevanten Cluster-Bildungen im Publikumsbereich! Nicht nur die Religionsgemeinschaften scheinen trotz der grundsätzlichen Gleichheit aller Grundrechte einen höheren politischen Schutz als die Kultur zu genießen – auch die Wintersportgebiete besitzen in Österreich wohl eine Art ungeschriebenes Grundrecht!
Während also österreichische Kulturbetriebe mit erneuten wochenlangen Schließungen konfrontiert waren, bieten Seilbahnbetriebe Geimpften und Genesenen uneingeschränktes Skivergnügen an. Aus welchen Gründen durften unsere Theater, unsere Opern- und Konzerthäuser nicht unter den gleichen Sicherheitsbedingungen aufsperren? Soll das bei allen zukünftigen, möglichen Lockdowns so weiter fortgeführt werden? Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass Religionsausübende und der Wintersport offenkundig begünstigt werden, ist die Argumentation des VfGh „es handle sich um keine Diskriminierung der Kunst- und Kulturschaffenden“, nicht haltbar. Ebendeshalb wird die Florestan-Initiative erneut Individualanträge gegen die aktuelle Lockdown-Verordnung beim VfGh einbringen, in der Hoffnung, dass Kultur in ihrer integralen gesellschaftlichen Bedeutung wieder auf eine Ebene mit der Religion gestellt wird, wie es laut unserer Verfassung eigentlich selbstverständlich sein sollte.
Grundsätzlich steht die Florestan-Initiative für die Ermöglichung von grundrechtlich geschützten kulturellen, religiösen und gesellschaftlichen Zusammenkünften unter Einhaltung diverser Maßnahmen, die Infektionsketten größtenteils ausschließen (2G; 2,5G; ggfs. zzgl. FFP2 Maskenpflicht) und sieht die Sinnhaftigkeit undifferenzierter Gesamt-Lockdowns weder als bewiesen noch als gegeben. Lockdowns haben bezogen auf das Publikum eine über die Dauer der Lockdowns weit hinausgehende negative Wirkung, die nicht nur den kurzfristigen Kartenverkauf schwer belastet, sondern vielmehr das Abonnementsystem durch Vertrauensverlust langfristig schädigt. Zentrale Handlungsmaxime politischer Entscheidungen während der andauernden Pandemie sollte die Überlegung sein, zu ermöglichen was ausreichend sicher erscheint und eben nicht möglichst weitreichend zu verbieten, was vielleicht gefährlich sein könnte.
„Und wieder überschattet der Wintertourismus die Kultur. Das wintersportliche Wirtschaftsmonopol scheint der Regierung wichtiger zu sein als die zentrale demokratische Bedeutung der Kunst und Kultur. Ich stehe fassungslos vor den Entscheidungen und Abwägungen, die zu Beginn dieser herausfordernden Zeit getroffen wurden und bin umso schockierter, dass diese selbst nach rechtsstaatlicher Überprüfung nach wie vor nach politischem Interesse ausgerichtet werden. Müssen wir uns in einer freien Gesellschaft, die ein Anrecht auf Kunst, Kultur und altersunabhängige Bildung als zentrale Säulen des Menschseins hat, tatsächlich mit vagen Begründungen zufriedengeben? Vergessen wir nicht: Kunst ermöglicht einen inneren Kompass, welcher Gräben, die durch Angst, Hass und Verachtung aufgerissen wurden, mit Hoffnung und Zuversicht begegnet und uns alle dem tief empfunden Wunsch nach Freiheit näher bringen kann“. (Florian Krumpöck)
Zuletzt wurden die ausführlich begründeten Individualanträge vom VfGh mit einer vergleichsweise knappen Begründung abgewiesen.
Im Kern meinten die Höchstrichter, dass die Vorschriften nur auf die Verhinderung von „Menschenansammlungen“, ohnedies „nur“ gegen die „live“-Auftretenden und nicht „intentional“ auf das Verbot von kulturellen Veranstaltungen gerichtet gewesen wären. In Anbetracht der volatilen virologischen Situation hätte es sich um „geeignete“ Maßnahmen gehandelt. Der VfGh hielt fest, dass die Maßnahmen „geeignet“ gewesen seien, zeigte aber aus Sicht der Antragsteller nicht auf, inwiefern das monatelange Auftritts- und faktische Berufsverbot verhältnismäßig war, bzw, weshalb keine weniger grundrechtsinvasiven Maßnahmen möglich gewesen wären. Die von der Initiative vorgelegten Beweise im Zusammenhang mit dem Teatro Real Madrid (seit Juli 2020 durchgehend geöffnet) und der Aerosol-Studie aus dem Konzerthaus Dortmund des Fraunhofer-Instituts wurden vom VfGh nicht hinreichend gewürdigt. Grund- und Menschenrechte stehen nach einhelliger Meinung in keiner Hierarchie: Dennoch wurde die verfassungsrechtlich verankerte Freiheit der Kunst durch Lockdowns beschnitten, während der Besuch von öffentlichen Gottesdiensten im Rahmen der ebenso grundrechtlich geschützten Religionsausübung weiterhin möglich blieb. Eine Erklärung für die Bevorzugung religiöser Praktiken gegenüber kulturellen Grundbedürfnissen blieb der VfGh bedauerlicherweise schuldig.
Da das Urteil des österreichischen Verfassungsgerichtshof wesentliche Aspekte der Grund- und Freiheitsrechte, nicht nur die Eigentums- und Erwerbsfreiheit der Kunst- und Kulturschaffenden, sondern insbesondere die Freiheit der Kunst, die Gedanken- und Gewissensfreiheit, die Meinungsfreiheit, das Recht auf Bildung und auch das allgemeine Diskriminierungsverbot nach Ansicht der Florestan-Initiative nicht ausreichend würdigt, wird derzeit eine Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eingebracht.
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