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TIROLER TAGESZEITUNG "Leitartikel" vom 7. Oktober 2021 von Michael Sprenger "Die beschädigte Republik"

Innsbruck (OTS) - Wurde die Machtübernahme von Sebastian Kurz mit
korrupten Methoden erreicht? Die Ermittlungen erhärten diesen
Verdacht. Die Vorwürfe gegen den Kanzler und sein Umfeld betreffen
Bestechlichkeit, Bestechung und Untreue.

Zuallererst gilt die Unschuldsvermutung. Möge es auch noch so eng
werden. Und es wird eng! Für Bundeskanzler Sebastian Kurz, für seine
politischen Weggefährten. Die neuen Ermittlungen betreffen den
Verdacht der Bestechlichkeit, Bestechung und Untreue. Als
Sammelbegriff nennt man dies alles Korruption.
Die Ermittler haben umfangreich gearbeitet. Ihre mehr als 100 Seiten
starke Anordnung für die Hausdurchsuchungen liest sich wie ein
unglaublicher Politik-Krimi.
Es wird eng! Der Kernvorwurf der Ermittler lautet zusammengefasst:
Kurz und seine Getreuen haben die Machtübernahme im Jahre 2017 nicht
nur mit dem „Projekt Ballhausplatz“ auf dem Reißbrett vorbereitet,
sie waren auch bereit, für ihr Ziel mit gekauften und geschönten
Umfragen und Stimmungsbildern zu arbeiten. Dafür sollen sie mit dem
Boulevardblatt Österreich (begleitet mit einer 1,1 Mio. Euro teuren
Inseratenkooperation) und einem Umfrageinstitut gemeinsame Sache
gemacht haben. Eingebunden war die Meinungsforscherin und damalige
ÖVP-Ministerin Sophie Karmasin. Finanziert wurde dies vom
ÖVP-Finanzministerium, also von der öffentlichen Hand.
Die neuen Verdachtsfälle, die am Mittwoch zu Hausdurchsuchungen im
Kanzleramt, in der ÖVP-Zentrale und im ÖVP-geführten
Finanzministerium geführt haben, haben nichts mit der Causa Ibiza und
alledem zu tun, sie betreffen die Zeit der Machtübernahme und den
Beginn der Koalition der ÖVP mit der FPÖ. Doch die Tatsache, dass der
Kanzler nicht nur wegen einer mutmaßlichen Falschaussage als
Beschuldigter geführt wird, sondern jetzt auch in einem
Korruptionsfall, betrifft und beschädigt die Republik als Ganzes.
Damit steht auch zwangsläufig die Koalition zwischen ÖVP und Grünen
vor einer Zerreißprobe. Wie lange halten die Grünen, die
selbsterklärte Partei der sauberen Politik, das alles noch aus?
Sollten sich die detaillierten Vorwürfe der Ermittler bestätigen,
dann kommt es zwangsläufig zu einem Mega-Prozess – und die Spitze der
Kanzlerpartei müsste auf der Anklagebank Platz nehmen. Für alle
Beschuldigten würde auch dann noch die Unschuldsvermutung gelten. Das
ist keine Floskel, sondern ein unumstößliches Prinzip des
Rechtsstaates. Nein, Kurz wird sich nicht entschuldigen. Vorerst wird
alles an ihm abperlen. Er wird sich als Opfer inszenieren. Doch wie
reagieren seine Anhänger? Vielleicht wird ihnen klar, warum die ÖVP
Attacken gegen die Justiz reitet, wird augenscheinlich, was Kurz mit
„neuem Stil“ gemeint haben könnte. Es wird eng!

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