• 14.10.2020, 20:27:35
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  • OTS0257

Dringliche im Nationalrat zur Causa Ischgl: NEOS ziehen Bundesregierung in Verantwortung für europaweite Verbreitung des Coronavirus

Gesundheitsminister Anschober räumt Fehler ein

Utl.: Gesundheitsminister Anschober räumt Fehler ein =

Wien (PK) - Die kontroverse Debatte über das "Corona-Chaos" in Ischgl
im März 2020 fand heute im Nationalratsplenum ihre Fortsetzung. In
einer Dringlichen Anfrage an Gesundheitsminister Rudolf Anschober
griffen die NEOS die Ergebnisse der unabhängigen Expertenkommission
zum "Management der COVID-19-Pandemie Tirol" auf und wollten das
System für den "pandemiegeplagten Herbst und Winter" vorbereitet
wissen. Die NEOS sehen Gesundheitsminister Rudolf Anschober und
Bundeskanzler Sebastian Kurz in Verantwortung für die europaweite
Ausbreitung des COVID-19-Virus aus Ischgl.

Die Kritik der Kommission konnte Anschober insbesondere das Land
Tirol betreffend nachvollziehen. Die Empfehlungen will er gemeinsam
mit dem Land Tirol zeitnah, rasch und konsequent umsetzen, wie er
sagte. Im Gegensatz zu den NEOS sei die österreichische Bevölkerung
mit dem Vorgehen der Bundesregierung zufrieden, meinte Anschober in
seiner fast eine Stunde dauernden Anfragebeantwortung. Das vorrangige
Ziel sei nun, einen zweiten Lockdown zu verhindern. Zentrale Rolle
spiele dabei die Geschwindigkeit beim Contact-Tracing.

NEOS: Mangelnde Vorbereitung führte zu unkontrollierten Abreisen

Die Expertenkommission kam in ihrem am 13.10.2020 veröffentlichten
Bericht zu dem Schluss, dass im März dieses Jahres im Ort Ischgl
Panikstimmung - ausgelöst durch die Pressekonferenz des
Bundeskanzlers - herrschte. Für Gerald Loacker, Antragsteller der
Anfrage, zeichnet der Bericht ein erschreckendes Bild im Umgang mit
der Pandemie auf Seiten der Regierungsspitze. Loacker kritisierte
veraltete Rechtsgrundlagen, fehlende Pandemiepläne, mangelnde
Abstimmung zwischen den verschiedenen Ebenen der Verwaltung und nicht
zuletzt das Agieren des Bundeskanzlers. Der damit einhergehende
Schaden für den Tourismusstandort Österreich sei nachhaltig,
unterstrich der NEOS-Abgeordnete. Besondere Kritik übte er an der
mangelnden Vorbereitung der Quarantäne und der dadurch bewirkten
unkontrollierten Abreise, die eine sinnvolle epidemiologische
Kontrolle behindert habe. Mit seiner Dringlichen Anfrage wollte
Loacker zudem der Zusammenarbeit innerhalb der Bundesregierung sowie
mit der Regierung und dem Vollzug auf Landesebene auf den Zahn
fühlen.

Für Loacker besteht auch heute, sieben Monate nach Ausbruch der
Krise, der Eindruck, dass die Bundesregierung unvorbereitet agiere.
Maßnahmen würden überhastet beschlossen und verkündet - ohne
notwendige Rechtsgrundlage. Normunterworfene würden erst im
Nachhinein erfahren, welche Maßnahme tatsächlich Gültigkeit gehabt
habe, kritisierte er den "unerträglichen Zustand".

EU-weit seien 11.000 Infektionen auf Ischgl zurückzuführen, beklagte
Loacker und wies auf den enormen Imageschaden für Österreich hin.
Fehler habe es auf allen Ebenen gegeben, konstatierte er. Das
Gesundheitsministerium als Spitze der Weisungskette hätte aus seiner
Sicht früher bzw. anders reagieren müssen. Österreich sei nicht
ausreichend auf den Herbst vorbereitet, Pandemiepläne würden
weiterhin fehlen, kam Loacker zum Fazit über den aktuellen Stand der
Lage.

Anschober räumt Fehler ein und will Empfehlungen der Kommission
umsetzen

Fast eine Stunde lang beantwortete Gesundheitsminister Anschober die
45 Fragen umfassende Anfrage der NEOS. Nicht alles, was gemacht
wurde, war schlecht, meinte Anschober und wies auf die
Ausnahmesituation im März dieses Jahres hin. Vielmehr sei Zeit ein
wichtiger Faktor bei der Bekämpfung der Pandemie und Einschätzungen
hätten sich laufend geändert. International gesehen sei Österreich
bisher vergleichsweise gut durch die Krise gekommen, unterstrich er.
Als der weltweite Markt zusammenbrach, sei es seine zentrale
Herausforderung gewesen, den Schutz des medizinischen Bereichs
sicherzustellen. Nicht alles sei gut gelaufen, räumte Anschober
Fehler ein und konnte die Kritik der Expertenkommission insbesondere
betreffend das Land Tirol nachvollziehen. Die Empfehlungen der
Kommission sollen gemeinsam mit Tirol zeitnah, rasch und konsequent
umgesetzt werden, sagte er.

Aus Europa würden derzeit alarmierende Zahlen geliefert, so
Anschober. In Österreich gebe es heute 1.346 Neuinfektionen.
Innerhalb der letzten 24 Stunden ergaben die Tests eine Positivrate
von 7,9%. Das Tempo bei den Tests und dem Contact-Tracing müsse
steigen, unterstrich er. Für die Zukunft will Anschober die
Corona-Ampel weiter nutzen, Regionalmaßnahmen setzen, die Corona-App
forcieren und die Tests ausbauen. Ein genereller Pandemieplan für
Österreich werde derzeit finalisiert, unterstrich der
Gesundheitsminister. Die Hotline 1450 spiele eine zentrale Rolle in
der Bekämpfung der Pandemie, sagte er und wies auf die Ausforschung
von möglichen Clusterbildungen hin. In Bezug auf das bevorstehende
Weihnachten appellierte Anschober, Alltagsentscheidungen klug zu
treffen.

Hoyos-Trauttmansdorff sieht "Ausreden" und "fehlende Verantwortung"

Unzufrieden mit der Anfragebeantwortung durch Gesundheitsminister
Anschober gab sich Abgeordneter Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (NEOS).
Vorrangig zähle der Bericht der Expertenkomission zu Ischgl,
bemängelte Hoyos-Trauttmansdorff die Ausführungnen des Ministers.
Während der gesamten Corona-Krise gelte das Motto der Regierung: "Es
gibt nicht für alles eine Erklärung, aber eine passende Ausrede." Ein
Paradebeispiel dafür sei der Tiroler Landesrat Tilg, so
Hoyos-Trauttmansdorff. Fehler würden geleugnet, dies sei der
Bevölkerung nicht zuzumuten. So habe die Ankündigung der Quarantäne
über das Paznauntal und St. Anton durch den Bundeskanzler für
"Panikstimmung" und "totales Chaos" gesorgt, zitierte der Abgeordnete
aus dem Bericht. Ischgl sei "eine Art Freiluftgefängnis" gewesen. Das
dadurch entstandene negative Image für Tirol tue den Tirolern heute
sehr weh. Derartige Fehler würden dann passieren, "wenn man vergisst,
dass Regieren mehr ist als Pressekonferenzen", ermahnte
Hoyos-Trauttmansdorff, der sich von der Bundesregierung "einen
anderen Umgang mit diesen Themen" wünschte.

Schwarz: "Im Großen und Ganzen hat es gut funktioniert"

Ihre gegensätzliche Wahrnehmung schilderte Abgeordnete Gabriela
Schwarz (ÖVP). In der größten Gesundheits- und Wirtschaftskrise seit
Jahrzehnten habe die Bundesregierung vom ersten Moment an
Verantwortung übernommen. Es gehe darum, Dinge transparent zu
kommunizieren, versicherte Schwarz. Bundesminister Anschober habe
deutlich gemacht, wie die Kommunikationskette funktioniert habe. In
Tirol habe der Landeshauptmann Wert darauf gelegt, dass ExpertInnen
die Geschehnisse evaluieren - davon würden andere Länder profitieren.

Rendi-Wagner vermisst "klare Verantwortung, zentrale Steuerung und
Koordinierung"

Mit harter Kritik konterte Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) ihrer
Vorrednerin. Der Bericht der Kommission aus Tirol komme zu gänzlich
anderen Schlüssen. Anfängliche Warnungen der isländischen Behörden
seien heruntergespielt worden, sowohl Regierung als auch das Land
Tirol untätig geblieben. Über 11.000 Infizierte seien europaweit auf
Tirol zurückzuführen, so Rendi-Wagner, die ergänzte, dass man
"zumindest in der Frage, alles richtig gemacht zu haben", gut
abgestimmt gewesen sei. Der Bericht der unabhängigen Kommission zeige
ein Bild des "Multiorganversagens" und "Brechens aller Regeln des
Krisenmanagements". Für die Bevölkerung und das Parlament sei es nun
wichtig zu wissen, warum verzögert gehandelt wurde. Im Kampf gegen
eine Pandemie könne man nur mit klarer Verantwortung, zentraler
Steuerung und Koordinierung erfolgreich sein. Ischgl sei die
"Offenbarung der Verantwortungslosigkeit", so Rendi-Wagner.

Kaniak kritisiert "Ankündigungspolitik ohne rechtliche Basis"

Seinen Unmut äußerte ebenso Abgeordneter Gerhard Kaniak (FPÖ), der im
Plenum ausführlich aus dem Bericht der Expertenkommission zitierte.
Die Bundesregierung habe "bis heute nur sehr wenig aus diesen Fehlern
gelernt". Eine "Ankündigungspolitik ohne rechtliche Basis sorge für
Verunsicherung von BürgerInnen und Behörden, bemängelte Kaniak, das
Epidemiegesetz bleibe eine "unvollendete Baustelle". Kaniak forderte,
das Epidemiegesetz "mit klaren Zuständigkeiten und
Kompetenzregelungen" neu aufzusetzen und sprach sich gegen
"unverhältnismäßige Einschränkungen der Grund- und Freiheitsrechte"
aus.

Maurer: Bericht zeigt zwingenden Handlungsbedarf auf

Ihren Dank an die unabhängige Expertenkommission drückte Klubobfrau
Sigrid Maurer (Grüne) aus, diese habe "Beachtliches geleistet". Deren
Bericht zeige präzise auf, "an welchen Stellen zwingend gehandelt
werden muss", so Maurer, die auf die Umstrukturierung der
Landessanitätsdirektion in Tirol verwies. Nach einem holprigen Start
müssten die Empfehlungen "in Ruhe und Professionalität umgesetzt
werden". Maurer zeigte sich zuversichtlich, dass "auch in Tirol" das
Fehlerbewusstsein gereift sei. Lob äußerte sie in Richtung des
Gesundheitsministers Anschober. Dieser strahle Ruhe aus und gebe den
BürgerInnen viel Sicherheit, auch nehme er das Parlament sehr ernst,
so Maurer.

Ischgl-Bericht zwischen Oppositionskritik und Fehlerkultur

In der weiteren Diskussion verglich Johannes Margreiter (NEOS) die
Situation in Ischgl mit dem Gegenteil einer funktionierenden
Situation im Operationssaal - die Kontrolle sei komplett verloren
gewesen. Darüber hinaus gelte es, jetzt das Vertrauen in den
Tourismus wiederherzustellen, was unter anderem insofern fehle, als
dass personelle Konsequenzen in Tirol ausgeschlossen würden. Die von
ihm eingebrachte Entschließung, an die Rohrer-Kommission
heranzutreten und darauf hinzuwirken, diese zur umfassenden,
transparenten und unabhängigen Evaluierung des Managements der
COVID-19-Pandemie durch die Bundesbehörden mit der Erstellung eines
umfassenden Berichtes zu beauftragen, fand keine Mehrheit und wurde
abgelehnt.

Heftige Kritik an der Regierung, vor allem an Bundeskanzler Sebastian
Kurz, kam auch seitens der SPÖ. Jörg Leichtfried und Markus Vogl
(beide SPÖ) sprachen von einem "Chaos", das nach der damaligen
Pressekonferenz des Bundeskanzlers in Ischgl entstanden sei. Während
Leichtfried etwa auf das Legalitätsprinzip verwies, wonach eigentlich
der Gesundheitsminister in der Situation zuständig gewesen wäre,
sprach auch Selma Yildirim (SPÖ) von "Effekthascherei" durch besagte
Pressekonferenz und einer "dilettantischen" Krisenkommunikation
insgesamt. Es gehe jetzt darum, auch international wieder Vertrauen
zurückzugewinnen.

Wenig Transparenz und Neues zeigt sich für Peter Wurm (FPÖ) im
Rohrer-Bericht, was er auf eine "Allmacht der ÖVP" in Tirol
zurückführte. Ausbaden müsse das "Ischgl-Dilemma" die Bevölkerung in
Tirol und jene, die vom Tourismus leben. Wolfgang Zanger (FPÖ)
plädierte wiederum dafür, Mut statt Angst zu machen, mit dem Virus zu
leben und auch eine öffentliche Diskussion über andere Meinungen als
die von Seiten der ÖVP und der Grünen zuzulassen.

Umgekehrt sieht etwa Ralph Schallmeiner (Grüne), dass FPÖ und NEOS
die Bevölkerung verunsichern würden. Er verwies darauf, dass der
Gesundheitsminister auch Fehler einräume - Fehlerkultur sei auch Teil
eines Qualitätsbewusstseins. Auch Barbara Neßler (Grüne) hob das
nunmehrige Fehlermanagement als wichtigen Teil der politischen Kultur
hervor. Agnes Sirkka Prammer (Grüne) räumte ein, eine Änderung des
Epidemiegesetzes sei sinnvoll und notwendig. Diese sei allerdings
nicht mitten in einer Pandemie vorzunehmen, sondern dann, wenn alle
Fakten vorliegen. Das COVID-Maßnahmen-Gesetz sei als Hilfsmittel zu
diesem Zeitpunkt die richtige Maßnahme gewesen, so Prammer.

Josef Smolle (ÖVP) bewertete es äußerst positiv, dass in Tirol so
zeitnah eine Expertenkommission eingerichtet wurde, um den Beginn der
Pandemie entsprechend aufzuarbeiten. Es gelte jetzt, daraus für die
Zukunft zu lernen. Hermann Gahr und Franz Hörl (beide ÖVP) nannten in
diesem Zusammenhang eine nunmehrige Neustrukturierung des
Krisenmanagements in Tirol. Man nehme die Anregungen ernst und wolle
Sicherheit bieten, so Gahr. Gerade dieses Fehlerbewusstsein sei
wichtig, um für die kommende Wintersaison die Dinge besser zu machen
und im Tourismus, wo tausende Existenzen auf dem Spiel stehen, den
Gästen Sicherheit zu geben. (Fortsetzung Nationalrat) gla/cke/mbu

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch
via Live-Stream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in
der Mediathek des Parlaments verfügbar.

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