- 18.07.2017, 21:00:01
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TIROLER TAGESZEITUNG: Leitartikel vom 19. Juli 2017 von Peter Nindler - „Mir sein mir“ ist in der EU zu wenig
Innsbruck (OTS) - Sosehr die Europäische Union auf vielen
Politikfeldern spaltet, Tirol hat in den vergangenen 22 Jahren noch
nicht begriffen, was Interessenlobbying in Brüssel bedeutet. Wir
schreiben lieber Briefe und sind beleidigt.
Brüssel und wir, das ist ein schwieriges und kompliziertes
Beziehungsgeflecht. Denn so manches gibt es an der Europäischen Union
zu kritisieren. Die Brüsseler Politik und die Bürokratie agieren für
die Bürger häufig nicht mehr nachvollziehbar: kleinlich und
pedantisch, wenn es um die notwendige Eindämmung des Transitverkehrs
in den sensiblen Alpenregionen wie Tirol geht. Andererseits sind sie
großzügig – wie bei der deutschen Mautregelung, die nur noch als
Ausländerabzocke bezeichnet wird, weil die deutschen Pkw-Lenker
verschont bleiben bzw. die Maut über die Kraftfahrzeugsteuer
rückerstattet bekommen. Der Wunsch der EU-Kommission, zusätzliche
Natura-2000-Schutzgebiete auszuweisen, mag ebenfalls überzogen sein.
Doch die Antwort darauf kann sich nicht in einer stereotypen und
bockigen „Mir sein mir“-Haltung widerspiegeln.
So funktionieren Entscheidungsprozesse in der EU nicht, positives
Lobbying zählt offenbar nicht zu den Stärken der Tiroler
Landespolitik. Anders ist es nicht zu verstehen, dass Landeshauptmann
Günther Platter (VP) – aus welchen Gründen auch immer – den von
Wirtschaftskammerpräsident Jürgen Bodenseer eingefädelten Termin mit
EU-Umweltgeneraldirektor Daniel Calleja Crespo sausen lässt. Dabei
wäre es gar nicht um einen Naturschutzgipfel gegangen, sondern
höchstwahrscheinlich um ein atmosphärisches Abtasten. Wann kommt
schon ein derart hochrangiger EU-Beamter nach Tirol, wenn nicht
gerade das Forum Alpbach tagt?
Die Malaise um Natura 2000 offenbart wieder einmal die Schwäche der
Tiroler EU-Politik. Institutionell sind wir recht gut verankert,
trotzdem kann die heimische Politik meist nur reagieren. Seit mehr
als 20 Jahren hat die Europaregion Tirol ein Büro in Brüssel, der
Stellenwert dieser Einrichtung muss allerdings kritisch hinterfragt
werden. Eigentlich sollten dort die Fäden zusammenlaufen und die
Informationskanäle in die EU-Kommission gelegt werden. Verkehr,
Naturschutz, Schadstoffgrenzwerte: Trotz des Euregio-Büros wird Tirol
stets von Entscheidungen aus Brüssel und möglichen Verfahren
überrascht. Als Reaktion darauf werden dann Briefe an den „lieben
Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker“ geschrieben.
Aktive EU-Politik in den Regionen sieht anders aus. Die NGOs oder
Umweltorganisationen machen es vor. Sie sind in der EU-Metropole
bestens vernetzt. Das sollte der heimischen „Mir sein mir“-Politik
mehr als nur zu denken geben.
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