Länder sollen im Gegenzug 100 Mio. € pro Jahr erhalten
Utl.: Länder sollen im Gegenzug 100 Mio. € pro Jahr erhalten =
Wien (PK) - Der Nationalrat hat heute mit breiter Mehrheit für eine
Abschaffung des Pflegeregresses gestimmt. Ab Anfang kommenden Jahres
ist es den Ländern untersagt, auf das Vermögen von Personen, die in
stationären Pflegeeinrichtungen betreut werden, zurückzugreifen.
Gleiches gilt für das Vermögen von Angehörigen und ErbInnen. Im
Gegenzug erhalten die Länder jährlich 100 Mio. € zusätzlich über den
Pflegefonds. Nicht nur die Abgeordneten, auch Sozialminister Alois
Stöger und Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner zeigten sich
über den Beschluss erfreut. Kritik kommt hingegen von den NEOS,
Abgeordneter Gerald Loacker vermisst ein schlüssiges Gesamtkonzept
für eine Pflegereform.
Auf die Abschaffung des Pflegeregresses haben sich die Abgeordneten
erst wenige Stunden vor der Debatte im Nationalrat geeinigt. Auch
weitere Punkte wie die künftige Ausstattung der E-Cards mit einem
Foto und die kostenlose Hepatitis-Impfung für Mitglieder von
freiwilligen Feuerwehren mit besonderem Infektionsrisiko wurden
mittels Abänderungsantrag im parlamentarischen Schnellverfahren
beschlossen. Einsparungen erwarten sich die Abgeordneten von einem
geplanten neuen Medikamentenmanagement in Pflegeheimen:
Gesundheitsministerin Rendi-Wagner will dazu bis Jahresende eine
Regierungsvorlage ausarbeiten.
Eigentlich auf der Tagesordnung stand das Sozialversicherungs-
Zuordnungsgesetz: Es soll mehr Rechtssicherheit in der Frage der
Abgrenzung zwischen selbständiger und unselbständiger
Erwerbstätigkeit bringen.
Mehrheitlich abgelehnt wurden von den Abgeordneten verschiedene
Initiativen der Opposition: Diese hatten die gänzliche Abschaffung
der Geringfügigkeitsgrenze, die Implementierung eines neuen
Lehrberufs "Berater für Menschen mit Behinderungen" sowie eine
Deckelung von Pensionen zum Inhalt.
40.000 Menschen von Abschaffung des Pflegeregresses betroffen
Umgesetzt wird die Abschaffung des Pflegeregresses mit zwei
Verfassungsbestimmungen im ASVG. Demnach ist es den Ländern ab 1.
Jänner 2018 untersagt, Ersatzansprüche gegenüber BewohnerInnen von
Pflegeheimen bzw. deren Angehörigen geltend zu machen. Laufende
Verfahren sind einzustellen. Anderslautende landesgesetzliche
Bestimmungen werden automatisch außer Kraft gesetzt. Auch für
notwendige Übergangsbestimmungen sollen nicht die Länder, sondern der
Bund zuständig sein.
Den gemeinsamen Abänderungsantrag von SPÖ, ÖVP, FPÖ, Grünen und Team
Stronach zum Pflegeregress brachte Ulrike Königsberger-Ludwig (S)
ein. Sie freue sich für die betroffenen Menschen, sagte sie. Es sei
nicht einzusehen, dass - zusätzlich zur Pension und zum Pflegegeld -
auch auf Privatvermögen von pflegebedürftigen Personen
zurückgegriffen wird, wenn diese in Pflegeheimen betreut werden. Laut
Königsberger-Ludwig werden rund 40.000 Menschen von der Abschaffung
des Eigenregresses profitieren.
Frage der Gegenfinanzierung offen
Auch SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch und sein Fraktionskollege Kai
Jan Krainer äußerten sich darüber erfreut, dass der Pflegeregress ab
2018 Geschichte ist. Der Eigenregress sei nichts anderes als eine
100%-ige Erbschaftssteuer für Personen, die Pflege brauchen, stimmt
Krainer mit Sozialminister Alois Stöger überein. Schade finden es die
beiden Abgeordneten, dass das von der SPÖ vorgeschlagene
Gegenfinanzierungsmodell, die Einführung einer "moderaten"
Erbschaftssteuer für Erbschaften über eine Million Euro, keine
Mehrheit gefunden hat. Er warte auf Gegenvorschläge, ist Krainer aber
gesprächsbereit. Dass die NEOS die Abschaffung des Pflegeregresses
nicht mittragen, wertete Muchitsch als Zeichen sozialer Kälte.
August Wöginger begründete die Zustimmung der ÖVP zur Abschaffung des
Pflegeregresses damit, dass dieser eigentumsfeindlich ist. Er setzt,
was die Gegenfinanzierung betrifft, nicht zuletzt auf die Ausstattung
der E-Cards mit einem Foto, die seiner Meinung nach Einsparungen zur
Folge haben wird. Außerdem erwartet er sich eine Kostenreduktion
durch ein besseres Medikamentenmanagement in Pflegeheimen.
FPÖ-Abgeordnete Dagmar Belakowitsch-Jenewein führte die Abschaffung
des Pflegeregresses nicht zuletzt auf die Beharrlichkeit der FPÖ über
viele Jahre zurück. Österreich werde dadurch ein Stück gerechter, ist
sie überzeugt. Auch die "Ur-Uralt-Forderung" ihrer Fraktion nach
einem Foto auf der E-Card werde endlich umgesetzt. Sie sieht in der
Maßnahme eine Hemmschwelle für Missbrauch.
Zufrieden sind auch die Grünen. Es sei nicht gerecht, dass auf bis zu
100% des Vermögens pflegebedürftiger Personen zurückgegriffen werden
kann, sagte Judith Schwentner. Allerdings sieht sie mangels einer
entsprechenden Einigung der Regierungsparteien die Frage der
Finanzierung ungelöst. Damit gebe man der nächsten Regierung "einen
ganz schön großen Brocken mit".
Dass durch ein Foto auf der E-Card Einsparungen erzielt werden
können, glaubt Schwentner ebenso wenig wie NEOS-Abgeordneter Gerald
Loacker, dessen Fraktion als einzige gegen die Abschaffung des
Pflegeregresses stimmte. Für Loacker ist der Pflegeregress in seiner
derzeitigen Form zwar inakzeptabel, vor allem weil es
unterschiedliche Regelungen in den Ländern gibt, seiner Meinung nach
braucht es aber substanzielle Lösungen im Pflegebereich. Konkret
drängte Loacker auf einen Ausbau der mobilen Pflege, Pflege in
kleinen Einheiten und bundeseinheitliche Qualitätsstandards, er
konnte sich mit einem diesbezüglichen Entschließungsantrag aber nicht
durchsetzen. Einigen anderen Punkten des Gesetzespakets stimmten die
NEOS in Zweiter Lesung zu.
Team Stronach und FPÖ pochen auf Abschaffung von "Luxuspensionen"
"Mit von der Partie" bei der Abschaffung des Pflegeregresses war
hingegen die kleinste Fraktion im Nationalrat, das Team Stronach.
Waltraud Dietrich wies darauf hin, dass dieser nicht nur ältere
Menschen betrifft. Was die Frage der Gegenfinanzierung anlangt, ortet
Dietrich, anders als die Grünen und die NEOS, sehr wohl
Einsparungspotential durch die Verhinderung von Missbrauch durch
Anbringung eines Fotos auf der E-Card. Zudem forderte sie in
Anlehnung an einen mit zur Diskussion stehen Antrag erneut die
Abschaffung von "Luxuspensionen". Mit hohen Pensionen für
AltpolitikerInnen und anderen Personengruppen müsse endlich
aufgeräumt werden.
Dieser Forderung schloss sich auch FPÖ-Abgeordneter Peter Wurm an. Er
plädierte dafür, die 1 Mrd. €, die ihm zufolge für 40.000
LuxuspensionistInnen ausgegeben werden, auf die
MindestpensionistInnen aufzuteilen. Er wertete es außerdem als sozial
ungerecht, dass die höhere Ausgleichszulage von 1.000 € bei zumindest
30 Arbeitsjahren nicht ausgezahlt werde, wenn jemand privat
vorgesorgt hat.
Das Thema Pensionen schnitt auch FPÖ-Seniorensprecher Werner
Neubauer an. Ein von ihm eingebrachter Entschließungsantrag blieb
allerdings in der Minderheit. Zum von der FPÖ geforderten
Maßnahmenbündel gehörten unter anderem die Anpassung der Pensionen
auf Basis des Verbraucherindex für PensionistInnen, die Gewährung
einer Steuergutschrift für AusgleichszulagenbezieherInnen, die
Einführung einer Mindestpension von 1.200 € und die Abschaffung des
Pensionssicherungsbeitrags bis zur ASVG-Höchstgrenze.
Doppler: Vorwahlkampf kann auch etwas Gutes haben
Ausdrücklich begrüßt wurde die Abschaffung des Pflegeregresses auch
vom fraktionslosen Abgeordneten Rupert Doppler. So ein Vorwahlkampf
könne auch etwas Gutes haben, quittierte er den Gesetzesbeschluss.
Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner wies darauf hin, dass es
vor allem Frauen sind, die Pflegearbeit leisten. Niemand, der
pflegebedürftig wird, müsse in Zukunft Angst haben, dass er alles
verliere, was er während seines Lebens gespart hat, hob sie hervor.
Ähnlich argumentierte Sozialminister Alois Stöger. Die kostenlose
Hepatitis-Impfung für Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr mit hohem
Infektionsrisiko sieht Rendi-Wagner als Maßnahme zur
Risikominimierung.
Sowohl ÖVP-Sozialsprecher Wöginger als auch SPÖ-Abgeordneter Dietmar
Keck brachten vorgesehene Verbesserungen für Schwerarbeiter zur
Sprache. Diese könnten sich künftig schon zehn Jahre vor
Pensionsantritt, also mit 50, erkundigen, ob sie die Voraussetzungen
zur Inanspruchnahme der Schwerarbeitspension erfüllen werden,
erläuterten sie. Bisher ist das erst drei Jahre vor Pensionsantritt
und bei 444 erworbenen Versicherungsmonaten möglich gewesen.
Wöginger wertete es außerdem als erfreulich, dass die angerechneten
Präsenzdienstzeiten für die Inanspruchnahme der
Langzeitversichertenregelung künftig nicht mehr mit 30 Monaten
gedeckelt sind. Es gebe Zeitsoldaten, die zehn bis fünfzehn Jahre
beim Bundesheer waren, hielt er fest.
E-Cards sollen spätestens 2023 mit Fotos ausgestattet sein
Die Ausgabe von E-Cards mit Foto soll ab 1. Jänner 2019 erfolgen.
Vorgesehen ist, bestehende Karten sukzessive auszutauschen und das
Vorhaben bis 31. Dezember 2023 abzuschließen. Betroffen sind
allerdings nur KarteninhaberInnen ab Vollendung des 14. Lebensjahrs.
Die Fotos sollen, wenn möglich, aus behördlichen Beständen stammen,
ansonsten sind sie vom Karteninhaber beizubringen. Ausdrücklich wird
in den Erläuterungen festgehalten, dass die Maßnahme keinerlei
Einfluss auf das Bestehen des Versicherungsschutzes hat.
Die Gratis-Impfung gegen Hepatitis A und B für Feuerwehrleute soll
jenen Mitgliedern der freiwilligen Feuerwehren zugutekommen, die
einem besonderen Infektionsrisiko ausgesetzt sind. Außerdem sehen die
beiden heute eingebrachten S-V-F-G-T-Abänderungsanträge verschiedene
weitere Maßnahmen vor. Das betrifft etwa die bessere Anrechnung von
Pensionszeiten für ehemalige Zeitsoldaten, die Feststellung von
Schwerarbeitszeiten sowie die künftige Möglichkeit für Pflegeheime,
Medikamente über den Großhandel zu beziehen. Zudem soll Angehörigen,
die behinderte Kinder pflegen, auch dann die Möglichkeit eröffnet
werden, sich nachträglich beitragsfrei in der Pensionsversicherung zu
versichern, wenn sie teilzeitbeschäftigt waren. Maximal können
nachträglich - für die Zeit ab dem 1. Jänner 1998 - 120
Versicherungsmonate erworben werden.
Gesetz bringt mehr Rechtssicherheit für selbständig Erwerbstätige
Eingebaut wurden die Bestimmungen zum Pflegeregress und die weiteren
ASVG-Änderungen in ein Gesetzespaket, das mehr Rechtssicherheit in
Bezug auf die Abgrenzung von selbständiger und unselbständiger
Erwerbsarbeit bringt. Bei bestimmten Personengruppen wird demnach
künftig schon vorab geprüft, ob eine Pflichtversicherung nach dem
ASVG oder nach dem GSVG bzw. BSVG vorliegt. Bereits Erwerbstätige
können eine nachträgliche Prüfung beantragen. An das Ergebnis sind
nicht nur die betroffenen Versicherungsträger, sondern auch die
Finanzämter gebunden. Ziel ist es, böse Überraschungen durch
nachträgliche Zwangszuordnungen zu vermeiden.
Es habe in der Vergangenheit immer wieder Fälle gegeben, wo es zu
enormen Nachzahlungen durch eine nachträgliche Umqualifizierung
gekommen sei, hob Werner Groiß (V) die Notwendigkeit der Schaffung
von Rechtssicherheit hervor. Zum Teil hätten Auftraggeber sogar
Insolvenz anmelden müssen. Was das Recht auf Letztentscheidung durch
die zuständige Gebietskrankenkasse betrifft, meinte Groiß, er würde
sich ein neutrales Schiedsverfahren wünschen.
Grundsätzliche Kritik an Zwangszuordnungen kam von NEOS-Abgeordnetem
Gerald Loacker. Er hält es für unzumutbar, dass über die Köpfe der
Betroffenen hinweg beschlossen werden kann, wer unselbständig und wer
selbständig arbeitet. Ab einem gewissen Jahreseinkommen solle eine
zwangsweise Zuordnung gegen den Willen der Beteiligten nicht möglich
sein, forderte er.
Judith Schwentner nutzte die Debatte dazu, um ein einheitliches
Sozialversicherungssystem für alle Beschäftigten zu fordern. Gäbe es
ein solches, wäre das vorliegende Gesetzespaket überflüssig, machte
sie geltend.
Grüne fordern Abschaffung der Geringfügigkeitsgrenze
Grün-Abgeordnete Birgit Schatz machte auf negative Auswirkungen der
Abschaffung der täglichen Geringfügigkeitsgrenze aufmerksam. Dieser
Schritt habe dazu geführt, dass man erst ab einem Tagesverdienst von
425,70 € vollen Versicherungsschutz genieße, kritisierte sie. Das sei
vor allem in der Filmbranche, wo es häufig Ein-Tages-Verträge gebe,
ein großes Problem. Geht es nach Schatz, wäre es am sinnvollsten, die
Geringfügigkeitsgrenze gänzlich zu entsorgen. Jede Art von
Erwerbseinkommen sollte der vollen Beitragspflicht in der
Sozialversicherung unterliegen. Damit würde man prekäre
Arbeitsverhältnisse vermeiden. ÖVP-Abgeordneter Groiß hält davon
allerdings nicht viel. Er lehnte einen entsprechenden Antrag der
Grünen - wie die Mehrheit der Abgeordneten - ab.
Auch mit einem Abänderungsantrag zum Sozialversicherungs-
Zuordnungsgesetz konnte sich Schatz nicht durchsetzen. Sie wollte
Unternehmen damit ermöglichen, geringfügig erwerbstätige
DienstnehmerInnen freiwillig voll zu versichern. Vermisst wird von
Schatz der angekündigte Mindestlohn von 1.500 €.
Keinen Bedarf sieht die Mehrheit des Nationalrats auch für die
Forderung der FPÖ nach einem neuen Lehrberuf "Berater für Menschen
mit Behinderungen". Es gebe genügend Beratungsangebote und
Serviceeinrichtungen hielt SPÖ-Abgeordneter Johann Hell fest.
(Fortsetzung Nationalrat) gs
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