- 05.04.2021, 22:00:01
- /
- OTS0030
Leitartikel "Kurz in Nöten" vom 6. April 2021 von Michael Sprenger
Innsbruck (OTS) - Der Kanzler konnte sich auf die Getreuen verlassen
– und sie sich auf ihn. Jetzt werden die Jung-Türkisen zum Hemmschuh
– und zur Bedrohung für Kurz. Es wird eng. Also muss anderswo ein
Erfolg her. Deshalb will er Sputnik kaufen.
Von Michael Sprenger
Nach allem, was bisher bekannt geworden ist: Thomas Schmid ist als
Alleinvorstand der Staatsholding ÖBAG nicht mehr tragbar. Diese
Meinung hörte man bereits vor Monaten aus dem Büro des Kanzlers. Doch
Schmid konnte sich bis heute auf seinen Kanzler verlassen. Und Kurz
auf Schmid.
Doch mittlerweile ist ein Teil der Chatprotokolle aus Schmids
beschlagnahmtem Handy bekannt geworden. Ein regelrechtes Sittenbild
wurde in diesen türkisen Kurz-Nachrichten von und an Schmid,
Finanzminister Gernot Blümel und Sebastian Kurz niedergeschrieben.
Was ist nur los in der Familie?
Spätestens jetzt müsste Blümel in seiner Funktion als Finanzminister
Schmid zum Rücktritt bewegen. Er wird dies wohl nicht tun. Also muss
Blümel davon ausgehen, dass er in den kommenden Tagen immer öfter als
Ablösekandidat gehandelt wird. Doch der Finanzminister weiß um die
Loyalität seines Bundeskanzlers. Oder weiß man nur viel zu viel
voneinander? Gemeinsam hatte man das Projekt Ballhausplatz
ausgearbeitet und umgesetzt.
Nach außen hin übt sich das Umfeld des ÖVP-Obmannes in Gelassenheit.
Intern brodelt es, der junge Kanzler in Nöten. In Umfragen verliert
die ÖVP – wenn auch noch auf hohem Niveau – signifikant an Boden. Die
grüne Koalitionspartnerin ist nicht mehr gewillt, alles abzunicken.
Die Grünen müssen auf sich selbst achten. Sie unterstützen die
unabhängige Justiz. Von der Staatsanwaltschaft droht der
Kanzlerpartei auch die größte Gefahr.
Wenn also Kurz keinen personellen Befreiungsschlag setzen will oder
kann, muss er einen anderen Weg finden. Er dürfte sich dabei an
seinem Vertrauten Benjamin Netanjahu orientieren. Der
Ministerpäsident hat trotz Korruptionsprozess erneut die Wahl in
Israel gewonnen – weil er im Kampf gegen die Pandemie einen rigorosen
Kurs einschlug. Kurz kann nicht so agieren wie Netanjahu, kann kein
Sonderabkommen mit BioNTech/Pfizer abschließen. Da fehlen ihm als
Chef eines EU-Landes politische Mittel. Aber er kann die EU in Sachen
Impfung zum Sündenbock stempeln. Das tut er. Zugleich will er Sputnik
V kaufen. Das kann er, weil Moskau diesbezüglich mit der EU noch
keinen Vertrag abgeschlossen hat. Der russische Impfstoff ist in der
EU zudem (noch) nicht zugelassen. Kurz riskiert ein Zerwürfnis auf
europäischer Ebene. Doch sein Kalkül ist klar: Kann er trotz alledem
einen Impf-Erfolg landen, sind alle Vorwürfe vergessen und die ÖVP
selbst für eine Neuwahl gerüstet.
OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | PTT