• 03.01.2021, 09:33:37
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  • OTS0008

ÖJC fordert: Keine Auslieferung von Julian Assange an die USA

Exklusivinterviews mit dem US-Journalisten Kevin Gosztola und der deutschen Regisseurin und Journalistin Angela Richter

Utl.: Exklusivinterviews mit dem US-Journalisten Kevin Gosztola und
der deutschen Regisseurin und Journalistin Angela Richter =

Wien (OTS) - Morgen Vormittag (4.1.2021) findet der
Auslieferungsprozess gegen Julian Assange mit der Urteilsverkündung
vor dem Westminster Magistrates Court in London ein erstinstanzliches
Ende. Weltweit warten die Unterstützer des WikiLeaks-Gründers auf die
Entscheidung der Richterin Vanessa Baraitser. Julian Assange ist in
17 Punkten wegen Spionage angeklagt, in einem Punkt wegen
Computer-Hacking. Im Falle einer Auslieferung an die USA drohen ihm
dort 175 Jahre Haft. Seit Jahren kämpfen Juristen und tausende
Unterstützer um die Freiheit des australischen Journalisten und
Verlegers. Der Präsident des Österreichischen Journalist*innen Clubs
(ÖJC), Fred Turnheim, fordert keine Auslieferung von Julian Assange
an die USA und seine sofortige Freilassung.

Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Prof. Nils Melzer: „Wenn
die rechtsstaatlichen Institutionen, die sich mit diesem Fall
befassen, das Papier wert sind, auf dem ihre Namen geschrieben sind,
wenn sie das Recht beachten, dann kann Mr. Assange nicht ausgeliefert
werden. Das ist illegal.” Die Aussage Melzers stützt sich auf einen
Auslieferungsvertrag zwischen Großbritannien und den USA, der die
Auslieferung für politische Straftaten – wie Spionage es ist –
verbietet.

Barbara Meister hat für den ÖJC den amerikanischen Journalisten Kevin
Gosztola, der für seine Arbeit zu Whistleblowern, WikiLeaks,
nationaler Sicherheit, Geheimhaltung, bürgerlichen Freiheiten und
digitaler Freiheit bekannt ist, einige Fragen zu seiner Sicht auf den
Fall Assange gestellt:

ÖJC: Das Auslieferungsabkommen zwischen GB und den USA besagt, dass
eine politisch motivierte Auslieferung nicht zulässig ist. Warum
konnte dann überhaupt dieser monatelange Prozess geführt werden?

Kevin Gosztola: Die unzähligen Offenen Briefe von Anwälten, Richtern,
Politikern, Nobelpreisträgern, Künstlern, Intellektuellen,
Journalisten, Aktivisten und renommierten NGOs stehen dafür, dass das
Auslieferungsverfahren niemals hätte zugelassen werden dürfen. Sajid
Javid, der Innenminister der britischen Regierung, hätte die
Auslieferungsanordnung damals nicht unterzeichnen müssen.

ÖJC: Warum erhält der Fall Julian Assange weltweit so wenig
Aufmerksamkeit von der Presse und Journalisten?

Kevin Gosztola: Der WikiLeaks-Gründer Julian Assange erhält so wenig
Unterstützung, weil die Kampagnen gegen seinen Charakter und seinen
journalistischen Ruf erfolgreich waren. Es gab reichlich Propaganda
in den vergangenen zehn Jahren, die von aktuellen und ehemaligen
US-Regierungsbeamten gefördert wurde. Ganze Regierungsbehörden haben
Assange als Feind der Vereinigten Staaten ins Visier genommen. Das
hat Assanges Fähigkeit beeinträchtigt, Unterstützung zu mobilisieren.

ÖJC: In einem Pressestatement erklärte am 22. Januar 2020 der
WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson, dass die
Trump-Administration argumentiert, dass der Erste Zusatzartikel der
US-Verfassung Ausländern wie Julian Assange keinen Schutz der
Pressefreiheit gewährt. Wie wird sich dieses Argument auf den
investigativen Journalismus und die Pressefreiheit auswirken?

Kevin Gosztola: Die Auswirkung des Versuchs, dem WikiLeaks-Gründer
Julian Assange den Schutz der US-Verfassung zu verweigern, wird für
die kommenden Jahre einen Präzedenzfall schaffen, der das Leben jedes
Nicht-US-Journalisten oder Weltkorrespondenten in Gefahr bringt, wenn
er Dokumente der US-Regierung veröffentlicht, die die Regierung vor
der Welt geheim halten will. Obendrein ermöglicht es anderen Ländern
wie China, Russland, Saudi-Arabien, Israel, Brasilien, der Türkei
usw. zu versuchen, Journalisten auszuliefern, die Geheimnisse ihres
Landes veröffentlichen.

ÖJC: Mit der Magna Carta hat Großbritannien bereits 1215 den
Grundstein für die heutige Erklärung der Menschenrechte gelegt. Und
im 21. Jahrhundert? Da tyrannisiert und foltert dieser
„demokratische“ Rechtsstaat einen unschuldigen Menschen?

Kevin Gosztola: Es gab Teile der Auslieferungsanhörung von Julian
Assange im Februar 2020, wo es schien, dass die Staatsanwaltschaft
versuchte, die Magna Carta außer Kraft zu setzen. Beamte behaupten
immer noch, das Vereinigte Königreich trage keine Verantwortung für
die psychologische Folter, die Julian Assange erlitten hat, und, dass
er ein Flüchtling vor der Justiz sei. Das macht die Institution des
politischen Asyls, die eigentlich auf der ganzen Welt
aufrechterhalten und geschützt werden sollte, zum Gespött.

Nicht nur in Großbritannien, den USA und Australien wartet man
gespannt auf die Urteilsverkündung. Deutschland hat in den
vergangenen Monaten mit mehreren Petitionen, Offenen Briefen sowie
Veranstaltungen auf regionaler und politischer Ebene die Freiheit von
Julian Assange gefordert. Seit 2011 kämpft die Regisseurin und
Journalistin Angela Richter für die Freiheit des WikiLeaks-Gründers.
Heute schreibt sie als Prozessbeobachterin für „Die Welt“. Auch sie
hat uns ein kurzes Interview gegeben.

ÖJC: Warum ist Ihrer Meinung nach das Interesse von Journalisten und
Presse an diesem Fall so gering – besonders, wenn man bedenkt, dass
das First Amendment, also der Erste Verfassungszusatz, der die
Pressefreiheit garantiert, nur noch für US-Amerikaner gelten soll?

Angela Richter: Es gibt inzwischen schon viel mehr Journalisten und
Medien, die für Assange auf den letzten Metern noch Partei ergreifen.
Sogar der englische „The Guardian“, der jahrelang eine lächerliche
Fehde gegen Assange führte, ruft inzwischen zu seiner Freilassung
auf.
Aber Sie haben Recht, es sind bei weitem nicht genug. Es ist zu wenig
und es ist zu spät. Assange ist als erster Journalist in der
Geschichte der Spionage angeklagt worden, ihm drohen in den USA 175
Jahre Haft, sollte er an die USA ausgeliefert und verurteilt werden.

ÖJC: Wie wird sich – Ihrer Meinung nach – eine Auslieferung auf den
investigativen Journalismus und die Pressefreiheit auswirken?

Angela Richter: Spätestens jetzt hätte es mindestens einer
konzertierten Aktion der wichtigsten Zeitungen der Welt bedurft, die
2010 und 2011 so sehr von seinen Enthüllungen profitiert haben: „New
York Times“, „The Guardian“, „Le Monde“, „Der Spiegel“ und „El Pais“.
Sie hätten mit gutem Beispiel vorangehen und sich geschlossen hinter
Assange stellen müssen. Dann wäre der Rest vielleicht auch noch
gefolgt. Warum taten sie es nicht? Nun, vielleicht deshalb, weil sie
ein ganzes Jahrzehnt lang der Narrative der Geheimdienste gefolgt
sind. Statt sich mit den WikiLeaks-Enthüllungen über
Kriegsverbrechen, Folter und Menschenrechtsverletzungen auseinander
zu setzen, haben sie den Scheinwerfer auf Assanges Charakter gedreht
und haben nicht eher geruht, bis sein Status als Pariah sich noch im
letzten Kopf einzementiert hatte. Der Fall Assange ist nicht nur eine
Justizfarce, es ist auch ein eklatantes Medienversagen und ein
Offenbarungseid der gesamten Presse der freien westlichen Welt.
Das mag auch der Grund sein, warum es ihnen auch jetzt schwerfällt,
sich für ihn einzusetzen. Und damit sägen sie ganz aktiv den Ast ab,
auf dem sie sitzen, nämlich die Pressefreiheit.
Im Übrigen, wenn die Presse ihren Job als vierte Macht richtig machen
würde, bräuchte es gar kein WikiLeaks.

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | OJC

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