Sobotka: Der Respekt vor dem Menschen und seiner Würde ist das unverzichtbare Fundament unserer Demokratie
Utl.: Sobotka: Der Respekt vor dem Menschen und seiner Würde ist das
unverzichtbare Fundament unserer Demokratie =
Wien (PK) - Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und der Präsident
des Bundesrates, Reinhard Todt, luden zur Gedenkveranstaltung gegen
Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus
in den Zeremoniensaal der Hofburg. In ihren Reden sprachen sich beide
für eine massive Stärkung der Demokratie und des Rechtsstaates aus.
"Wir tragen die Verantwortung, dass Abgrenzung und Ausgrenzung nicht
noch einmal die Oberhand in unserer Gesellschaft gewinnen. Wir tragen
die Verantwortung, den sozialen Zusammenhalt aller Menschen in
Österreich zu stärken und ein gutes, würdevolles Leben für alle
einzufordern. Wir tragen die Verantwortung uns zu erinnern, wozu wir
einst fähig waren, und in dem Wissen zu handeln, dass wir auch heute
noch dazu fähig sind. Mit diesen mahnenden Worten spannte
Bundesratspräsident Reinhardt Todt in seiner Rede anlässlich des
Gedenktags gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des
Nationalsozialismus einen zeitgeschichtlichen Bogen zur gemeinsamen
Verantwortung für die Gegenwart und Zukunft.
Gedenken an Albrecht Konecny und Otto Felix Kanitz
Er erinnerte in seiner Begrüßungsansprache auch an die beiden
Bundesräte Albrecht Konencny und Otto Felix Kanitz. "Albrecht Konecny
erinnerte uns immer wieder: Es gab eine Zeit, da konnte in Österreich
alleine der Bundesrat seine Stimme zur Erhaltung der Demokratie
erheben. Denn der Nationalrat war zu diesem Zeitpunkt vom
Austrofaschismus ausgeschalten."
"Otto Felix Kanitz wiederum hat mit den Kinderfreunden die ersten
großen Ferienkolonien zur Erholung für arme Kinder, für
Arbeiterkinder mitbegründet, Mit dem Projekt der Kinderrepublik gab
er den Kindern in diesen Ferien Mittel der Demokratie zur
Partizipation und zur Selbstbestimmung. Damit war Kanitz zu einer
Zeit weit vor der Verschriftlichung der Kinderrechte ein absoluter
Vorreiter. Als der österreichische Nationalrat bereits am
Zusammentritt gehindert wurde, setzte sich Kanitz im Bundesrat
vehement dafür ein, dass das frei gewählte Parlament in einer
Demokratie zusammentreten können muss. Kanitz warnte im Bundesrat vor
der Zerstörung der Demokratie. Er machte dabei deutlich: Eine
Diktatur macht dort nicht halt, wo ihrer Machtausübung Schranken
gesetzt werden. Es geht nicht nur um die Wahrung der Verfassung,
sondern auch um die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit."
Bundesratspräsident Todt zitierte Otto Felix Kanitz aus dem
stenographischen Protokoll der 204. Sitzung des Bundesrates der
Republik Österreich am 27. Oktober 1933: "Wo Demokratie und
Selbstbestimmung ausschlaggebend sind, dort ist keine Erschütterung
des Staatsgefüges zu beobachten; aber dort, wo Unterdrückung und
Tyrannei sich breitmachen, dort kommt es zu Gegenaktionen, dort kommt
es zu Explosionen, dort kommt es zu revolutionären Erscheinungen."
Am 17. Februar 1934 wurde auch der Bundesrat als letztes Relikt der
verfassungsmäßigen Ordnung der Republik aufgelöst. Otto Felix Kanitz,
der sozialdemokratische Bundesrat und Jude war, wurde wie viele
Millionen Menschen Opfer des Nationalsozialismus. Er wurde im
Konzentrationslager Buchenwald ermordet.
Todt: Wir tragen die Verantwortung, den sozialen Zusammenhalt zu
stärken
Mit den Worten Albrecht Konecnys aus dem Buch "Der Tod eines
Bundesrates" warnt Todt klar vor der auch heute spürbaren
Ausgrenzung: "Ob Hassparolen gegen jüdische Mitbürger, Progrom-
Aufrufe gegen Ausländer, Ausgrenzung und Abwertung von Minderheiten
(..) mit dem Gebot der "Reinheit des deutschen Blutes" oder dem nur
scheinbar "biederen" Wunsch, Österreicher wollten "unter sich
bleiben", begründet werden, ist bedeutungslos. Bedeutungslos in den
Auswirkungen, bedeutungslos auch für die seelische Verfassung derer,
die den zunächst so eingängig klingenden Parolen zu folgen bereit
sind. "Deutschland über alles" oder "Österreich zuerst", was wäre
dies anderes als eine Aussage, die jeder, der sich der jeweiligen
nationalen Gemeinschaft zurechnet, gutheißen kann. Aber welche
Verbrechen wurden im Namen der ersten Parole - und der vielen, die
von ihr abgeleitet wurden, begangen."
Und abschließend manifestierte Todt erneut die Verantwortung jeder
und jedes Einzelnen: "Wir tragen die Verantwortung, dass Abgrenzung
und Ausgrenzung nicht noch einmal die Oberhand in unserer
Gesellschaft gewinnen. Wir tragen die Verantwortung, den sozialen
Zusammenhalt aller Menschen in Österreich zu stärken und ein gutes,
würdevolles Leben für alle einzufordern. Wir tragen die Verantwortung
uns zu erinnern, wozu wir einst fähig waren, und in dem Wissen zu
handeln, dass wir auch heute noch dazu fähig sind.
Sobotka: Wir müssen den antisemitischen Bodensatz bekämpfen
Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka warnte in seiner Ansprache vor
dem Aufkeimen eines neuen Antisemitismus in Europa und der Welt. Das
dürfe man "nicht achselzuckend zur Kenntnis nehmen, sondern man muss
diesen Bodensatz bekämpfen". Sobotka erinnerte an den Übergriff auf
eine jüdische Seniorin in Frankreich und auch an die Aussagen des
palästinensische Präsident Mahmud Abbas vor wenigen Tagen.
"Wir dürfen den Bodensatz des Antisemitismus nicht nähren, sondern
müssen dagegen ankämpfen. Dieses Gedenken 2018 muss weiterhin als
Mahnung gelten, ein 'niemals vergessen' zu einem 'niemals wieder' zu
verändern. Antisemitismus darf in Österreich und in ganz Europa
keinen Boden finden", bringt Sobotka die Warnung klar zum Ausdruck.
Wenn "Gedenken" über das formalisierte Ritual hinaus Sinn und
Bedeutung für Gegenwart und Zukunft behalten soll, dann sei es
notwendig, das Geschehene selbst nicht nur unmissverständlich beim
Namen zu nennen, sondern auch mit klarem und schonungslosem Blick die
Essenz des Geschehenen im Lichte der Gegenwart stets aufs Neue zu
begreifen. "Tatsächlich ist es unumgänglich tiefer zu gehen, Quellen
und Motive ebenso wie Mechanismen und Wirkungszusammenhänge im
Herrschafts- und Machtgefüge des Dritten Reiches zu beleuchten und zu
begreifen, denn nur auf der Grundlage ernsthafter und wahrhaftiger
Einsicht lässt sich ein "niemals vergessen" auch in ein wirkliches
"niemals wieder" übersetzen. Die Auseinandersetzung mit der eigenen
Geschichte erschöpft sich nicht in der Erfüllung von Formalismen. Man
muss die Dinge schon auch beim Namen nennen und greifbare
Konsequenzen für das Hier und Jetzt daraus ableiten."
"Mit Entschlossenheit gegen Entmenschlichung"
Sobotka thematisierte außerdem die Entmenschlichung des NS-Regimes:
"Im perversen Denken der Nazis galt es, die rassische Qualität des
eigenen Kollektivs unter ‚Ausmerzung' der angeblich Unwerten zu
heben. Begleitet wurde die Entmenschlichung einerseits vom Anschein
der Rechtsstaatlichkeit - etwa über das Reichsbürgergesetz oder das
Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre -
anderseits von beispielloser Brutalität und Terror, beides
Instrumente und Wegbereiter der totalen Gleichschaltung und letztlich
der Aushebelung von Demokratie und Rechtsstaat. Heute, im Jahr 2018,
muss daher klar sein: Die Entmenschlichung stand am Beginn dieser
Unrechtsherrschaft und so gilt es heute, in aller Schärfe und
Entschlossenheit darauf zu reagieren, wenn Menschen als Individuen
oder in Gruppen klassifiziert, bewertet werden, wenn gegen sie
gehetzt wird, sie letztlich ihrer Menschlichkeit beraubt werden. Es
steht niemandem zu, die "Nützlichkeit" eines Menschen zu beurteilen.
Es ist vielmehr die bunte Vielfalt des Mensch-Seins, die unserer
Gesellschaft ihre Seele verleiht."
Es gelte außerdem in aller Schärfe und Entschlossenheit darauf zu
reagieren wenn das Vertrauen in den Rechtsstaat gezielt und
opportunistisch unterminiert wird, unterstrich NR-Präsident Sobotka
und appelliert zugleich an alle im Nationalrat vertretenen Parteien:
"Man kann es sich nicht aussuchen, wann einem der Rechtsstaat gefällt
und wann nicht - und ich erwarte, dass man - bei aller
tagespolitischen Aufgeregtheit - mit fundamentaler Kritik sehr
behutsam vorgeht. Eine Mahnung, die wir - gerade und vor allem in der
Tagespolitik -Ernst nehmen müssen."
Untersuchung zum Antisemitismus in Auftrag geben
"Der Nationalrat wird die Bundesregierung mit der Durchführung einer
umfassenden Untersuchung zum Antisemitismus beauftragen. Einerseits
soll die historische Dimension seit dem späten 19.Jahrhundert und
andererseits die aktuelle Situation dargestellt werden. Schließlich
wollen wir Handlungsfelder für Maßnahmen der Prävention, also für die
Zukunft, ableiten", so Präsident Sobotka.(Schluss) mar
HINWEIS: Fotos von dieser Gedenkveranstaltung finden Sie auf der
Website des Parlaments unter www.parlament.gv.at/SERV/FOTO/ARCHIV.
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