Wien (OTS) - Eine aktuelle Studie des Büros des Fiskalrates (1)
ergibt, dass der Kostenzuwachs (ohne Gegenmaßnahmen) im Pflegebereich
über den Werten des vereinbarten Kostendämpfungspfads liegen könnte.
Je nach Szenario betragen die Ausgaben im Jahr 2021 zwischen 8 und
685 Mio EUR mehr als geplant. Langfristig steigen die
gesamtstaatlichen Nettoausgaben für Alten-pflege laut Projektionen
des Büros des Fiskalrates je nach Szenario von 1,3% des BIP (2015)
zum Teil deutlich auf 1,4 bis 1,9% des BIP (2030) bzw. auf 1,9 bis
3,6% des BIP (2060).
Die vorliegende Studie konzentriert sich auf eine Evaluierung der
fiskalischen Komponente der Nachhaltigkeit und der diesbezüglichen
Restriktionswirkung. Fragen der systemischen Weiterentwicklung im
Langzeitpflegebereich sowie der zukünftigen Pflegefinanzierung im
Rahmen einer – aufgrund der hohen Bedeutung des Themas – anstehenden
Systemreform sind nicht Gegenstand der Analyse.
Im Paktum Finanzausgleich 2017–2021 wurde zwischen Bund, Ländern und
Gemeinden eine Valorisierung der Zweckzuschüsse aus dem Pflegefonds
und jährliche Zusatzmittel für Länder und Gemeinden in Höhe von 300
Mio EUR für die Bereiche Gesundheit, Pflege und Soziales vereinbart,
um eine nachhaltige Haushaltsführung sicherzustellen. Gleichzeitig
wurde ein Kostendämpfungspfad für den Bereich der Altenpflege
festgelegt, der einen Anstieg der Bruttoausgaben der Länder und
Gemeinden von 3,6 Mrd EUR (2016) auf max. 4,5 Mrd EUR bis zum Jahr
2021 erlaubt. Nach Berechnungen des Büros des FISK steigen die
Pflegekosten der Länder und Gemeinden (ohne Gegenmaßnahmen) je nach
Szenario auf 4,5 bis 5,2 Mrd EUR im Jahr 2021. Diese projizierten
Kostenpfade für die Altenpflege liegen im Jahr 2021 zwischen 8 und
685 Mio EUR über den zulässigen Werten des Kostendämpfungspfads.
Der Beitrag des Bundes beträgt etwas mehr als die Hälfte der
öffentlichen Mittel für das Pflege-wesen (im Bereich der
Altersleistungen), das in die Zuständigkeit der Länder fällt und von
den Gemeinden mitfinanziert wird (2016: Bund: 51%; Länder und
Gemeinden: 49%). Im Jahr 2021 ergeben die eigenen Projektionen einen
Finanzierungsanteil der Länder und Gemeinden von zumindest 52% (Bund:
48%). Dabei steigt die Dotierung der Pflegefondsmittel – ausgehend
von 350 Mio EUR (Bundesanteil 2/3; Anteil der Länder und Gemeinden
1/3) in den Jahren 2016 und 2017 – bei einer jährlichen Valorisierung
um 4,5% schrittweise auf 417 Mio EUR bis zum Jahr 2021 an. Der
Pflegefonds läuft in der derzeitigen Form jedoch Ende 2021 aus,
sodass eine nach-haltige Finanzierungslösung nach 2021 erforderlich
ist.
Im Jahr 2015 lagen die gesamtstaatlichen Bruttoausgaben für
Altenpflege in Summe bei 5,6 Mrd EUR oder 1,6% des BIP. Dieser
Teilbereich der Sozialausgaben (2015: 100 Mrd EUR oder 29,4% des BIP)
setzt sich aus den Ausgaben der Länder und Gemeinden für mobile und
stationäre Pflegedienste (3,4 Mrd EUR), dem Bundespflegegeld (2,0 Mrd
EUR), Pflegekarenzgeld und Ersatzleistungen (Überbrückungshilfen)
sowie den Fördermitteln der 24-Stunden-Betreuung (in Summe 0,2 Mrd
EUR) zusammen. Die gesamtstaatlichen Nettoausgaben für Altenpflege
lagen 2015 in Summe bei 4,3 Mrd EUR oder 1,3% des BIP
(Bruttogesamtausgaben abzüglich privater Beiträge und Ersätze der
betreuten Personen in Höhe von 1,3 Mrd EUR). Da der Pflegebereich mit
dem Gesundheitswesen eng verwoben ist, dürften die Gesamtkosten unter
Einbeziehung der Kosten im Gesundheitsbereich jedoch höher liegen.
Eine umfassende Statistik, die sämtliche Komponenten des staatlichen
Pflegewesens erfasst, steht nicht zur Verfügung.
Die Entwicklung des Pflegebedarfs ist in erster Linie durch die
Demografie determiniert, die in den kommenden Jahren durch einen
markanten Anstieg des Anteils älterer Personen an der
Gesamtbevölkerung in Österreich charakterisiert ist. Im Jahr 2015
repräsentierte die Gruppe der über 80-Jährigen – jene Personengruppe,
die in der Regel vermehrt Pflege- und Betreuungsleistungen in
Anspruch nehmen muss – 5,0% der Gesamtbevölkerung. Bis zum Jahr 2030
wird sich dieser Anteil auf 6,6%, bis zum Jahr 2060 auf 11,0%
erhöhen. Die Anzahl der über 80-Jährigen steigt auf das 1,5-Fache bis
zum Jahr 2030 bzw. auf das über 2,5-Fache bis zum Jahr 2060.
Die Quote der gesamtstaatlichen Pflegekosten für Altersleistungen in
Prozent des BIP steigt laut eigenen Projektionen von 1,3% (2015) bis
2030, abhängig vom Szenario, auf 1,4 bis 1,9% und bis 2060 auf 1,9
bis 3,6%. Unterschiedliche Annahmen bezüglich Morbidität, Ausmaßes
des Trends zur formellen Pflege sowie die Indexierung der Stückkosten
treiben die Abweichungen in den Resultaten verschiedener
Projektionsszenarien. Die Wahl der zugrundeliegenden
Bevölkerungsprognose (EUROPOP2013 vs. EUROPOP2015 oder Statistik
Austria 2016) hat vernachlässigbare Auswirkungen auf die Resultate.
Die demografische und gesellschaftliche Entwicklung dämpft das
Potenzial informeller Pflege, die bislang vorrangig von Frauen
geleistet wurde. So nimmt die Frauenerwerbsquote von 65,3% (2015) auf
67,4% (2030) zu. Zudem geht der relative Anteil der
Bevölkerungsgruppe der Frauen im Alter von 40 bis 59 Jahren zurück.
Schließlich steigt die Zahl der Einpersonenhaushalte (z. B. infolge
Alterung, steigender Scheidungsraten, Rückgang des intergenerativen
Zusammenlebens). Vor diesem Hintergrund werden professionelle
häusliche Pflege und institutionelle Pflege- und Betreuungsleistungen
wichtiger.
Das durchschnittliche jährliche Wachstum der Pflegekosten für den
Zeitraum 2015 bis 2030 liegt, abhängig vom Szenario, zwischen 4,4 und
6,2%. Während die Ausgaben für das Pflegegeld, gedämpft durch die
unterdurchschnittliche Valorisierung, mit durchschnittlich 2,5 bis
5,2% p. a. wachsen, entwickeln sich die Nettoausgaben für (formelle)
Pflegedienstleistungen der Länder und Gemeinden mit 5,8 bis 7,8% p.
a. deutlich dynamischer. Überdurchschnittlich stark wird auch die
Entwicklung der Ausgaben für geförderte 24-Stunden-Betreuung mit 4,2
bis 7,0% p. a. erwartet, welche in der Projektion als Substitut zur
stationären Pflegedienstleistung betrachtet wurde.
Die mobilen und stationären Pflegekosten weisen im
Bundesländervergleich große Unter-schiede auf, die aus dem öffentlich
verfügbaren Datenmaterial nur vereinzelt (z. B. im stationären
Bereich auf Basis der unterschiedlichen Personalschlüssel) erklärt
werden können. Vergleichbare regionale Detailinformationen,
insbesondere über qualitative Merkmale und deren Kosten, fehlen. Die
Bandbreite des Bruttoaufwands pro Bewohntag (unter Berücksichtigung
des relativen Grads der Pflegebedürftigkeit), der im Gegensatz zum
Pro-Kopf-Aufwand die abweichende durchschnittliche Verweildauer einer
betreuten Person in stationärer Betreuung berücksichtigt, lag im Jahr
2015 zwischen 74 EUR (Tirol) und 238 EUR (Wien) bzw. im Durchschnitt
bei 127 EUR. Allerdings stellt Tirol insofern einen „Ausreißer“ dar,
als in den erfassten Bewohntagen auch die Selbstzahler – die das
Entgelt ohne staatlichen Zuschuss entrichten – enthalten sind. Hier
wären detaillierte Vergleichsstudien zwischen den Ländern wichtig,
bei denen Best-Practice-Erfahrungen gesammelt werden können.
Die aktuelle Studie zeigt eine Vielzahl an zwischenstaatlichen
Finanzströmen im Pflegebereich, die beispielhaft die Komplexität der
österreichischen Finanzierungsarchitektur der öffentlichen Haushalte
und ein Kernproblem der föderalen Staatsarchitektur Österreichs
widerspiegeln. Hinter der Nettobelastung der Länder und Gemeinden für
Pflegedienstleistungen in Höhe von 2,1 Mrd EUR im Jahr 2015 steht ein
Transfervolumen mit Gemeinschaftsfinanzierungen in Höhe von 6,8 Mrd
EUR im Pflegebereich.
(1) Grossmann, B. und P. Schuster (2017). Langzeitpflege in
Österreich: Determinanten der staatlichen Kostenentwicklung. Studie
im Auftrag des Fiskalrates, Wien. Die von den Autoren in der Studie
zum Ausdruck gebrachte Meinung gibt nicht notwendigerweise die
Meinung des Fiskalrates wider (siehe www.fiskalrat.at).
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