- 12.11.2019, 11:09:40
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Klimaschutzlähmung in Österreich
Ein aktuelles Nowcasting für 2019 zeigt, dass die österreichischen Treibhausgas-Emissionen gegenüber 2018 wieder ansteigen.
Wie kann Bewegung in die bisherige politische Lähmung kommen? Der am 4.  November in Begutachtung gebrachte  Nationale Energie-  und  Klimaplan  (NEKP) ist  nicht  dazu  geeignet, den  Übergang  zu  einer  nahezu  treibhausgas-emissionsfreien und klimarobusten Wirtschaft und  Gesellschaft im Einklang mit den Pariser  Klimazielen  zu  ermöglichen.   Es  braucht  grundlegende  Verbesserungen, darüber  sind  sich  die  Klimawissenschaft, GLOBAL 2000, WWF Österreich, Klimavolksbegehren und  Fridays For Future einig.
Über siebzig ExpertInnen der Klima-  und  Transformationsforschung haben im vergangenen Halbjahr einen  Referenzplan als Grundlage für einen wissenschaftlich fundierten und  mit  den  Pariser  Klimazielen  in  Einklang stehenden Nationalen  Energie- und Klimaplan für Österreich (Ref-NEKP) erarbeitet. Dieser  wurde im  September 2019 öffentlich vorgestellt und in das Nationale   Klimaschutzkomitee  (NKK)  eingebracht  (Details https://ccca.ac.at/refnekp).
Das   zentrale  Ziel  war,  die  bis  Ende  2019  für  den  Erfolg  des   Klimaschutzes  2021  bis  2030  entscheidend  notwendigen Verbesserungen  im offiziellen NEKP für Österreich zu unterstützen. Während der  Ref-NEKP und  NKK  Stellungnahmen  der  Wissenschaft  als  sachliche   Grundlage  breit  und  positiv  zur  Information  und  Meinungsbildung  in Österreich beigetragen haben—und den Weg mit bereitet haben, dass nun  Koalitions-verhandlungen starten, in denen auch die Lösung der  Klimaschutzlähmung Thema ist—wurde das genannte zentrale Ziel nahezu  vollständig verfehlt: der Fingerabdruck im vorliegenden NEKP ist  marginal.
Aus diesem Anlass haben heute bei einer Pressekonferenz  in Wien der Vertreter der Wissenschaft im NKK und  Initiator  des   Ref-NEKP  (Gottfried  Kirchengast,  Universität  Graz)  und  führende   VertreterInnen  von  Umweltschutzorganisationen  (Johannes  Wahlmüller,   GLOBAL  2000,  und  Hanna  Simons,  WWF  Österreich) und   Klimaaktionsbewegungen(Katharina  Rogenhofer,  Klimavolksbegehren,  und   Johannes  Stangl,  Fridays For  Future)  zur  akuten   Klimaschutzlähmung  in  Österreich  Stellung  bezogen.  Sie  taten  dies  aus  Sicht  der Wissenschaft und aus Sicht der Klimaaktion entlang der  folgenden fünf Fragen.
Was sind die lähmenden Defizite des aktuellen NEKP, sodass er in Richtung der Pariser Klimaziele versagt?
Dazu Klimaforscher Gottfried Kirchengast,  dessen  neue  Stellungnahme des Vertreters der Wissenschaft im NKK zum aktuellen NEKP samt Beilagen unter www.wegcenter.at/downloads online steht: „Das  strukturelle Grundproblem  ist, dass  im  Vergleich  zu  den  1990er   Jahren  die  österreichischen Treibhausgas-Emissionen weiterhin   stagnieren  statt  sinken,   plakativ   als   Klimaschutzlähmung  bezeichnet: unsere ganz   aktuell vorliegende erste Schätzung für   die  Emissionen  2019  zeigt, dass sie  voraussichtlich  gegenüber   2018  wieder auf über 80 Millionen Tonnen ansteigen. Das lähmendste  Defizit am vorliegenden NEKP aus diesem Blickwinkel  ist,  dass  weder  das Politikziel von 36 Prozent  statt  mindestens  50  Prozent   Emissionsabbau  bis  2030 für  den  Pariser  Klimazielweg  ausreicht,   noch  die  vorgesehenen  Maßnahmen  ernsthaft  genug  sind, um eine  Chance zu haben, auch nur Richtung 30 Prozent zu kommen.“ 
Was   sind  aus  Sicht  der  unabhängigen  Umweltschutzorganisationen   (NGOs)  zentrale  Aktionsbereiche  für  ein Einschwenken auf den Pariser  Klimazielweg?
„Für die   Umweltschutzorganisation   GLOBAL    2000   ist   der   aktuelle   NEKP   Konsultationsentwurf   keine    geeignete  Basis  für  ambitionierten  Klimaschutz  in  Österreich.  Es   fehlt  an  konkreten  Maßnahmen  und der Finanzierung.  Vor  allem  im   Verkehrs-  und  im  Gebäudebereich  klafft  eine  große  Lücke   zwischen  den  gesteckten Zielen und den dargestellten Maßnahmen. Bis zu  8,7 Mrd. Euro an Strafzahlungen drohen, wenn nicht  nachgebessert   wird. Die  Bundesregierung  um  Bundeskanzlerin  Brigitte  Bierlein   darf  einer  zukünftigen  Regierung  keinen  Scherbenhaufen   hinterlassen. Ohne  wirksamen  Klimaplan  werden  milliardenschwere   Strafzahlungen  riskiert  und  damit  die  öffentlichen  Finanzen   gefährdet.  Stattdessen  muss  der  Klimaplan  nachgebessert  und   mindestens  eine  Klimaschutzmilliarde  im  nächsten  Bundesbudget   vorgesehen  werden. Investitionen  in  den  öffentlichen  Verkehr,   thermische  Sanierung  und  Heizkesseltausch,  oder  auch  der Ausbau   sicherer  Radinfrastruktur,  bringen  unser  Land  voran  und   entlasten  die  Klimabilanz.  Die  aktuelle  Bundesregierung kann jetzt  zeigen, dass sie wirklich aus unabhängigen ExpertInnen besteht“, sagt Johannes Wahlmüller, Klima- und Energiesprecher von GLOBAL 2000.
„Die   Zeit  drängt,  jede  weitere  Verzögerung  wird  teuer  und  schadet   Mensch  und  Natur.  Daher  muss  die  künftige  Bundesregierung  den   Klimaschutz  zur  absoluten  Priorität  machen.  Österreich  muss   klimafit  und  naturverträglich  regiert  werden.  Alle  Maßnahmen   müssen  kompatibel  mit  dem  Pariser  Abkommen  sein“, fordert Hanna Simons, Leiterin Natur- und Umweltschutz beim WWF Österreich. „Wir brauchen eine echte ökologische Steuerreform,  die  sowohl  die  Menschen  als  auch  die  Umwelt  entlastet. Entscheidend   dafür  ist  eine  Klimaprämie,  die  aus  einer  sozial  und   wirtschaftlich  gerechten  CO2-Bepreisung  finanziert  wird. Parallel   dazu  gehören  umweltschädliche  Subventionen  in  Milliardenhöhe   abgebaut  und  reformiert“,  sagt  Simons. Der   CO2-Ausstoß   ist    viel   zu   hoch,   der   Natur-   und   Ressourcenverbrauch    immens.   Diese   wissenschaftlichen  Fakten  dürfen  nicht  länger   ignoriert  werden.  Daher  müsse  auch  der  lückenhafte  Energie- und  Klimaplan vollständig repariert werden. „Wenn die Beamtenregierung dazu  nicht in der Lage ist, muss der Nationalrat aktiv werden“, fordert die  Vertreterin des WWF abschließend.
Was will und kann das Klimavolksbegehren zur Überwindung des bisherigen Politikversagens beitragen?
Die Koordinatorin   und   Sprecherin   des   Klimavolksbegehrens   Katharina   Rogenhofer    betont: „Ein unzureichender Nationaler Energie- und Klimaplan ist nach  einem Jahr Klimabewegung wie ein Schlag ins Gesicht.  Jetzt  treffen   sich  ÖVP  und  Grüne  bald  am  Verhandlungstisch.  Für  die   Klimapolitik  kann  das  eine  Chance   sein.   Wir   brauchen   aber    nicht   nur   ein   mutiges   Regierungsprogramm,   sondern   auch    einen   parlamentarischen  Schulterschluss  zum  Thema  Klima. Mutige  Klimapolitik  lebt  allerdings  nicht  von  leeren  Versprechen,  hier  muss  ein  klarer  Plan  vorgelegt  werden.  Dieser  hat  bisher  immer  gefehlt.  Deshalb  ist  es  jetzt  auch   an  uns  allen,  diesen  einzufordern.  Das  Klimavolksbegehren  gibt   uns  die  Möglichkeit,  uns  öffentlich  für  mutigen  Klimaschutz   auszusprechen. Und das  gilt  nicht nur für die  Zivilgesellschaft.  Es   müssen  sich  nun  endlich  alle  PolitikerInnen,  egal  auf  welcher   Ebene  und  alle  ParlamentarierInnen  öffentlich  dazu  bekennen  –   sind  sie  gegen  Klimaschutz  oder  für  ein  faires  und   nachhaltiges  Österreich? Alle, die  mit  uns  den  Weg  der  mutigen   Klimapolitik  gehen  wollen,  müssen  das  auch öffentlich  einfordern   und  das  Klimavolksbegehren unterschreiben, um den nötigen Druck  aufzubauen.“
Wie will die Klimaaktionsbewegung Fridays For Future noch wirksamer bahnbrechend Wegbereiter sein?
Der Mitgründer und Sprecher von Fridays For Future Wien, Klimaaktivist Johannes Stangl  stellt dazu sehr deutlich fest: „Die Unfähigkeit der österreichischen  Politik, einen 1.5 °C konformen Klimaplan vorzulegen, ist ein  Skandal   und  eine  Missachtung der Zukunft junger Menschen.  Hier  zeigt  sich,   dass  trotz zehn Monaten des   lautstarken Protests die Dringlichkeit   der  Lage  noch  immer nicht   in   die   oberen   Ränge   der    österreichischen Politik vorgedrungen ist. Die Zivilbevölkerung wird  sich eine weitere Abspeisung mit billigen Ausreden und den Aufschub  zielführender Maßnahmen nicht gefallen lassen.“ Und  er  informiert: „Die Fridays For Future Bewegung in Österreich bekommt gewaltigen Zulauf. Beinahe  wöchentlich  kommen  neue  Allianzen  hinzu,   so  zuletzt  die  Doctors  For  Future  auf  Initiative  des   Mediziners  Hans Peter Hutter und die Workers For Future, die dazu  beitragen werden, den Klimastreik zum Arbeitsstreik zu  machen.   Bereits  für  den  nächsten  Weltweiten  Klimastreik  am  29.11.  rufen   die  Workers  For  Future  die  arbeitende  Bevölkerung  zu  einer   Solidaritätsaktion  auf.  Derzeit  werden  Fridays  For  Future   SchülerInnen-Komitees  an  den  Wiener  Schulen  gebildet  und  die   Students  For  Future  formen  neue  Untergruppen  an  allen   Universitätsstandorten.“ Abschließend blickt Stangl nach vorn und  appelliert: „Da Österreich offensichtlich dazu gezwungen werden muss,   das  Notwendige  zu  tun,  wird  sich  die  Fridays  For  Future   Bewegung  in  Zukunft  verstärkt  auf  die  europäische Ebene  konzentrieren, um die gesetzliche Verankerung von angemessenen  Klimazielen auf EU-Ebene  zu  erreichen. Wir  werden  nicht  müde  werden,  das  Politikversagen  in  Sachen  Klimaschutz  zu  verurteilen.   Wir  haben  eine  Zukunft  zu  gewinnen. Schließt  euch  uns  an  und   tretet  für  eure  Zukunft  und  die  eurer Kinder ein: #NotMyKlimaplan“
Und auch bei etwas Grunderfolg: Welche Konsequenzen zieht man, wenn das zentrale Ziel verfehlt wird?
Hier  sieht  der Initiator  des  Ref-NEKP Gottfried  Kirchengast  den   Grunderfolg,  dass  nicht  zuletzt  auch  die  Informationen der  Wissenschaft zu mehr Bewusstsein für eine ernsthafte sozial-,  wirtschafts- und umwelt-gerechte  Klimapolitik  auch  in  Österreich   beigetragen  haben  (Stichwort  Koalitionsverhandlungen).  Er  sieht  aber konkret beim NEKP am derzeitigen Stand eine „rote Linie“  überschritten und erklärt: „Österreichs Politik hat es trotz all  unserer Bemühungen verabsäumt, den NEKP noch vor der Übermittlung bis   31.  Dezember  an  Brüssel  erfolgsfähig  zu  machen.  Die  Chancen   in  den  letzten  Wochen  noch  etwas  zum  Besseren  zu  wenden  sind   minimal.  Ich  habe  ja  seitens  der  Wissenschaft  diese  Bemühungen   angeführt,  wir  haben alles Wesentliche gesagt und trotzdem wurde das  zentrale Ziel der NEKP-Verbesserung verfehlt. Aus meiner Sicht ist damit wirklich eine rote Linie der politischen Verantwortungslosigkeit überschritten. Meine  persönliche Konsequenz: weil eigentlich alles gesagt ist, und nun die  Politik dran ist zum Handeln, werde ich  ab  sofort  meine  persönliche   Öffentlichkeitsarbeit  für  das  Thema  fast  vollständig  einstellen   und  nur  mehr  Freitags-Fünf-nach-Zwölf  Beiträge  einbringen.  Bis   entweder  Österreich  im  NEKP  oder  die  Von  der  Leyen-Kommission  EU-weit die Verbesserung des 2030 Klimaziels auf mindestens 50 Prozent  erreicht.“
Weitere Informationen finden Sie hier
Rückfragen & Kontakt
Lea Pamperl, CCCA Geschäftsstelle, Tel. +43 (0) 1 476 5499 121, lea.pamperl@ccca.ac.at
 Mag.a Lydia Matzka-Saboi, GLOBAL 2000 Pressesprecherin, +43 699 14 2000 26, lydia.matzka@global2000.at
 Mag. Volker Hollenstein, WWF Österreich Leiter Politik & Kommunikation, +43 664 501 31 58, volker.hollenstein@wwf.at
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