- 01.10.2020, 16:35:16
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- OTS0237
Sobotka: Die Verfassung hat uns immer trefflich begleitet
Festakt des Parlaments zu 100 Jahre Bundesverfassung
Utl.: Festakt des Parlaments zu 100 Jahre Bundesverfassung =
Wien (PK) - In seiner Rede beim heutigen Festakt des Parlaments
 anlässlich 100 Jahre Bundesverfassung stellte Nationalratspräsident
 Wolfgang Sobotka fest, dass uns die Verfassung immer trefflich
 begleitet habe. Das werde auch dadurch offenkundig, dass es möglich
 gewesen sei, mit unserer Verfassung der EU beizutreten, indem man
 Hoheitsrechte abgab, gleichzeitig aber auch die Souveränität
 beibehalten konnte.
Sobotka unterstrich die beiden Grundprinzipien, die die Verfassung
 prägen - den demokratischen Parlamentarismus und die
 Dezentralisation. Letztere sei dem Umstand gewidmet, dass Österreich
 aus neun Bundesländern besteht, und hier gehe es immer wieder um die
 Aufrechterhaltung der Balance.
Als eine große Herausforderung bezeichnete Sobotka die
 Verrechtlichung der Digitalisierung, wobei auch Fragen des
 Datenschutzes und der Big Data eingeschlossen seien.
Er habe keine Angst um die Demokratie, auch wenn sie immer wieder
 Angriffen ausgesetzt sei, meinte der Nationalratspräsident im
 Hinblick auf die Krisenfestigkeit der Bundesverfassung, wenngleich er
 Sorge in Bezug auf den politischen Umgang miteinander äußerte. Für
 ihn steht aber fest, dass uns das demokratische, das föderalistische
 und das rechtsstaatliche Prinzip der Verfassung auch in Zukunft
 begleiten werden. So sei das demokratische Prinzip heute eine
 durchgängige Grundhaltung, unterstrich er.
Die Verfassung und die Institutionen sind krisenfest - der
 Rechtsstaat ist gut aufgestellt
Epoche-machend sei die Etablierung des Verfassungsgerichtshofs mit
 der Bundesverfassung 1920, strich Bundeskanzlerin a.D. und
 VfGH-Präsidentin a.D. Brigitte Bierlein in der folgenden
 Podiumsdiskussion hervor. Das sogenannte österreichische System der
 Verfassungsgerichtsbarkeit habe sich in Europa und darüber hinaus
 verbreitet. Es sei die "Herzensangelegenheit" von Hans Kelsen gewesen
 und ein Kernstück der Verfassung, dass die Gesetzgebung einem
 spezifischen Gericht unterworfen wurde. Mit der Novelle 1929 wurde
 der Bundespräsident viel stärker in die Verfassung eingebunden, so
 Bierlein. Etwa im Hinblick auf den Umgang mit jüngsten Krisen sind
 aus ihrer Sicht sowohl die Verfassung als auch die Institutionen in
 Österreich eindeutig krisenfest und der Rechtsstaat sei sehr gut
 aufgestellt. Auch wenn einzelne Mängel wie etwa ein fehlender,
 geschlossener Grundrechtskatalog bestehen, seien diese nicht so groß,
 wie sie sagte. Aus dem Österreich-Konvent sei einiges umgesetzt
 worden, so Bierlein, etwa im Hinblick auf die
 Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Als eine Art "Spielregelverfassung", die das politische Leben ordnet,
 aber selbst sehr im Hintergrund bleibt, bezeichnete
 Parlamentsdirektor Harald Dossi das Bundes-Verfassungsgesetz. Ein
 Verfassungsbewusstsein bezieht sich aus seiner Sicht auch auf andere
 Bestandteile der Verfassungsordnung, die wesentlich präsenter seien
 als das B-VG. Insgesamt sprach er von einem "Gesamtkunstwerk der
 österreichischen Verfassungsordnung". Wesentlich ist aus Sicht des
 Parlamentsdirektors, das Verfassungsbewusstsein zu fördern, weil
 damit auch die Teilhabe am politischen Leben zusammenhänge und
 Demokratie von dieser Teilnahme lebe. Das zu stärken, sei eine
 Aufgabe von vielen, so Dossi, sowohl für das Parlament und für die
 Politik im Allgemeinen, als auch für Medien, Schulen, Universitäten
 und private Initiativen. Seitens des Parlaments wies er etwa auf
 Demokratievermittlungsangebote wie die Demokratiewerkstatt, aber auch
 auf Information und Kommunikation über viele Kanäle hin. Ähnlich wie
 Brigitte Bierlein zeigte er sich überzeugt, dass etwa die politische
 Krise 2019, aber auch die aktuelle Corona-Krise gezeigt haben, dass
 die Bundesverfassung auch in diesen Phasen eine sehr gute Grundlage
 biete, politisch zu agieren und zu arbeiten. Damit Nationalrat und
 Bundesrat auch in Extremsituationen immer handlungsfähig bleiben,
 könnte er sich eine Diskussion darüber vorstellen, für extreme
 Ausnahmesituationen die Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen.
Den Kompromisscharakter der Bundesverfassung hob Thomas Olechowski
 vom Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte der Universität
 Wien hervor. So seien die Verfassungen von 1920 und 1929 als
 "unpolitische" Verfassungen bezeichnet worden, was er allerdings
 insofern für übertrieben hält, als man etwa 1920 deutlich hin zu
 einer Demokratie westlichen Typus gekommen sei. Auch die Rückkehr
 1945 zur Verfassung in der Form von 1929 habe in einer absoluten
 Ausnahmesituation stattgefunden. Dieser Kompromiss sei nur möglich
 gewesen, weil man einen "Konsens über den Dissens" gefunden habe, so
 Olechowski. Das B-VG steht für ihn für einen Weg der Mitte zwischen
 extrem rechts und extrem links sowie für Werte wie Demokratie und
 Rechtsstaat, die die Freiheit des Einzelnen schützen. Der
 Österreich-Konvent sei an den beiden Themen Kompetenzverteilung
 zwischen Bund und Ländern und Grundrechtskatalog gescheitert, so der
 Experte - ihm zufolge ebenso wie 1920 wohl nicht ohne Grund. Auch
 Olechowski meinte, dass wir mit der Verfassung "gut leben".
Fundamente - Meilensteine der Republik: Ausstellung am Heldenplatz zu
 100 Jahre B-VG sowie Web-Ausstellung
Nach den Jubiläumsschwerpunkten im Jahr 2020 zum EU-Beitritt vor 25
 Jahren und zu 75 Jahre Zweite Republik thematisiert auch die
 Ausstellung des Parlaments am Wiener Heldenplatz in der Reihe
 "Fundamente - Meilensteine der Republik" das 100-jährige Bestehen der
 österreichischen Bundesverfassung. Im Rahmen der künstlerischen
 Installation werden unter anderem die Entstehung der Verfassung, aber
 auch die wichtigsten "Bausteine" der Verfassung beleuchtet. Von den
 Grundprinzipien - betreffend die Staats- und Regierungsform, den
 Aufbau des Staats und das Verhältnis des Staats zu den Menschen -
 spannt sich der Bogen über historische Entwicklungen hin zu einem
 Ausblick auf die Zukunft der Verfassung. Darüber hinaus gibt eine
 Publikation, die auf der Parlamentswebsite zum Download zur Verfügung
 steht, Einblicke in die Ausstellungsinhalte zum B-VG. Zudem werden ab
 Oktober Führungen zu diesem Thema angeboten.
Außerdem zeichnen eigens aufbereitete Web-Inhalte zu 100 Jahre B-VG
 auf der Parlamentswebsite die Vorgänge bis zur Beschlussfassung am 1.
 Oktober 1920 nach. Beratungsprotokolle, Verfassungs-Entwürfe sowie
 Eingaben von Bürgerinnen und Bürgern und Gemeinden werden erstmals in
 digitaler Form zugänglich gemacht. Die Stenographischen Protokolle
 der Konstituierenden Nationalversammlung - auch von der Sitzung am 1.
 Oktober 1920 - stehen ebenso online zur Verfügung. Auf der Website
 des Parlaments findet sich außerdem eine eigens erstellte
 Video-Kurzdoku, in der unter anderem Hans Kelsen aus einem
 Fernsehinterview von 1960 zu Wort kommt. (Schluss)jan/mbu
HINWEIS: Fotos vom Festakt des Parlaments und von der Ausstellung am
 Heldenplatz finden Sie auf der Website des Parlaments. Durch
 Corona-bedingte Präventionsmaßnahmen war der Festakt nicht
 medienöffentlich, sondern wurde als Livestream in der Mediathek der
 Parlamentswebsite unter www.parlament.gv.at/MEDIA übertragen bzw.
 steht dort auch als Video-on-Demand zur Verfügung.
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