Festakt des Parlaments zu 100 Jahre Bundesverfassung
Utl.: Festakt des Parlaments zu 100 Jahre Bundesverfassung =
Wien (PK) - In seiner Rede beim heutigen Festakt des Parlaments
anlässlich 100 Jahre Bundesverfassung stellte Nationalratspräsident
Wolfgang Sobotka fest, dass uns die Verfassung immer trefflich
begleitet habe. Das werde auch dadurch offenkundig, dass es möglich
gewesen sei, mit unserer Verfassung der EU beizutreten, indem man
Hoheitsrechte abgab, gleichzeitig aber auch die Souveränität
beibehalten konnte.
Sobotka unterstrich die beiden Grundprinzipien, die die Verfassung
prägen - den demokratischen Parlamentarismus und die
Dezentralisation. Letztere sei dem Umstand gewidmet, dass Österreich
aus neun Bundesländern besteht, und hier gehe es immer wieder um die
Aufrechterhaltung der Balance.
Als eine große Herausforderung bezeichnete Sobotka die
Verrechtlichung der Digitalisierung, wobei auch Fragen des
Datenschutzes und der Big Data eingeschlossen seien.
Er habe keine Angst um die Demokratie, auch wenn sie immer wieder
Angriffen ausgesetzt sei, meinte der Nationalratspräsident im
Hinblick auf die Krisenfestigkeit der Bundesverfassung, wenngleich er
Sorge in Bezug auf den politischen Umgang miteinander äußerte. Für
ihn steht aber fest, dass uns das demokratische, das föderalistische
und das rechtsstaatliche Prinzip der Verfassung auch in Zukunft
begleiten werden. So sei das demokratische Prinzip heute eine
durchgängige Grundhaltung, unterstrich er.
Die Verfassung und die Institutionen sind krisenfest - der
Rechtsstaat ist gut aufgestellt
Epoche-machend sei die Etablierung des Verfassungsgerichtshofs mit
der Bundesverfassung 1920, strich Bundeskanzlerin a.D. und
VfGH-Präsidentin a.D. Brigitte Bierlein in der folgenden
Podiumsdiskussion hervor. Das sogenannte österreichische System der
Verfassungsgerichtsbarkeit habe sich in Europa und darüber hinaus
verbreitet. Es sei die "Herzensangelegenheit" von Hans Kelsen gewesen
und ein Kernstück der Verfassung, dass die Gesetzgebung einem
spezifischen Gericht unterworfen wurde. Mit der Novelle 1929 wurde
der Bundespräsident viel stärker in die Verfassung eingebunden, so
Bierlein. Etwa im Hinblick auf den Umgang mit jüngsten Krisen sind
aus ihrer Sicht sowohl die Verfassung als auch die Institutionen in
Österreich eindeutig krisenfest und der Rechtsstaat sei sehr gut
aufgestellt. Auch wenn einzelne Mängel wie etwa ein fehlender,
geschlossener Grundrechtskatalog bestehen, seien diese nicht so groß,
wie sie sagte. Aus dem Österreich-Konvent sei einiges umgesetzt
worden, so Bierlein, etwa im Hinblick auf die
Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Als eine Art "Spielregelverfassung", die das politische Leben ordnet,
aber selbst sehr im Hintergrund bleibt, bezeichnete
Parlamentsdirektor Harald Dossi das Bundes-Verfassungsgesetz. Ein
Verfassungsbewusstsein bezieht sich aus seiner Sicht auch auf andere
Bestandteile der Verfassungsordnung, die wesentlich präsenter seien
als das B-VG. Insgesamt sprach er von einem "Gesamtkunstwerk der
österreichischen Verfassungsordnung". Wesentlich ist aus Sicht des
Parlamentsdirektors, das Verfassungsbewusstsein zu fördern, weil
damit auch die Teilhabe am politischen Leben zusammenhänge und
Demokratie von dieser Teilnahme lebe. Das zu stärken, sei eine
Aufgabe von vielen, so Dossi, sowohl für das Parlament und für die
Politik im Allgemeinen, als auch für Medien, Schulen, Universitäten
und private Initiativen. Seitens des Parlaments wies er etwa auf
Demokratievermittlungsangebote wie die Demokratiewerkstatt, aber auch
auf Information und Kommunikation über viele Kanäle hin. Ähnlich wie
Brigitte Bierlein zeigte er sich überzeugt, dass etwa die politische
Krise 2019, aber auch die aktuelle Corona-Krise gezeigt haben, dass
die Bundesverfassung auch in diesen Phasen eine sehr gute Grundlage
biete, politisch zu agieren und zu arbeiten. Damit Nationalrat und
Bundesrat auch in Extremsituationen immer handlungsfähig bleiben,
könnte er sich eine Diskussion darüber vorstellen, für extreme
Ausnahmesituationen die Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen.
Den Kompromisscharakter der Bundesverfassung hob Thomas Olechowski
vom Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte der Universität
Wien hervor. So seien die Verfassungen von 1920 und 1929 als
"unpolitische" Verfassungen bezeichnet worden, was er allerdings
insofern für übertrieben hält, als man etwa 1920 deutlich hin zu
einer Demokratie westlichen Typus gekommen sei. Auch die Rückkehr
1945 zur Verfassung in der Form von 1929 habe in einer absoluten
Ausnahmesituation stattgefunden. Dieser Kompromiss sei nur möglich
gewesen, weil man einen "Konsens über den Dissens" gefunden habe, so
Olechowski. Das B-VG steht für ihn für einen Weg der Mitte zwischen
extrem rechts und extrem links sowie für Werte wie Demokratie und
Rechtsstaat, die die Freiheit des Einzelnen schützen. Der
Österreich-Konvent sei an den beiden Themen Kompetenzverteilung
zwischen Bund und Ländern und Grundrechtskatalog gescheitert, so der
Experte - ihm zufolge ebenso wie 1920 wohl nicht ohne Grund. Auch
Olechowski meinte, dass wir mit der Verfassung "gut leben".
Fundamente - Meilensteine der Republik: Ausstellung am Heldenplatz zu
100 Jahre B-VG sowie Web-Ausstellung
Nach den Jubiläumsschwerpunkten im Jahr 2020 zum EU-Beitritt vor 25
Jahren und zu 75 Jahre Zweite Republik thematisiert auch die
Ausstellung des Parlaments am Wiener Heldenplatz in der Reihe
"Fundamente - Meilensteine der Republik" das 100-jährige Bestehen der
österreichischen Bundesverfassung. Im Rahmen der künstlerischen
Installation werden unter anderem die Entstehung der Verfassung, aber
auch die wichtigsten "Bausteine" der Verfassung beleuchtet. Von den
Grundprinzipien - betreffend die Staats- und Regierungsform, den
Aufbau des Staats und das Verhältnis des Staats zu den Menschen -
spannt sich der Bogen über historische Entwicklungen hin zu einem
Ausblick auf die Zukunft der Verfassung. Darüber hinaus gibt eine
Publikation, die auf der Parlamentswebsite zum Download zur Verfügung
steht, Einblicke in die Ausstellungsinhalte zum B-VG. Zudem werden ab
Oktober Führungen zu diesem Thema angeboten.
Außerdem zeichnen eigens aufbereitete Web-Inhalte zu 100 Jahre B-VG
auf der Parlamentswebsite die Vorgänge bis zur Beschlussfassung am 1.
Oktober 1920 nach. Beratungsprotokolle, Verfassungs-Entwürfe sowie
Eingaben von Bürgerinnen und Bürgern und Gemeinden werden erstmals in
digitaler Form zugänglich gemacht. Die Stenographischen Protokolle
der Konstituierenden Nationalversammlung - auch von der Sitzung am 1.
Oktober 1920 - stehen ebenso online zur Verfügung. Auf der Website
des Parlaments findet sich außerdem eine eigens erstellte
Video-Kurzdoku, in der unter anderem Hans Kelsen aus einem
Fernsehinterview von 1960 zu Wort kommt. (Schluss)jan/mbu
HINWEIS: Fotos vom Festakt des Parlaments und von der Ausstellung am
Heldenplatz finden Sie auf der Website des Parlaments. Durch
Corona-bedingte Präventionsmaßnahmen war der Festakt nicht
medienöffentlich, sondern wurde als Livestream in der Mediathek der
Parlamentswebsite unter www.parlament.gv.at/MEDIA übertragen bzw.
steht dort auch als Video-on-Demand zur Verfügung.
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