• 25.05.2020, 22:00:01
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TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: "Pingpong an der Brennergrenze", von Peter Nindler

Ausgabe vom Dienstag, 26. Mai 2020

Utl.: Ausgabe vom Dienstag, 26. Mai 2020 =

Innsbruck (OTS) - Die Corona-Krise macht wieder einmal die Schwäche
der Europaregion Tirol sichtbar. In der Auseinandersetzung agiert sie
als politisches Fliegengewicht, weil es keine gemeinsame Strategie,
aber nationalstaatliche Fesseln gibt.

Flüchtlingskrise, Transitverkehr und augenblicklich die
Corona-Pandemie: Immer wieder rückt der Brenner in unterschiedlichen
politischen Nuancierungen in den Mittelpunkt und treibt die
Europaregion Tirol, Südtirol und Trentino vor sich her. Schließlich
soll die historisch belastete Brennergrenze offen bleiben, um die
Überwindung von kriegerischen Konflikten zu symbolisieren.
Insbesondere der Zerreißung Tirols vor 100 Jahren. Doch in zentralen
Fragen rütteln nach wie vor zentrifugale Kräfte am Gerüst der
Europaregion.
Im Transitstreit fordert die Südtiroler Transportlobby freie Fahrt
über den Brenner und lehnt Beschränkungen wie Lkw-Fahrverbote oder
Blockabfertigungen im Bundesland Tirol schlichtweg ab. In der
Flüchtlingskrise ließ Österreich beinahe die Grenzbalken runter,
Ex-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) wollte sogar
Panzer Richtung Brenner in Gang setzen. Landeshauptmann Günther
Platter (ÖVP) nahm bereits damals einen „Sowohl als auch“-Standpunkt
ein, das wiederholt sich jetzt in der Corona-Krise.
Wegen der illegalen Grenzübertritte verteidigte Platter, dass es im
Notfall Grenzkontrollen geben könnte. Doch die Politik in Wien und
Innsbruck führte zu einer Zerreißprobe in der Europaregion. Aktuell
verhält es sich ähnlich: Österreich öffnet am 15. Juni wieder seine
Grenzen zu Deutschland, jene zu Italien bzw. Südtirol bleiben jedoch
zu. Europäisch ist das nicht und für Südtirols Landeshauptmann Arno
Kompatscher nicht nachvollziehbar.
Platters Argumentations-Spagat mit einer stufenweisen Öffnung
scheitert auch deshalb, weil die Europaregion wieder einmal ohne
klare Strategie und ohne gemeinsame Position dasteht. Wie eine
Flipperkugel wird sie im nationalstaatlichen Pingpong hin- und
hergeschleudert, Platter und Kompatscher sind dabei nur Passagiere.
Tirols Landeshauptmann kann seinem Parteifreund und Bundeskanzler
Sebastian Kurz nicht offen in die Parade fahren, Kompatscher sucht
sein Heil in einer notwendigen, aber nicht sehr wahrscheinlichen
europäischen Lösung für die Grenzöffnungen. Um seinen Kollegen
Günther Platter nicht bloßzustellen.
Auf der Strecke bleibt die Europaregion, im Kleinen sind ihr die
Hände gebunden. In der Krise werden ihre Schwächen noch sichtbarer,
nur schwer wird ein gemeinsamer Kitt gefunden. Deshalb leidet auch
die Akzeptanz und in regelmäßigen Abständen werden Zweck und Sinn der
Euregio zu Recht infrage gestellt.

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