Kern will dem Parlament CETA bis auf weiteres nicht zur Ratifizierung vorlegen
Utl.: Kern will dem Parlament CETA bis auf weiteres nicht zur
Ratifizierung vorlegen =
Wien (PK) - Die FPÖ hat heute in der Aktuellen Stunde des
Nationalrats ihre Forderung nach Einführung einer Volksgesetzgebung
als Ergänzung zur repräsentativen Demokratie bekräftigt. Die
Bevölkerung müsse Entscheidungen des Parlaments korrigieren können,
sagte Klubchef Heinz-Christian Strache, stieß mit seinen Vorschlägen
allerdings auf Skepsis. Es wären gerade die von der FPÖ vielfach
kritisierten großen Konzerne, die die Möglichkeiten hätten, Kampagnen
zu finanzieren und damit Referenden zu beeinflussen, machte etwa SPÖ-
Verfassungssprecher Peter Wittmann geltend. Der fraktionslose
Abgeordnete Wolfgang Zinggl fürchtet, dass Interessen von
Minderheiten unter die Räder kommen könnten.
Im Mittelpunkt der Debatte stand gemäß dem von der FPÖ gewählten
Thema für die Aktuelle Stunde "Direkte Demokratie und
Selbstbestimmung statt CETA- und TTIP-Diktate" das EU-
Freihandelsabkommen mit Kanada, CETA, das morgen in weiten Teilen
vorläufig in Kraft treten wird. Bundeskanzler Christian Kern kündigte
an, CETA dem Parlament bis auf weiteres nicht zur Ratifizierung
vorzulegen. Damit stelle man sicher, dass die umstrittenen
Sonderklagsrechte für Unternehmen keine Geltung erlangen. Das Projekt
ganz zu stoppen, hält Kern nicht für sinnvoll: Es sei wichtig, dass
Europa den USA und China in Sachen Welthandel das Feld nicht
überlässt und Standards definiert.
Ausdrücklich für eine Ratifizierung von CETA sprachen sich erneut ÖVP
und NEOS aus. Es wären vor allem kleine und mittlere Unternehmen und
nicht große Konzerne, die von CETA profitieren würden, sind sich
Kathrin Nachbaur (V) und Nikolaus Scherak (N) einig. Die FPÖ drängte
angesichts des von mehr als 560.000 ÖsterreicherInnen unterzeichneten
Volksbegehrens hingegen wie die Grünen darauf, die Bevölkerung in
Form einer Volksabstimmung über CETA entscheiden zu lassen. Auch von
einigen fraktionslosen Abgeordneten wie Peter Pilz und Martina Schenk
wurde diese Forderung geteilt.
Insgesamt dauerte die Aktuelle Stunde, nicht zuletzt durch die vielen
Wortmeldungen aus der 14-köpfigen Riege der fraktionslosen
Abgeordneten, fast zwei Stunden. Die Sitzung des Nationalrats findet
erstmals in der Hofburg statt: In den kommenden drei Jahren werden
die Abgeordneten im großen Redoutensaal tagen.
FPÖ bekräftigt Skepsis gegenüber CETA
In der Debatte bekräftigte die FPÖ ihre Skepsis gegenüber CETA. CETA
und TTIP stellten eine enorme Gefahr für die hohen österreichischen
Lebensmittelstandards, den Tierschutz, die Umwelt und
Arbeitnehmerrechte dar, hielt Strache fest. Die FPÖ ist ihm zufolge
nicht grundsätzlich gegen Freihandelsabkommen, es gehe aber um die
Ausgestaltung der Verträge. Es könne nicht sein, dass private
Schiedsgerichte nationale Gerichte aushebeln. Angesichts der breiten
Unterstützung des Volksbegehrens gegen CETA forderte Strache eine
verbindliche Volksabstimmung.
Auch insgesamt machten sich Strache sowie seine Fraktionskollegen
Harald Stefan und Bernhard Themessl für einen umfassenden Ausbau der
direkten Demokratie als Ergänzung zur repräsentativen Demokratie
stark. Die Bevölkerung müsse Entscheidungen des Parlaments
korrigieren können, bekräftigte Strache die Forderung seiner Partei
nach Einführung einer Volksgesetzgebung. Konkret geht es ihm um
verbindliche Volksabstimmungen über Anliegen erfolgreicher
Volksbegehren und die Möglichkeit eines Veto-Referendums gegen
Nationalratsbeschlüsse. Dass die Bevölkerung unüberlegte
Entscheidungen treffen könnte, glauben Stefan und Themessl nicht, das
zeige das Beispiel Schweiz.
Der SPÖ und ÖVP warf Stefan vor, ein schlechtes Verhältnis zur
direkten Demokratie zu haben. Nur durch das Beharren der
Oppositionsparteien habe erreicht werden können, dass das
Volksbegehren gegen CETA und TTIP nicht schubladisiert wird, meinte
er.
Kern hält gänzlichen Stopp von CETA für kontraproduktiv
Bundeskanzler Christian Kern kündigte an, dem Parlament CETA bis auf
weiteres nicht zur Ratifizierung vorzulegen. "Wir brauchen eine
völlig neue Form des Investitionsschutzes", bekräftigte er,
Sonderklagsrechte für internationale Konzerne kommen für ihn nicht in
Frage. Bevor diese Frage nicht geklärt sei, gebe es keine Grundlage
dafür, das Freihandelsabkommen von Seiten der Regierung dem Parlament
zuzuleiten.
CETA gänzlich zu stoppen, hält Kern allerdings nicht für sinnvoll.
Würde Österreich das Projekt "in die Luft schießen", würde man die
Strategie der EU, eine aktive Rolle im Welthandel einzunehmen und
damit die Standards mitzubestimmen, konterkarieren. Man dürfe den USA
und China nicht das Feld überlassen, warnte Kern. Durch die
Beharrlichkeit Österreichs sei es außerdem gelungen, ein
Zusatzprotokoll zu CETA zu vereinbaren: Damit sei sichergestellt,
dass die Staaten weiterhin das Recht auf Regulierungen behalten und
nicht gezwungen werden könnten, Leistungen der Daseinsvorsorge zu
privatisieren. Auch das in Europa geltende Vorsorgeprinzip werde
durch CETA nicht angetastet.
Allgemein nutzte Kern die Debatte dazu, um auf die aktuelle positive
Wirtschaftsentwicklung in Österreich hinzuweisen. Als Treiber dieser
Entwicklung sieht er nicht zuletzt die beschlossene Steuerreform und
die von der Politik geschnürten Investitionspakete. Besonders hob er
auch die positive Entwicklung bei den Exporten hervor.
SPÖ warnt vor Abschottung Österreichs
Vor einer Abschottungspolitik warnte auch SPÖ-Klubobmann Andreas
Schieder. Österreich sei Exportnation und Fremdenverkehrsland. Es
brauche aber einen fairen Handel, mahnte er. Österreich und Europa
müssten ihre Errungenschaften wie hohe soziale Sicherheit schützen.
Auch privaten Schiedsgerichten und Sonderklagsrechten für Konzerne
können Schieder und SPÖ-Verfassungssprecher Peter Wittmann nichts
abgewinnen.
Kritisch äußerte sich Wittmann zum von der FPÖ vorgelegten Konzept
der Volksgesetzgebung. Es spreche nichts gegen eine Weiterentwicklung
der direkten Demokratie, meinte er, warnte aber vor ungezügelter
direkter Demokratie. Gerade jene, die wirtschaftliche Macht haben,
also die großen Konzerne, hätten schließlich die Möglichkeit,
Kampagnen zu finanzieren. Insofern ortet er eine widersprüchliche
Argumentation in den Reihen der FPÖ. Vehement stellte sich Wittmann
außerdem dagegen, die Europäische Menschenrechtskonvention in Frage
zu stellen.
ÖVP: Kanada ist ein verlässlicher Partner
Für eine Ratifizierung von CETA sprach sich Kathrin Nachbaur (V) aus.
Ein kleines Land wie Österreich könne sich wirtschaftlichen
Protektionismus nicht leisten, unterstrich sie. Immerhin würden
hierzulande 6 € von 10 € durch Exporte erwirtschaftet. Nachbaur ist
außerdem überzeugt, dass vorrangig kleine und mittlere Unternehmen
von CETA profitieren werden. Für große Konzerne seien
Freihandelsabkommen nicht essentiell, da diese ihre Produkte ohnehin
weltweit verkaufen würden. Generell machte Nachbaur geltend, dass die
Globalisierung und der freie Handel die Ungleichheit der Welt massiv
verringert hätten. Es gebe zwar auch Globalisierungsverlierer, hier
müsse jedoch der Sozialstaat einspringen.
Auch ÖVP-Abgeordneter Georg Strasser stellte sich hinter CETA. Kanada
sei ein verlässlicher Partner, betonte er. Weniger positiv beurteilte
er allerdings das geplante Abkommen mit den USA, TTIP, die
Verhandlungen müssten hier zurück an den Start. Hinsichtlich der
Forderung der FPÖ nach mehr direkter Demokratie, verwies er auf das
Brexit-Referendum.
Auch Grüne wollen Volksabstimmung über CETA
Für eine Volksabstimmung über CETA treten auch die Grünen ein. Der
Bundeskanzler streue der Bevölkerung Sand in die Augen, zeigte sich
Werner Kogler mit den Ausführungen Kerns unzufrieden. Für ihn ist das
Zusatzprotokoll lediglich ein Beipackzettel, der an der "bitteren
Pille" CETA nichts ändere. So wird das Vorsorgeprinzip seiner Meinung
nach nicht bleiben wie es ist. Außerdem werde Österreich die
privilegierten Konzernklagsrechte nur dann wegbekommen, wenn die
Ratifizierung von CETA abgelehnt wird.
Grünen-Verfassungssprecher Albert Steinhauser warf dem Bundeskanzler
und der SPÖ vor, einen "Schlingerkurs" zu verfolgen und sich vor
einer Entscheidung zu drücken. In Richtung ÖVP und NEOS merkte er an,
die zentrale Frage sei nicht, Freihandel ja oder nein, sondern unter
welchen Bedingungen der Welthandel stattfinde. Europa könnte eine
Vorreiterrolle einnehmen, was die Verankerung von Armutsbekämpfung
und hohen Umwelt- und Sozialstandards in Handelsverträgen betrifft,
tue das aber nicht.
NEOS: Freihandel fördert Frieden und Wohlstand
Seitens der NEOS machte Nikolaus Scherak geltend, dass Freihandel
Frieden und Wohlstand fördere. Gerade für KMUs sei CETA wichtig,
glaubt er. Zudem fragt er sich, mit wem die CETA-KritikerInnen
überhaupt Handel treiben wollten, wenn sie schon panische Angst vor
Handel mit Kanada hätten. Wichtig sei, dass Europa seine hohen
Standards weltweit durchsetze. Nichts hält Scherak davon, den Kopf in
den Sand zu stecken.
Massive Kritik an der FPÖ übte Scheraks Fraktionskollege Josef
Schellhorn. In der Schweiz habe es noch nie eine Volksabstimmung über
Freihandel gegeben, erklärte er. Jeder Schweizer habe Freihandel in
seiner DNA. Auch Österreich habe bereits 59 Freihandelsabkommen, CETA
sei das am besten ausverhandelte.
Rosenkranz für Volksabstimmung über weiteren Verbleib in der EU
Auch sieben fraktionslose Abgeordnete meldeten sich in der Debatte zu
Wort. So brachen etwa Barbara Rosenkranz und Martina Schenk, die bei
den kommenden Wahlen für die Freie Liste Österreich (FLÖ)
kandidieren, eine Lanze für mehr direkte Demokratie und verbindliche
Volksabstimmungen über erfolgreiche Volksbegehren. Das Argument des
Populismus und der Demagogie seien falsch, meinte Rosenkranz, in der
Schweiz gebe es vor Referenden auf Basis von objektiven
Abstimmungsbüchlein mit Pro- und Contra-Argumenten ausführliche
Diskussionen. Zudem gehe es auch den österreichischen Parteien bei
Wahlkämpfen zumeist nicht um den Austausch von Argumenten. Konkret
plädierte Rosenkranz auch für eine Volksabstimmung über den weiteren
Verbleib Österreichs in der EU.
Skeptisch gegenüber radikalen direktdemokratischen Modellen äußerte
sich hingegen Wolfgang Zinggl, der bei den Wahlen für die Liste Pilz
antritt. Es brauche vor Entscheidungen Verhandlungen und die
Berücksichtigung der Interessen von Minderheiten. "Wir sind alle
einmal Minderheit." Auch innerhalb der FPÖ gebe es im Übrigen keine
direkte Demokratie.
Pilz hält CETA & Co für demokratiegefährdende Verträge
Was CETA betrifft, sprach sich der langjährige Grün-Abgeordnete Peter
Pilz dafür aus, die Menschen fair und offen entscheiden zu lassen.
Seiner Meinung nach handelt es sich bei CETA und ähnlichen Abkommen
um demokratiegefährdende Verträge, in denen etwa die unabhängige
Justiz durch eine Konzern-Justiz ersetzt werde. ÖVP-Chef Sebastian
Kurz qualifizierte er als einen "Kandidaten der Konzerne" - wer ihn
wähle, bekomme CETA, TTIP und JEFTA.
Auch die frühere SPÖ-Abgeordnete Daniela Holzinger-Vogtenhuber lehnt
CETA ab. Die Medizin, die Österreich mit CETA zu schlucken habe, sei
eine äußerst bittere, meinte sie. Besonders stört sie etwa, dass
wesentliche Vertragsinhalte durch einen Ausschuss ohne jegliche
parlamentarische Kontrolle verändert werden können. Konzerne und
Lobbys würden dadurch immer mehr Macht und Einfluss gewinnen. Zudem
befürchtet Holzinger, dass die Staaten aus Angst vor Klagen auf
höhere Umwelt- oder Sozialstandards verzichten könnten. Der ehemalige
FPÖ-Abgeordnete Gerhard Schmid merkte zu CETA an, Österreichs KMU-
dominierte Industrie werde kaum in der Lage sein, den Konzernen
Paroli zu bieten.
Generell gegen eine grenzenlose Liberalisierung des Handels und gegen
"Raubtierkapitalismus" wandte sich Leopold Steinbichler. CETA wird
seiner Meinung nach außerdem negative Auswirkungen auf die
österreichische Landwirtschaft haben. Steinbichler sprach sich auch
dafür aus, das Volk künftig besser in politische Entscheidungen
einzubinden und warb in diesem Zusammenhang für die "Weißen", für die
er bei der Nationalratswahl antritt. (Fortsetzung Nationalrat) gs
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