- 04.10.2017, 19:51:19
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BR-Symposium zu Digitalisierung und Demokratie: E-Voting umstritten, Partizipation soll forciert werden
Rund 80 TeilnehmerInnen aus Politik und Interessensvertretung, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft
Utl.: Rund 80 TeilnehmerInnen aus Politik und Interessensvertretung,
Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft =
Wien (PK) - Beim heutigen Symposium des Bundesrats zu Digitalisierung
und Demokratie standen im Anschluss an das Thema "Information und
Desinformation" (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 1022/2017)
Expertenvorträge über E-Voting, E-Government, Transparenz und
Partizipation auf dem Programm. Wesentliche Diskussionspunkte bei der
darauf folgenden abschließenden Diskussion waren für die rund 80
TeilnehmerInnen aus Politik und Interessensvertretung, Verwaltung,
Wirtschaft und Wissenschaft etwa das E-Voting, aber auch
Partizipationsprozesse, das Thema Fake News und Kontrollsysteme sowie
Klarnamenpflicht und Bildungsfragen.
Neben Universitäten der unterschiedlichen Fachrichtungen und
VertreterInnen aus dem E- und IT-Bereich waren etwa auch
Sozialpartner, ehemalige und aktive PolitikerInnen der Landes- und
Bundesebene samt BundesrätInnen und Nationalratsabgeordneten vor Ort.
Das heutige Symposium baut auf das Grünbuch des Bundesrats und die
Online-Konsultation unter www.digidem.at auf und soll in der
Länderkammer als Prozess zu einer politischen Strategie Richtung
Auftrag an Nationalrat und Regierung führen.
E-Voting: Nutzenabwägung einerseits, Zweifel an Umsetzbarkeit
andererseits
Zum Thema Wahlen und Abstimmungen gab Robert Krimmer, Professor für
E-Governance an der Technischen Universität Tallinn Einblicke in
Internetwahlen in Estland. Erich Neuwirth, Professor der Fakultät für
Informatik der Universität Wien, referierte seinen Standpunkt zu "E-
Voting: Nutzen und Gefahren".
In Estland ist das System des E-Voting mittlerweile
identitätsstiftend und wird auch international als Art digitales
Narrativ betrachtet, sagte Robert Krimmer. Es werden aktuell zum
achten Mal seit 2005 Wahlen auch über das Internet durchgeführt, die
Beteiligung lag zuletzt bei mittlerweile einem Drittel der
abgegebenen Stimmen. Diese Form der Wahl sei im Land auch nicht mehr
umstritten, gegen grundsätzliche Skepsis sei der Zugewinn an
Mobilität und Komfort erkannt worden. Man habe sich in Estland für
eine einfaches Verfahren entschieden, das die Briefwahl abbildet,
zudem werde bei jeder Erstellung von Personalausweisen standardmäßig
die E-Signatur aktiviert. Ob die Form der Internetwahl auch für
andere Länder funktioniert, sei abzuwägen, so der Experte. Auf
Rückfragen und Kritik aus dem Publikum ergänzte Krimmer, dass es in
Österreich vermutlich wenig Grund gebe, am bestehenden System etwas
zu ändern. Den Zug der Zeit müsse man trotzdem erkennen sich auf die
Entwicklung der Digitalisierung in 20 bis 30 Jahren einstellen.
Skeptisch bei der Frage nach Belegbarkeit der korrekten Stimmabgabe
zeigte sich demgegenüber Erich Neuwirth. Aus seiner Sicht sei es auch
schwierig, beim E-Voting etwa die Vorgaben des
Verfassungsgerichtshofs zu erfüllen, theoretische
Manipulationsmöglichkeiten auszuschließen. Außerdem seien die
Einhaltung der Grundprinzipien der geheimen und anonymen Wahl, ebenso
wie der für E-Voting erforderliche technische Wissensstand aller
BürgerInnen ad hoc nur schwierig realisierbar. Neuwirth schließt
nicht aus, dass Internetwahlen auch in Österreich in Zukunft in Frage
kommen. Diese derzeit einzusetzen hält er allerdings für gefährlich
und verweist auf die große Herausforderung, dass Wahldaten einerseits
verifizierbar sein müssten, andererseits die Anonymität zu
garantieren ist. Dem schlossen sich auch Diskussionsteilnehmer wie
etwa die Bundesräte Reinhard Todt (S/W) und Stefan Schennach (S/W)
an. Es sei gut, dass das Thema vom Tisch sei, so Schennach. Auch,
dass der Gang zur Wahlurne an sich ein symbolischer Akt sei und
dieser nicht zu einem "voting alone" vor dem PC werden dürfe, wurde
in der Diskussion angesprochen.
Digitalisierung als Chance für mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung
Auf die Möglichkeiten zu Online-Bürgerbeteiligungen ging Andreas
Kovar, Geschäftsführender Gesellschafter der Kovar & Partners GmbH,
ein. Als wichtigste Vorteile von gesteigerter E-Partizipation
erachtet er, dass es zu einem deutlichen Anstieg in der Akzeptanz von
Entscheidungen kommt, wenn BürgerInnen mitentscheiden können,
kurzfristig auf Entwicklungen reagiert werden könne und die Politik
nicht nur mit WissenschaftlerInnen und InteressensvertreterInnen,
sondern auch direkt mit Betroffenen in Austausch treten kann. Kovar
vermisst, dass Informationen bei politischen Diskussionen derzeit
nicht in ausreichendem Maß ausgetauscht werden, was allerdings
weniger an den fehlenden Instrumenten liegt, als vielmehr an einem
noch nicht gelernten Umgehen mit den digitalen Optionen. Für den
Parlamentarismus sieht er von Seiten der Geschäftsordnung keine
Behinderung, informelle in formelle Vorgänge zu integrieren. Daher
gelte es, Prozedere zu entwickeln, die Digitalisierung, die in der
Zivilgesellschaft schon vorangeschritten ist, auch in der Politik zu
nutzen. Dadurch könne Österreich im internationalen Vergleich einen
Standortvorteil erlangen.
Auch für Ursula Seethaler, Vorstandsvorsitzende von Liquid
Participation fehlt es an nachhaltigen Online-Beteiligungsprozessen.
Sie unterschied in ihrem Vortrag Top-down- und Bottom-Up-Strategien.
Bei den Top-down-Strategien erkennt sie in Österreich bereits
Fortschritte, allerdings vermisst sie genaue Definitionen von
Zielsetzungen, die verfolgt werden sollen. Bei Bottom-up-Strategien
müsse vor allem darauf geachtet werden, dass Tools verwendet werden,
die an die jeweiligen E-Partizipationsformate angepasst werden
können. Derzeit gebe es eine vielfältige Auswahl an technischen Tools
für beispielsweise NGOs oder Gemeinden, wodurch die
Experimentierfreudigkeit der jeweiligen Institution ausschlaggebend
für die Auswahl der Anwendungen ist. Hier einen klaren
Kriterienkatalog festzulegen, würde auch ein wichtiger Impulsgeber
für ProgrammentwicklerInnen sein. Die Politik sei daher gefordert,
klare Standards dafür aufzustellen, was Gemeinden oder
Zivilgesellschaft benötigen, um nachhaltige Online-
Beteiligungsprozesse zu schaffen.
Digitalisierung würde neue Möglichkeiten zur Transparenz schaffen,
sagte Robert Harm von open3, dem Verein zur Förderung von open
Society, openGovernment und openData. Informationstransparenz ist ein
wichtiger Faktor, um das Vertrauen in demokratische Prozesse zu
stärken. Daten sind ein wichtiges Gut, von dem mehr benötigt würde,
schließlich sei Information auch ein öffentliches Gut, unterstrich
Harm. Er plädierte daher für Open Government Data, wonach eine
proaktive Informationsfreigabe durch den Staat umgesetzt werden soll.
Lediglich wenn dadurch Privatsphäre und Sicherheit bedroht werden,
dürfe Information zurückgehalten werden. Hierzu wäre ein
Informationsfreiheitsgesetz nötig, das Regelungen für Informationen
festlegt, wenn diese nicht veröffentlicht werden dürfen.
Für Liquid Democracy trat Moritz Ritter, Geschäftsführer und
Vorstandsmitglied von dem Verein Liquid Democracy, ein.
Stellungnahmen zu Gesetzen sollten dadurch unabhängig von Zeit und
Ort sowie direkt an Textstellen der jeweiligen Gesetze vorgenommen.
Bei bestimmten Fachthemen sollten außerdem ExpertInnen anstelle von
VolksvertreterInnen als stimmberechtigt herbeigezogen werden können.
Die technischen Möglichkeiten hierzu seien bereits gegeben, betonte
Ritter. Die "digitale Spaltung", wonach die Medienkompetenz vom
Einkommen und Bildungsgrad abhängen, müsse durch bildungspolitische
Maßnahmen aufgehalten werden. Außerdem fehle es Parteien und
Parlamenten an Mut, digitale Plattformen nicht mehr nur als reine
Distributionsmedien zu verstehen. Nicht zuletzt brauche es
verbindliche Verfahren zur digitalen Beteiligung, um eine dynamische
Demokratie zu schaffen.
Digitale Gesellschaftsprozesse: Effektivierung und Nutzereinbindung
"App statt Amt?" fragte Maximilian Schnödl, Chief Operating Officer
von Accela und Aufsichtsrat im Bundesrechenzentrum, in seinem
Vortrag. Er plädierte für digitale Transformation von Behördenwegen,
wodurch eine deutliche Effektivierung dieser Prozesse entstehen
würde. Beispiele aus den USA oder Dubai würden zeigen, dass eine
solche Transformation von vielen Behördenwegen hin zu einer
Erledigung im Internet vollzogen werden kann. Für Österreich ortete
er Nachbesserungsbedarf in verschiedenen Punkten. Bei Standortfragen
wie bei Betriebsgründungen, Baubewilligungen und Steuererklärungen
hinke Österreich im internationalen Vergleich noch hinterher. Bei
Bürgerservices war Österreich mit der Plattform help.gv.at lange
Spitzenreiter im internationalen Vergleich, habe hier aber den
Anschluss verpasst und müsse sich auf eine Weiterentwicklung
konzentrieren. Generell gelte es auch, Innovationen im Hinblick auf
digitale Transformation verstärkt zu fördern. Außerdem biete die
Digitalisierung Chancen für die öffentliche Hand, effizientere
Services anzubieten und die Organisation zu verbessern.
Ulrike Huemer, Chief Information Officer der Stadt Wien, kritisierte,
dass Gesellschaftsprozesse der öffentlichen Hand bisher meist nur
direkt in die digitale Welt übertragen würden, anstatt sie zu
analysieren und in Hinblick auf die Digitalisierung
weiterzuentwickeln. Man könne hier bei Usability und der Einbindung
von UserInnen viel von kommerziellen Plattformen lernen. Die
öffentliche Verwaltung habe zwar keine Konkurrenz zu befürchten,
müsse aber auch in der digitalen Entwicklung handlungsfähig bleiben
sowie Prozesse einfacher machen. Dabei müssten die Innovationskraft
und Bedürfnisse von BürgerInnen berücksichtigen werden. Als Beispiel
nannte Huemer hier Workshops für BürgerInnen, in denen Prozesse im
Digitalen neu gestaltet werden können oder eruiert werden, welche
Anwendungen tatsächlich gebraucht werden. So sei eine Störungs-App
für WienerInnen entstanden, aber Huemer kann sich auch vorstellen,
auf diesem Weg z.B. das Grundbuch oder ein Ideenmanagement neu zu
gestalten. Wichtig sei hier aber, dass Datenschutz und Freiwilligkeit
der Angebote stets bewahrt bleibt, um das Vertrauen in öffentliche
Instanzen zu erhalten.
Auf entsprechende Fragen aus der Diskussion bestätigte Huemer, dass
Wien viel Wert auf Open Source Software lege und diese auch einbinde.
Zudem würden alle Services auch weiterhin analog angeboten, betonte
sie gegenüber Bundesrätin Heidelinde Reiter (G/S), die diesen Aspekt
thematisierte. Es gebe kein Entweder-oder, sondern immer eine
Kombination aus online und offline, so Huemer dazu.
E-Voting, Partizipationsprozesse, Fake News in der
Abschlussdiskussion
Neben dem E-Voting wurden in der abschließenden Diskussion etwa auch
Partizipationsprozesse, das Thema Fake News und Kontrollsysteme sowie
eine Klarnamenpflicht und Bildungsfragen thematisiert. Partizipation
brauche unterschiedlichste Formen und jedenfalls Verbindlichkeit,
meinte etwa Bundesrat Stefan Schennach. Ein drängendes Thema sei
hinsichtlich Fake News auch die Frage, wohin sich der Wert von
politischem Inhalt entwickle und welche Rolle das Parlament der
Zukunft dabei haben werde. Bundesrat Martin Preineder (V/N) plädierte
für Verantwortung beim Publizieren im Netz. Hier seien etwa
Kontrollsysteme und Kennzeichnungsmaßnahmen zu überlegen, um
feststellen zu können, woher falsche News kommen. Offene Daten werden
gebraucht, so Preineder, in der Balance zwischen dem gläsernen Staat
und dem gläsernen Bürger seien allerdings auf die Schnittstellen zu
achten.
Eine etwaige Klarnamenpflicht wurde kontrovers gesehen. Gegen
Argumente wie etwa steigendes Niveau seien auch Gründe zu beachten,
warum es in manchen Situationen auch Anonymität im Netz geben müsse,
hieß es in der Debatte. Zum Thema Ausbildung kam einerseits die
Anmerkung, dass die sogenannten "Digital Natives" meist schlicht
UserInnen seien und sich nicht mit Technikfolgen auseinandersetzen.
Auf der Seite von InformatikerInnen wurde eine Art "Eid des
Hippokrates" für Programmierer vorgeschlagen, damit nicht ohne
Reflexion Geschäftsideen in die Welt gesetzt würden. Diskutiert wurde
etwa auch, Demokratie "als Suchmaschine" zu denken, im Sinne
moderner, interaktiver Formen der Partizipation. Demgegenüber wurde
eine Entwicklung Richtung Unmündigkeit befürchtet.
Bundesratspräsident Edgar Mayer betonte zum Abschluss, dass die
Online-Konsultation über den Link www.digidem.at nach wie vor offen
ist. Das Grünbuch "Digitalisierung und Demokratie" ist auf der
Website des Parlaments als PDF unter https://parl.at/ldyCO abrufbar.
(Schluss Symposium) mbu/see
HINWEIS: Fotos vom Symposium finden Sie auf der Website des
Parlaments unter www.parlament.gv.at/SERV/FOTO/ARCHIV.
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