• 06.12.2021, 22:00:32
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TIROLER TAGESZEITUNG "Leitartikel" Ausgabe vom Dienstag, 7. Dezember 2021, von Michael Sprenger: "Die Phrasen zum Neuanfang"

Innsbruck (OTS) - Nach Schallenberg hat jetzt Nehammer als
Regierungschef das Sagen. Und wieder einmal soll alles besser werden.
Voraussetzung hierfür wäre aber, die Fehler der Vergangenheit zu
erkennen, zu benennen und sie nicht zu wiederholen.

Wieder Neuanfang! In Österreich kommt man aus dem Staunen nicht mehr
heraus. Keiner zeigt mehr mit dem Finger gen Italien. Während dort in
der jüngeren Vergangenheit politische Stabilität Einkehr gehalten
hat, werden hierzulande hohle Phrasen bemüht. Mit jeder Angelobung,
kurzum mit jedem Neuanfang rücken die neuen Regierungsmitglieder aus,
um von Demut und Respekt zu schwafeln. Es schmerzen einem dabei
geradezu die Ohren.
Wer soll noch daran glauben, dass mit Bundeskanzler und ÖVP-Obmann
Karl Nehammer alles anders wird? Denn wenn alles anders, gemeint ist
besser, werden soll, dann müssten die von sich so überzeugten
Bessermacher längst wissen, was denn in der Vergangenheit für Fehler
gemacht worden sind. Doch davon ist nie die Rede. Ganz im Gegenteil.
Der radikal gescheiterte Sebas­tian Kurz wird von seinen Fans in der
ÖVP weiterhin als geradezu messianisch verehrter Hoffnungsträger, als
Ausnahmepolitiker gefeiert. Im Moment der schwersten Krise der ÖVP
gibt man sich dort auffallend unkritisch. Wer entschuldigt sich wegen
der falschen plakativen Versprechungen? Niemand von den
Verantwortlichen distanziert sich von den jüngsten Angriffen auf
Rechtsstaat und Justiz. Sollen diese also fortgeführt werden? Wir
hören nichts von den Gefahren von Hybris und Narzissmus in der
Politik. Geschwiegen wird über den Vorwurf erkaufter Wahlerfolge,
nichts ist zu hören von den Vorwürfen der Untreue, Bestechlichkeit
und Bestechung. So ist und bleibt der Zweck oberste Maxime, und alle
Mittel heilig, um diesen zu erreichen.
Wieder Neuanfang? Karl Nehammer hat keinen leichten Job
übernommen. Der Kampf gegen die Pandemie alleine würde schon
ausreichen, um von einer enormen Herausforderung zu sprechen. Doch es
geht um viel mehr. Das System Kurz steht für die Boulevardisierung
der Politik, für Message Control, für einen Hang zum Autoritären, für
eine Allianz mit den Autoritären.
Aber Achtung! Tun wir Nehammer, der mit und durch Kurz groß
geworden ist, Unrecht? Will er nicht nur von Neuanfang reden, sondern
diesen versuchen? Als gelernter Österreicher ist Skepsis angesagt.
Die ersten Entscheidungen auf der Regierungsbank können zumindest
nicht als Aufbruch interpretiert werden. Zum Beispiel
Bildungsminister Heinz Faßmann: Er war nicht immer gewillt, sich Kurz
und seinen Epigonen zu unterwerfen. Er musste gehen. Ministerin
Elisabeth Köstinger steht für den Gegenentwurf und wird belohnt. Also
gut – wir warten trotzdem ab. Es herrscht Neuanfang.

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