• 12.10.2017, 20:30:03
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Viel Wahlkampfrhetorik in Nationalratsdebatte über Erklärung von BK Kern "Verantwortung für Österreich"

FPÖ-Misstrauensantrag gegen Kern und SPÖ-Antrag zum Mietrecht abgelehnt

Utl.: FPÖ-Misstrauensantrag gegen Kern und SPÖ-Antrag zum Mietrecht
abgelehnt =

Wien (PK) - Wie zu erwarten war, gab die Erklärung von Bundeskanzler
Christian Kern heute im Nationalrat Anlass für eine heftige Debatte,
die vor allem durch Wahlkampfrhetorik und gegenseitige
Schuldzuweisungen geprägt war, begleitet von lauten Zwischenrufen.
Die Abgeordneten, auch die fraktionslosen, nützten die Gelegenheit,
für ihre jeweilige Partei zu werben und Kritik an den anderen zu
üben.

Der Bundeskanzler stellte seine Rede unter den Titel "Verantwortung
für Österreich" und appellierte an die Gemeinsamkeit und den
gegenseitigen Respekt. Es werde einen Tag nach der Wahl geben, sagte
er, man brauche eine Kultur des Dialogs zwischen allen Parteien und
keine politische Kultur, die das Land spaltet. Die anderen Parteien
warfen dem Kanzler vor, das Parlament als Wahlkampfbühne zu
missbrauchen. Vizekanzler und Justizminister Wolfgang Brandstetter
schlug zunächst versöhnliche Töne an und erinnerte, wie Kanzler Kern
zuvor, an die vielen Beschlüsse, die auch nach der Ankündigung von
Neuwahlen noch gelungen sind. Er verurteilte jedoch Aggression,
Gehässigkeit und gegenseitiges Niedermachen im politischen Diskurs
und hielt es für notwendig, die Lücke im Strafrecht in Bezug auf
Dirty Campaigning zu schließen.

Die FPÖ legte ihren bereits vorher angekündigten Misstrauensantrag
gegen Bundeskanzler Kern vor, der jedoch keine verfassungsmäßige
Mehrheit fand - für den Antrag stimmten nur die FPÖ-Abgeordneten und
der fraktionslose Marcus Franz. Das nahm Herbert Kickl (F) zum
Anlass, der ÖVP vorzuwerfen, dem Bundeskanzler weiterhin die Mauer zu
machen. ÖVP-Abgeordneter Andreas Ottenschläger konterte, die
WählerInnen würden am Sonntag entscheiden, wer stärkste Kraft sein
wird, und diesem Votum wolle seine Fraktion nicht vorgreifen.

Nicht erfolgreich war auch die SPÖ mit ihrem Entschließungsantrag zu
fairen Mieten. Darin fordert deren Abgeordnete Ruth Becher den
Justizminister auf, ein neues Miet- und Wohnrecht vorzulegen, das
eine faire Mietpreisregelung mit einem bundeseinheitlich geltenden
transparenten Mietrecht, ferner die Abschaffung der Maklergebühren
für MieterInnen (Erstauftraggeberprinzip), eine Senkung der
Betriebskosten durch Herausnahme der Hausversicherung und der
Grundsteuer aus dem Betriebskostenkatalog und schließlich den Ausbau
des leistbaren Wohnungsangebots durch Stärkung der Gemeinnützigen
Wohnungswirtschaft und Baulandmobilisierung umfasst. Die Menschen
würden durch solch eine Reform um 1,15 Mrd. € pro Jahr entlastet,
rechnete sie vor. Becher bedauerte, dass es bislang zu keiner
Einigung über dieses Thema gekommen ist, obwohl das ein Punkt des
Regierungsübereinkommens ist. Sie gab dafür der ÖVP die Schuld, diese
habe nur Scheinverhandlungen geführt, sagte Becher.

Nachdem Bundeskanzler Kern nicht der gesamten Debatte folgte, stellte
Dieter Brosz von den Grünen den Antrag auf Anwesenheit des
Regierungschefs. SPÖ-Klubobmann Schieder entgegnete, dieser sei
ohnehin durch Staatssekretärin Muna Duzdar vertreten. Der Vorsitz
führende Dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer stellte fest,
über den Antrag sei abzustimmen. Trotz der Einwendungen Schieders
stimmten dann aber doch alle Fraktionen, also auch die SPÖ, dafür,
dass der Kanzler bei der Diskussion über seine Erklärung anwesend
sein müsse. Das hatte aber insofern keine unmittelbaren Auswirkungen,
da die Debatte wegen der Dringlichen Anfrage unterbrochen wurde und
dabei die Anwesenheit des Kanzlers nicht erforderlich war.

Kern appelliert an Verantwortung der Politik und gegenseitigen
Respekt

Bundeskanzler Christian Kern appellierte in seiner Erklärung an die
Verantwortung aller ParlamentarierInnen, denn schließlich sei man den
BürgerInnen, dem Souverän, verpflichtet. Kern räumte ein, dass die
Wahlauseinandersetzung dazu keinen guten Beitrag geleistet habe, und
rief dazu auf, sich wieder der politischen Kultur in Österreich zu
besinnen. Die politischen Debatten sollten von Respekt, Integrität
und Redlichkeit geprägt sein, so Kern. Wer jetzt weiter Misstrauen
schüre, der habe die politische Lektion nicht gelernt.

Im Sinne dieser politischen Kultur warb er bei den Abgeordneten
dafür, ein starkes Zeichen für ein Miteinander zu setzen, indem man
die Lebensrealitäten der Menschen in den Mittelpunkt stellt und
konkrete Lösungen vorlegt. Er forderte die ParlamentarierInnen in
diesem Sinne auf, noch heute für die Gleichstellung von ArbeiterInnen
und Angestellten, die Abschaffung der Gebühren für Mietverträge, die
Unterhaltsgarantie und mehr Chancen für Menschen mit Behinderung zu
stimmen. "Wir müssen uns an die Spitze der Veränderung stellen",
sagte Kern und wies auf die großen Herausforderungen wie Klimawandel
und Digitalisierung hin. Österreich müsse zukunftsfähig sein und
Chancen für alle und nicht nur für einige wenige bieten.

Brandstetter: Wer in Dirty Campaigning investiert, investiert in die
Politikverdrossenheit

Auch Vizekanzler und Justizminister Wolfgang Brandstetter
appellierte, zur politischen Kultur und zum gegenseitigen Respekt
zurückzukehren. Es gehe um die Suche nach den besten Lösungen, sagte
er und fügte hinzu: "Wer in Dirty Campaigning investiert, investiert
in die Politikverdrossenheit."

Als Vizekanzler habe er versucht, so viel wie möglich aus dem
Regierungsprogramm noch gemeinsam umzusetzen, betonte Brandstetter in
seiner Stellungnahme. Auch wenn vieles gelungen sei, so bedauerte er
aus seiner Sicht, dass die SPÖ die Arbeitszeitflexibilisierung und
das Sicherheitspaket blockiert habe. Vor allem beim letzten Punkt
gehe es um Verantwortung, unterstrich Brandstetter.

In Bezug auf die Notwendigkeit einer Unterhaltsreform ging er mit dem
Kanzler konform, nicht aber mit dem Weg zur Lösung. Diese müsse
sachorientiert erfolgen, meinte er. Beim SPÖ-Modell stößt sich der
Justizminister vor allem daran, dass man mit dem Grundsatz der
Berechnung nach den Lebenshaltungskosten brechen wolle. Man müsse
auch verhindern, dass Geldflüsse unnötig ins Ausland gehen. In
Richtung FPÖ meinte er, die Eingrenzung auf in Österreich lebende
Kinder sei unrealistisch.

ÖVP warnt vor Schnellschuss bei budgetrelevanten Materien

Die Debatte über die Erklärung zeigte sehr rasch, dass die noch
Koalitionspartner SPÖ und ÖVP unterschiedliche Wege gehen. So warnte
August Wöginger (V) davor, heute budgetrelevante Beschlüsse in der
Höhe von 580 Mio. € und weitreichende Änderungen im sozial- und
gesellschaftspolitischen Bereich zu fassen. Als Abgeordneter habe man
die Verantwortung für die zukünftigen Generationen wahrzunehmen,
replizierte Wöginger auf den Titel der Kanzler-Erklärung. Die ÖVP
werde der Pensionsanpassung zustimmen, kündigte er an, keinesfalls
werde man aber ein "Husch-Pfusch-Gesetz" wie die Angleichung von
ArbeiterInnen und Angestellten unterstützen. Das sei ein tiefer
Eingriff in die Kollektivverträge ohne Einbindung der Sozialpartner.
Die ÖVP werde aber eine eigene Entschließung vorlegen. Auch beim
Kindesunterhalt könne die ÖVP nicht mitgehen, da sie unnötige
Überweisungen ins Ausland verhindern möchte.

Die SPÖ glaube zu sehr an den Staat, die ÖVP wolle den Menschen mehr
Freiheit zurück geben, fasste Andreas Ottenschläger (V) die
Unterschiede von ÖVP und SPÖ zusammen. Was die Mieten betrifft, so
sprach er sich für eine Gebührenbremse in Wien und mehr soziale
Treffsicherheit im sozialen Wohnbau aus.

FPÖ will nach der Wahl einen Kurswechsel

FPÖ-Klubobmann Heinz-Christian Strache griff den Kanzler persönlich
an und warf ihm komplettes Führungsversagen und Dirty Campaigning auf
Kosten der SteuerzahlerInnen vor. Nach all dem, was in den letzten
Wochen passiert ist, sei die Erklärung des Bundeskanzlers "fast ein
Kabarett" gewesen. Die Zusammenarbeit der SPÖ mit Silberstein und
anderen Personen mit dubiosen Firmenbeteiligungen zeige ein
Sittenbild der Partei. Der Wahlkampf sei ein Tiefpunkt der Unkultur
gewesen, so Strache weiter, noch nie habe man in der zweiten Republik
im In- und Ausland so viel Schaden angerichtet. Was die SPÖ gemacht
hat, sei ein Missbrauch des Begriffs Verantwortung gewesen,
bekräftigte Herbert Kickl (F) die Kritik seines Parteiobmanns. Kern
habe nach dem Plan von Tal Silberstein gehandelt und wolle eigene
Spuren verwischen und falsche Fährten legen. Seine Politik bestehe
aus 95% Inszenierung und 5% Inhalt, so Kickl, der im gleichen Atemzug
diese "politische Mixtur" auch dem ÖVP-Spitzenkandidaten und
Außenminister Sebastian Kurz zuschrieb.

Strache geißelte in seiner Rede die Politik der Koalition. Diese habe
für eine Steuerbelastung in höchstem Ausmaß gesorgt und sei für die
mangelnde Fairness vor allem im Sozialbereich verantwortlich. Die
Regierung habe die Probleme nicht rechtzeitig abwehren können,
deshalb verdiene Österreich einen Kurswechsel, so sein Fazit.

Grüne für authentische Politik und keine Politikinszenierungen

Als "unerhört" empfand Albert Steinhauser von den Grünen die
Erklärung des Bundeskanzlers, er habe diese zu einer Wahlkampfrede
missbraucht. Die ÖsterreicherInnen hätten von diesem Wahlkampf die
Nase voll, er schade der Demokratie und habe nichts mit den konkreten
Problemen zu tun. Für seine Partei nahm er in Anspruch, für eine
authentische Politik und nicht für Politinszenierungen und eine
"gebürstete Politik" zu stehen. Dem Dirty Campaigning erteilte
Steinhauser eine klare Absage. In Richtung ÖVP stellte er fest, dass
die Grünen es ablehnen würden, sich von GroßspenderInnen kaufen zu
lassen. Das Verhalten von SPÖ und ÖVP habe zu einem Vakuum geführt,
das die FPÖ nun ausfülle und den Weg zu einem Rechtsruck ebne.

NEOS: Allianz für Freiheit und Verantwortung

Ebenso stellten Matthias Strolz und Nikolaus Scherak die NEOS als
eine positive Kraft dar. Der Flurschaden sei groß, sagte Strolz, man
brauche nun einen Neustart. In diesem Sinne hätten die NEOS eine
Allianz für Freiheit und Verantwortung geschlossen, womit drei
Leitlinien verbunden seien: Inhalte statt Intrigen, Freiheit statt
Filz und Tempo statt Taktik. Die NEOS wollten für Lösungen arbeiten,
die auch im Leben ankommen. Im Sinne dieses neuen Stils werde er nach
der Wahl auf alle Parlamentskräfte zugehen, um Chancengespräche zu
führen. Der neue Nationalrat müsse einen entscheidenden Schritt zu
einem Arbeitsparlament setzen, forderte Strolz.

Besonders kritisch äußerten sich Strolz und Scherak zur Budgetpolitik
und forderten einen Stopp der Verschwendung, die sie vor allem bei
den Förderungen orten. Österreich mache seit 55 Jahren neue Schulden,
wofür man jährlich 8 Mrd. € zahle, rechnete Scherak vor, was er als
ein verantwortungsloses Schuldenmachen auf Kosten der nächsten
Generation bezeichnete.

SPÖ sieht bei nächster Wahl Richtungsentscheidung

Im Gegensatz zu den anderen Fraktionen stellten sich die SPÖ-
Abgeordneten voll hinter ihren Bundeskanzler. Am Sonntag werde eine
Richtungsentscheidung getroffen, ob der Wirtschaftsaufschwung und der
Wohlstand weiterhin gestärkt und dieser auch fair verteilt werde,
sagte etwa Klubobmann Andreas Schieder, ob es einen Kurs des sozialen
Ausgleichs mit Bundeskanzler Kern oder einen Kurs des sozialen
Kahlschlags mit ÖVP-Obmann Kurz und FPÖ-Obmann Strache gibt. Die
Regierung habe die meisten Arbeitsplätze geschaffen, die Fakten
sprächen für sich. Die in Österreich herrschende soziale Sicherheit
stelle einen enormen Standortvorteil dar, betonte Schieder und warb
für sichere Pensionen, die Unterhaltsgarantie und ein faires
Mietrecht.

Anders als Vizekanzler Brandstetter sehen Schieder und seine
Klubkollegin Andrea Kuntzl die Blockade bei der ÖVP. Kurz habe massiv
daran gearbeitet, wichtige Lösungen zu verhindern. Kuntzl wehrte sich
vor allem gegen den Begriff "Wahlzuckerl", da es sich etwa beim
eigenständigen Anspruch auf Notstandshilfe, bei der Gleichstellung
von ArbeiterInnen und Angestellten und beim Wegfall der Gebühren bei
Mietverträgen um wichtige Schritte gegen die Armut handle. Zu all dem
gebe es ausgefeilte Konzepte, versicherte auch Wolfgang Katzian
gegenüber August Wöginger (V). So werde etwa die Entgeltfortzahlung
in Bezug auf ArbeiterInnen und Angestellte seit zwei Jahren von den
Sozialpartnern diskutiert, ohne eine Einigung erzielt zu haben. Nun
habe man einen verantwortungsvollen Weg gefunden.

Kritik an Kern und Regierung auch von fraktionslosen Abgeordneten

Auch die fraktionslosen Abgeordneten Christoph Hagen, Marcus Franz,
Waltraud Dietrich, Barbara Rosenkranz, Martina Schenk und Leopold
Steinbichler übten Kritik an den Worten des Kanzlers. Wo war die
Verantwortung 2015/16 beim Flüchtlingssturm auf Österreich, fragte
etwa Hagen, der bei den Wahlen nicht mehr antritt. Als
VolksvertreterIn müsse man auf das Volk schauen. Verantwortung könne
man nicht mit schönen Worten herbeireden, meinte wiederum Franz und
unterstrich den Vorrang Österreichs vor der EU. Wie Dietrich hätte er
es für angebracht gehalten, wenn sich Kern für das Dirty Campaigning
entschuldigt hätte. Der Wahlkampf sei ein politischer Tiefpunkt
gewesen, sagte Dietrich. Kerns Darstellung, Silberstein sei in erster
Linie für Umfragen engagiert worden, sei unglaubwürdig und mit einem
Spitzenkoch zu vergleichen, den man fürs Tellerwaschen anstellt,
meinte sie.

Rosenkranz und Schenk warben für die Freie Liste Österreich, für die
beide kandidieren. Rosenkranz forderte einmal mehr den Ausbau der
direkten Demokratie nach Schweizer Vorbild. Diese sei weniger
anfällig für Demagogie als die repräsentative Demokratie, ist sie
überzeugt. Schenk warf ihrerseits der FPÖ vor, ihre klare EU-
kritische Haltung aufgegeben zu haben, um in der künftigen Regierung
vertreten zu sein. Steinbichler tritt seinerseits für die Weißen an
und unterstrich, auch kleine Parteien könnten etwas bewegen. Als
Beispiele nannte er die Strategie zum Verbot von Palmöl, es sei auch
gelungen, die Militärkapellen zu erhalten, erinnerte er. Deshalb sei
es wichtig, dass auch kleine Gruppierungen im Nationalrat vertreten
sind. (Fortsetzung Nationalrat) jan

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | NPA

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