• 10.01.2019, 11:00:17
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  • OTS0068

Hacker/Hebein zu Mindestsicherung: Die soziale Sicherheit für alle Menschen in unserer Stadt ist unantastbar

Kinder, Menschen mit Behinderungen, Arbeitsunfähige, Pensionisten verlieren–Bund wälzt Aufgaben an Länder ab–komplizierte Bürokratie, keine Anreize zur Arbeitsaufnahme

Utl.: Kinder, Menschen mit Behinderungen, Arbeitsunfähige,
Pensionisten verlieren–Bund wälzt Aufgaben an Länder
ab–komplizierte Bürokratie, keine Anreize zur Arbeitsaufnahme =

Wien (OTS) - „Der Entwurf zum Sozialhilfe-Grundsatzgesetz der
Bundesregierung ist unvollständig und teilweise unverständlich, es
ist keine echte Reform oder Weiterentwicklung erkennbar. Ohne
umfassende Reparaturen kann und wird die Wiener Stadtregierung dieses
Gesetz nicht in dieser Form umsetzen“, unterstrichen Wiens
Sozialstadtrat Peter Hacker und die Vorsitzende der Wiener Grünen,
Sozialsprecherin Birgit Hebein, am Donnerstag in einer
Pressekonferenz. In der Stellungnahme der Stadt Wien werden die
grundlegenden Mängel dieses Gesetzesentwurfs aufgelistet. So sind die
Vorgaben in diesem Grundsatzgesetz einerseits viel zu detailliert und
überbestimmt, sodass teilweise direkte Vollzugsbestimmungen
festgelegt sind, andererseits ist das Gesetz in vielen Punkten
missverständlich und unklar. Vielen Betroffenen wird ein
selbstständiges Leben verunmöglicht, der sozialpolitische Grundsatz
der Existenzsicherung ist nicht mehr gegeben.

Trotzdem wird sich die Verwaltung verteuern und verkomplizieren, so
die beiden Stadtpolitiker. „Der Konsultationsmechanismus wird derzeit
nicht ausgelöst, da das Gesetz aufgrund der zahlreichen
Kann-Bestimmungen und offenen Fragen keine konkreten Einschätzungen
hinsichtlich der Kostenfrage zulässt“, so Hacker. Auch ob Wien den
Verfassungsgerichtshof anruft, ließ der Stadtrat offen. Die
Begutachtung durch die Experten der Stadt habe 17 potenzielle
Verfassungswidrigkeiten bzw. Widersprüche zu europarechtlichen
Bestimmungen ergeben, die dies notwendig machen würden – vorerst
setze man jedoch auf Verhandlungen mit der Bundesregierung. „Wir
haben der Sozialministerin wie beim Treffen mit den Landesräten im
Dezember vereinbart zusätzlich zur Stellungnahme 46 Fragen geschickt
und sind sehr gespannt auf die Antworten. Nach wie vor steht die
Einladung an den Bund, von der Expertise der österreichischen
Bundesländer Gebrauch zu machen. Ich stehe zu dem Angebot, den
vorliegenden Entwurf in einer gemeinsamen Expertenrunde aus Bund und
Ländern grundsätzlich überarbeiten zu lassen“, sagt Hacker.

Eine solche Überarbeitung ist für die Stadt Wien aus mehreren Gründen
unabdingbar. „Es ist ein Grundsatzgesetz, dem das Grundsätzliche
fehlt“, so Hacker. „Die Mindestsicherung soll nach diesem Entwurf
nicht mehr als unterstes soziales Netz die Existenzsicherung der
Hilfsbedürftigen in Österreich gewährleisten. Stattdessen wurden
fremdenpolizeiliche und arbeitsmarktpolitische Aufgaben zum Grundsatz
erklärt und auf die Länder abgewälzt.“ Die Mindestsicherung wird
degradiert zum „Beitrag zur Unterstützung des allgemeinen
Lebensunterhalts“, wie es in dem Entwurf wörtlich heißt. Nicht einmal
die Vermeidung von Armut wird als Ziel definiert.
Es wird damit auch keine bundesweite Vereinheitlichung erreicht, da
wegen der vielen Kann-Bestimmungen ein „viel größerer
Fleckerlteppich“ entstehen wird. Statt Mindeststandards werden
Höchstgrenzen festgelegt, die von den Ländern unreguliert reduziert
werden können. Es gibt auch keine Einbeziehung von
MindestsicherungsbezieherInnen in die gesetzliche
Krankenversicherung. Neue Stigmatisierungen drohen. Hebein: „Wenn
Menschen von der Politik nur mehr unter dem Blickwinkel ihrer
‚Verwertbarkeit‘ und ‚Nützlichkeit‘ wahrgenommen werden, und jetzt
auch noch Kinder dieser perfiden Logik unterworfen werden, dann ist
das schwarz-blaue Almosengesetz nur die natürliche Konsequenz. Das
wird es in Wien nicht geben. Wir gehen hier einen menschlichen Weg
und investieren in Beratung, Ausbildung und Qualifizierung, damit
u.a. junge Menschen sich ein eigenen Leben aufbauen können.“
Neben der grundsätzlichen Kritik an dem Gesetzesentwurf, dass damit
die Existenzsicherung bzw. die Vermeidung von Armut und sozialer
Ausschließung als Ziele des „Armenwesens“ aufgegeben werden,
unterstrich Hacker, dass die vom Rechnungshof empfohlenen
Verwaltungsvereinfachungen völlig außer Acht gelassen wurden. „Aus
diesem Entwurf schreit einem der Bürokratiehengst entgegen. Der
Mehraufwand in der Verwaltung wäre enorm“, sagte der Stadtrat. Durch
die Überprüfungen und Datenerfassungen, wie Leumund, Anhörung der
Fremdenbehörde, Vermittelbarkeit, Überprüfung von
Pflichtschulabschlüssen bzw. von Deutschkenntnissen für den
Arbeitsqualifizierungsbonus, der Überprüfung der Staatsbürgerschaft
der Eltern wird die Bürokratie gefördert und die Verfahrensdauer
erhöht. „Die Sozialhilfeberechnungen werden aufgrund der vielen Zu-
oder Abschläge deutlich komplizierter. Sie sind nicht mehr
transparent, das bedingt einen hohen Beratungsaufwand, die
Beschwerden werden zunehmen, Rechtsmittel werden stärker in Anspruch
genommen – ein echter Wahnwitz“, sagte Hacker. Auch die Gewährung von
Sachleistungen, die Direktanweisung der Wohnkosten und
Datenerhebungen, die nicht zum Verfahren gehören, werden die Kosten
für die Steuerzahler erhöhen.

„Unsere ersten Befürchtungen haben sich nach dem Durcharbeiten des
Entwurfs bestätigt – allein in Wien werden 40.000 Kinder die
Verlierer sein“, so Hacker. Aber auch BezieherInnen, die in
Haushaltsgemeinschaften mit Angehörigen ohne Mindestsicherungsbezug
leben – wie volljährige Geschwister oder volljährige Kinder, die noch
bei den Eltern leben – werden deutlich verlieren. Menschen mit
Behinderungen werden nicht besser gestellt, wie von der Regierung
behauptet. „Der entsprechende ‚Bonus‘ ist eine Kann-Bestimmung. Die
Streichung des 13. und 14. Bezugs für Dauerleistungsbezieher – wie
Menschen mit Behinderungen – bringt gemeinsam mit anderen Maßnahmen
des Gesetzes einen Doppelmalus für manche Bezieher mit sich“, so
Hacker. Auch andere dauerhaft nicht-arbeitsfähige Personen bekommen
keine Sonderzahlungen mehr, Paare mit oder ohne Kinder müssen
Einbußen hinnehmen und BezieherInnen mit Wohnbeihilfeansprüchen
verlieren diese Unterstützung, weil parallele Bezüge zukünftig
verboten sein sollen. Auch Haftentlassene fallen um
Unterstützungsleistungen um – das Risiko rückfällig zu werden, wird
dadurch deutlich steigen, Folgekosten für Justiz und
Wohnungslosenhilfe sind unvermeidbar. Subsidiär Schutzberechtigte
würden nur noch den deutlich reduzierten Bezug in Höhe der
Grundversorgung erhalten und könnten daher nicht mehr privat wohnen.
Sie müssten in öffentlich finanzierten Quartieren untergebracht
werden.

Die Bundesregierung hat offensichtlich kein Vertrauen in ihre eigenen
Maßnahmen, die die Integration in den Arbeitsmarkt forcieren sollen.
Die erhoffte Wirkungen bei Arbeitsintegration werden vom Bund nämlich
gering eingeschätzt – laut Vorblatt wird nur mit 2.000 zusätzlichen
Arbeitsaufnahmen für ganz Österreich im Jahr 2024 gerechnet (derzeit
sind es 28.000 pro Jahr). Das lässt den Verdacht aufkommen, dass die
Arbeitsmarkt- bzw. Integrationsziele nur vorgeschoben sind, um
massive Leistungskürzungen zu ermöglichen. „Wir haben in der Wiener
Mindestsicherung Instrumente zur Arbeitsmarkteingliederung und den
Beschäftigungsbonus für eine schnellere Integration eingeführt.
Derartige Mechanismen sucht man im Entwurf der Bundesregierung
vergeblich“, betonte Stadtrat Hacker. Hebein abschließend: "Unsere
Aufgabe ist es jetzt, alle rechtlichen, politischen Möglichkeiten
auszuschöpfen, dass die Hilfe zur Selbsthilfe und die Unterstützung
von Menschen in Notsituationen nicht nur weiterhin zu bewahren,
sondern diese Spirale an "kalkulierter Mehrarmut" und Spaltung der
türkis-blauen Bundesregierung zu durchbrechen, weil sie den sozialen
Frieden von allen gefährdet."

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | NRK

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