• 09.04.2019, 11:29:56
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"Wir alle sind Exilanten" - Wie geht jeder mit seinem Rassismus um

„Ich bin ein Hausmeisterbub und weiß, was es heißt, den Gehsteig zu reinigen.

Österreich (OTS) - 

Später habe ich gesehen, dass es Geräte gibt, die blasen den Dreck zu den Nachbarn.“ Franz Küberl auf dem 2. Forum von Zadig-Wien

"Wir alle sind Exilanten", dies war das Thema des zweiten Zadig-Wien Forums, welches in Kooperation und in den neuen Räumlichkeiten der Universität für angewandte Kunst Wien am 06. April stattfand.

Es war Schauplatz eines lebhaften Versuchs, das schwierige Themenfeld Exiliertheit und Rassismus mit Worten zu bearbeiten. Die Podiumsgäste, darunter viele bekannte Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft, Kunst und Kultur versuchten persönliche Worte dafür zu finden, was ihr eigenes Fremd-Sein, ihr Exil betrifft.

Zadig-Wien ist Teil des vom französischen Psychoanalytikers Jacques Alain Miller initiierten weltweiten Forums Zadig (Zero Abjection Democratic International Group). Es steht für ein Netzwerk von Psychoanalytiker*innen und Nicht-Psychoanalytiker*innen, die keinerlei Ausgrenzung bzw Aussonderung des Fremden oder Anderen akzeptieren.

Moderiert wurde das Forum von dem in Tel Aviv lebenden Psychoanalytiker und Co-Sekretär von Zadig-Wien Avi Rybnicki.

Stephanie Krisper eröffnet das erste Podium damit, dass sie darauf hinweist, dass „Diffamierung die Möglichkeit eröffnet, sich nicht mit dem Schicksal von Migrant*innen auseinandersetzen zu müssen. In der Politik sind Worte schon Taten. Ich halte es also für gegeben, dass es eine Grundlage gibt, die einen empfänglich macht für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.“ Diesen Rassismus verortet der in Barcelona lebende Psychoanalytiker Miquel Bassols in der Sprache. Um dies zu veranschaulichen verweist er auf die Herkunft des Begriffs Barbar. Für die Griechen war der Andere, dessen Sprache ihnen fremd war, jemand der „barbarbar“ sprach. Diesen „barbarbar“ gibt es in jeder Sprache. Der Barbar ist an der Schwelle zu unserer Tür, der Mensch nebenan, der Nachbar. Und gleichzeitig ist dieser Barbar in jeder Familie. Als Neugeborenes. Jedes Neugeborene trifft auf eine ihm zunächst radikal fremde Sprache. Diese grundlegende Erfahrung haben wir jedoch vergessen. Nur, dass wir es vergessen haben, macht es erst in seiner verhängnisvollen Dimension wirksam. Wer trägt Verantwortung für diesen Rassismus in uns, für einen Rassismus, von dem wir selbst nichts wissen?

Im zweiten Podium wurde die Frage nach der Verantwortung und der ethischen Dimension unseres Handelns gestellt. Der Psychoanalytiker Gil Caroz, Brüssel, betont, dass in der Psychoanalyse der Mensch Verantwortung trägt, nicht nur für das, was er weiß, sondern auch für das, was er tut, selbst wenn er nichts davon weiß. Willi Mernyi demonstriert dies am Bundeskanzler Sebastian Kurz, dem das Mauthausenkomitee seit 2017 sogenannte Einzelfälle übermittelt und der jetzt sagt: „Huch, das habe ich gar nicht gewusst mit den Identitären.“ Auf die Frage des Moderators, wie es Othmar Karas mit seiner Verantwortung hält, für die EU-Wahl als Spitzenkandidat einer christlich-sozialen Partei, die in Österreich mit einer rechtsnationalen koaliert, antwortet er, dass ihm die Partei seine persönliche Verantwortung nicht abnehmen kann.

Die Gäste des dritten Podiums näherten sich dem Exil aus einem persönlichen Blickwinkel. Muna Duzdar spricht darüber, den Rassismus am eigenen Leib erfahren zu haben. Dies brachte sie als junge Frau dahin, politisch aktiv zu werden und Jus zu studieren. Als selbstständige Rechtsanwältin und Politikerin dachte sie, ihr Ziel erreicht zu haben, bis sie in der Funktion als Staatssekretärin erleben musste, dass die vergangene Zuschreibung des Migrantenkindes wieder zu ihr zurückkehrte. Auf einen anderen spezifisch österreichischen Aspekt verweist Susanne Scholl: „Ich habe erlebt, was mit einer Bevölkerung passiert, die die eigene Geschichte nicht aufarbeitet. Wenn man seine Geschichte so verfälscht, dann hat man plötzlich so einen Bundeskanzler.“ In diesem Podium wurde besonders der Anspruch deutlich, eine rote Linie zu einem xenophoben, spaltenden und verhetzenden Sprechen zu ziehen.

Im abschließenden vierten Podium mit dem Subtitel Exil und Sprache, zeigte der Leiter des Instituts für Sprachkunst Ferdinand Schmatz in seinem Beitrag den fragilen Zugang eines Künstlers zur Sprache. Diese stößt als unzureichendes Mittel der Verständigung zwischen dem Innersten in uns und der fremden Welt außerhalb beständig an ihre Grenzen und scheitert. Schmatz hat sich dieses Scheitern als Stilmittel seines Sprechens und Schreibens angeeignet, indem er versucht, sich den Raum dazwischen experimentell über ein privates Sprechen zu erschließen.

Das Forum, in dem von 18:00 bis 23:30 ohne Pause durchgesprochen wurde, war ein Marathon der Worte. Die meisten der über 350 BesucherInnen blieben bis zum Ende, offenbar gebannt von der Polyphonie eines Sprechens, eines Stimmengewitters, das anhob, um die Dinge, die uns heute alle so dringend  betreffen auf eine neue und persönliche Weise zu sagen. Das Sprechen bei diesem Forum erzeugte Resonanz. Diese ist nicht immer nur angenehm.

Weitere Gastredner*innen waren Hans Rauscher, Antonio Fian, Doron Rabinovici, Barbara Coudenhove-Kalergi, Heinz Mayer, Franz Küberl, Virgil Widrich, Elisabeth Müllner, Wolfgang Petritsch, Elke Kahr, Christian Kohler Kahler, Mavie Hörbiger, Gunkl und Walter.

Anja Herden las Passagen eines Textes von Peter Turrini.

Zitate der einzelnen Gäste und Fotos zum Downloaden finden sie auf www.zadig-wien.at.

Rückfragen & Kontakt

DDr. Elisabeth Müllner
muellner.elisabeth@gmx.at
0043 699 81 65 1956
ZADIG Wien

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