Frauen, höher Gebildete und Jugendliche am stärksten betroffen; Krise eröffnete Chancen für Niedrigqualifizierte in atypischen Beschäftigungen
Mit der Flüchtlingskrise 2015/2016 entbrannte in Österreich eine Debatte über die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten aus dem Nahen und Mittleren Osten. Zwei Studien des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) und des International Centre for Migration Policy Development (ICMPD) haben sich nun die Auswirkungen der Coronakrise auf die Berufslaufbahnen von Menschen aus den Hauptherkunftsländern Syrien, Afghanistan, Irak und Iran angesehen. Klares Fazit: „Auch wenn die Dynamik am Arbeitsmarkt für Flüchtlinge in der Pandemie insgesamt durchaus positiv war, verschlechterte sich die Situation für Frauen, höher Gebildete und Jugendliche markant“
, erklärt Sandra Leitner, Senior Economist am wiiw und Co-Studienautorin.
Das zeigen die Ergebnisse der FIMAS-Umfrage, die das wiiw und ICMPD seit 2016 einmal im Jahr unter in Österreich lebenden Flüchtlingen aus den genannten Herkunftsländern durchführen, und die beiden Untersuchungen zugrunde liegt. Zur Beurteilung der Arbeitsmarktintegration wurde dafür die dritte Welle der Umfrage aus dem Frühjahr 2019 – also vor Beginn der Coronakrise – mit den Ergebnissen der vierten Welle im Herbst 2020 – mitten in der Krise – verglichen. Nur Personen, die an beiden Umfragen teilgenommen hatten (615), wurden berücksichtigt. Um die besondere Situation von Jugendlichen abzubilden, wurde ebenfalls die vierte Welle der Umfrage im Herbst 2020 herangezogen, an der 1.340 Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren teilgenommen hatten.
Rund 80% jener Flüchtlinge, die vor Covid-19 einer Beschäftigung nachgingen, taten das auch noch im Herbst letzten Jahres. 13% waren dagegen arbeitslos geworden, 7% hatten in den Status „inaktiv“ gewechselt, waren also weder auf Arbeitssuche noch in einem Job. Immerhin 51% aller Geflüchteten, die vor Beginn der Coronakrise nach Arbeit suchten, nahmen in der Krise eine Beschäftigung auf, während 35% arbeitslos blieben und 14% in die Inaktivität rutschten. 48% jener, die vor der Pandemie inaktiv waren, ergriffen eine Arbeit, 22% begaben sich auf Arbeitssuche. Allerdings: Rund 60% jener, die aus der Arbeitslosigkeit heraus in der Krise einen Job fanden, nahmen eine atypische Beschäftigung auf, etwa als Paketzusteller oder Essenslieferant.
Leidtragende Frauen und Hochqualifizierte
„Frauen wechselten in der Krise nicht nur viel öfter in die Inaktivität, sondern gelangten aus dieser heraus auch viel seltener wieder in Beschäftigung“
, analysiert Leitner. Ähnliches gilt für gut gebildete Flüchtlinge mit Hochschulabschluss. Gut Qualifizierte, die während der Pandemie weiterhin in Beschäftigung blieben, verloren an beruflichem Status, etwa weil sie schlechtere Jobs annehmen mussten.
Eine zwiespältige Rolle spielten in der Krise migrantische Communities. Bei stärkerer sozialer Vernetzung mit anderen MigrantInnen beobachteten die StudienautorInnen einerseits eine stärkere Bewegung Richtung Arbeitslosigkeit und Inaktivität sowie eine längere Verweildauer in diesen. Andererseits wechselten Flüchtlinge mit starker Verwurzelung in einer Community aber auch viel öfter in ein atypisches Beschäftigungsverhältnis. „Das deutet darauf hin, dass migrantische Netzwerke Geflüchteten sehr oft dabei helfen, Jobs in Nischen zu finden, zum Beispiel bei Zustelldiensten, als Lagerarbeiter oder in Supermärkten“
, konstatiert Leitner.
Schul- und Ausbildungsabbruch bei den Jungen
Im Hinblick auf die Integration junger Geflüchteter weisen die StudienautorInnen auf das Potenzial des Erwerbs österreichischer Schul- und Ausbildungsabschlüsse hin: „Durch Förderung der Bildungskarrieren junger Geflüchteter können die Chancen auf eine spätere erfolgreiche Arbeitsmarktintegration optimiert werden“
, erklärt Paul Baumgartner, Policy Analyst am ICMPD und Co-Studienautor.
Junge Flüchtlinge im Alter zwischen 15 und 24 Jahren sind am Arbeitsmarkt in einer ganz besonders sensiblen Situation. Viele dieser jungen Personen sind im schulpflichtigen Alter nach Österreich gekommen und haben bereits österreichische Schul- und Bildungsabschlüsse erworben. Ein Fünftel der jungen Geflüchteten befindet sich in Lehrausbildung oder hat bereits eine Lehre abgeschlossen. Als Problem identifizieren die StudienautorInnen den Abbruch der Schule oder der Ausbildung. Fast drei von zehn setzten diesen Schritt, oft mit entsprechend negativen Konsequenzen für ihre weitere Erwerbsbiografie. Rund ein Viertel der jungen Geflüchteten ist weder erwerbstätig noch in einer Ausbildung.
Je älter junge Flüchtlinge sind, je länger sie in Österreich leben, und je besser sie Deutsch können, desto höher ist auch ihre Wahrscheinlichkeit, erwerbstätig zu sein. Bei Frauen und jungen Geflüchteten mit Kindern sowie jenen, die in Wien leben, ist die Erwerbswahrscheinlichkeit geringer.
Die Coronakrise hatte auch bei jungen Flüchtlingen negative Auswirkungen auf Schule und Beruf. Distance-Learning traf die ohnehin oft mit Sprachschwierigkeiten und Lernproblemen kämpfende Gruppe hart. Am Arbeitsmarkt waren 23% der erwerbstätigen jungen Geflüchteten von Kündigung oder Kurzarbeit betroffen, 19% mussten ihre Stunden reduzieren. „Da Gefllüchtete überproportional oft in instabilen und atypischen Beschäftigungsverhältnissen tätig sind, waren sie besonders von den negativen Auswirkungen von Covid-19 am Arbeitsmarkt betroffen“, so Baumgartner.
Gleichzeitig waren viele (junge) Geflüchtete in „systemrelevanten“ Branchen und Berufen tätig, die in der Zeit der weitreichenden Beschränkungen des öffentlichen Lebens etwa die Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Konsumgütern sicherstellten. Auch zeigte sich im Vergleich mit früheren Befragungen, die vor Beginn der Pandemie durchgeführt wurden, eine berufliche Verschiebung weg von Branchen wie Handel und Gastronomie hin zu anderen Branchen, die von Corona weniger in Mitleidenschaft gezogen wurden oder sogar einen Aufschwung erfuhren (z. B. Transport und Logistik, Paketzustellung).
Finanziert wurden beide Studien über die Nationale Integrationsförderung des Bundeskanzleramtes sowie aus Fördermitteln der AMS-Bundesgeschäftsstelle, der Stadt Wien und der Stadt Graz.
Über das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw)
Das wiiw ist ein wirtschaftswissenschaftlicher Think Tank, der seit fast 50 Jahren volkswirtschaftliche Analysen und Prognosen zu derzeit 23 Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas erstellt. Zudem betreibt das wiiw Forschung zu Makroökonomie, Handelsfragen, Wettbewerbsfähigkeit, Investitionen, zum europäischen Integrationsprozess, zu Regionalentwicklung, Arbeitsmärkten, Migration und Einkommensverteilung.
Über das International Centre for Migration Policy Development (ICMPD)
Das “International Centre for Migration Policy Development” (ICMPD) ist eine Internationale Organisation mit 19 Mitgliedsstaaten und rund 460 MitarbeiterInnen. Mit Aktivitäten in über 90 Ländern verfolgt ICMPD einen regionalen Ansatz um erfolgreiche Kooperationen und Partnerschaften entlang von Migrationsrouten zu entwickeln. Die geografischen Schwerpunktgebiete liegen in Afrika, Zentral- und Südasien, Europa und dem Nahen Osten. ICMPD stützt seine Arbeit dabei auf einen dreigliedrigen Zugang: „Politische Grundlagen & Forschung“, „Migrationsdialoge“ und „Capacity Building“ werden gleichermaßen herangezogen.
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