• 11.05.2017, 18:15:46
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  • OTS0208

Bundesrat zu Pflege: Keine Panikmache, aber Missstände rasch abstellen

Dringliche Anfrage der FPÖ in der Länderkammer

Utl.: Dringliche Anfrage der FPÖ in der Länderkammer =

Wien (PK) - Die Volksanwaltschaft hat in ihrem jüngsten Bericht über
Alten- und Pflegeheime zum Teil erschreckende Defizite an die
Öffentlichkeit gebracht. Diese Erkenntnisse nahmen heute die
Freiheitlichen zum Anlass, eine Dringliche Anfrage betreffend
"Pflegemisere in Österreich" an Sozialminister Alois Stöger im Rahmen
der Sitzung des Bundesrats zu stellen. Monika Mühlwerth (F/W) und
ihre KollegInnen greifen vor allem die Kritik hinsichtlich des
Missverhältnisses zwischen steigenden Herausforderungen und den
tatsächlichen personellen Ressourcen in den Einrichtungen auf. Die
Regelung der Einrichtung, der Erhaltung und des Betriebs von Heimen
fällt in die Zuständigkeit der Bundesländer, von einem bundesweiten
Mindeststandard könne aber keine Rede sein, heißt es in der Anfrage.
Die Freiheitlichen orten in Anlehnung an den Bericht vor allem
mangelnde Personalausstattung in der Pflege und Betreuung für
Personen mit neurodegenerativen kognitiven Beeinträchtigungen, Demenz
oder Behinderung. Als ein besonderes Problem sehen sie die
finanzielle Ausstattung der Pflegeeinrichtungen und die völlig
unterschiedlichen Tarifschlüssel in den Ländern.

Konkret will die FPÖ - formuliert in 28 Anfragen - vom Sozialminister
wissen, welche Maßnahmen er seitens seines Ressorts setzt, um die von
der Volksanwaltschaft aufgezeigten Missstände zu beheben. Dabei geht
es unter anderem um entsprechende Arbeitsbedingungen für die
Pflegekräfte sowie um deren Schulung und Unterstützung, aber auch um
Aufsicht im Sinne der Gewährleistung der menschenrechtlichen
Schutzpflichten gegenüber den zu Betreuenden und um Gewaltprävention.
In der Anfrage wird auch die nötige Sensibilität im Umgang mit
Freiheitsbeschränkungen und der Behandlung mit Psychopharmaka
angesprochen.

Der Bundesminister wies in seiner Beantwortung auf die Kompetenz der
Länder hin, unterstrich aber auch die Maßnahmen des Bundes und
informierte, dass er das Thema bei der nächsten Sitzung mit den
LandessozialreferentInnen eingehend erörtern werde.

Der von der FPÖ vorgelegte Entschließungsantrag betreffend Behebung
der Pflegeheimmisere erhielt nicht die erforderliche Mehrheit. Darin
fordert die FPÖ den Sozialminister auf, bis Ende 2017 einen Bericht
über die von ihm gemeinsam mit den Bundesländern festgelegten
Maßnahmen zur Behebung der von der Volksanwaltschaft festgestellten
Mängel im Pflegebereich vorzulegen. SPÖ und ÖVP begründeten ihre
Ablehnung damit, dass dies unrealistisch sei. Sozialminister Stöger
wies darauf hin, dass er auf Grund der Bundesverfassung die Länder
nicht zwingen könne, Informationen herzugeben. Inge Posch-Gruska
(S/B) sah es als eine Aufgabe der einzelnen Bundesrätinnen und
Bundesräte, in ihren eigenen Bundesländern genau die Probleme zu
analysieren und dann dem Minister zu berichten, woran es in den
einzelnen Bereichen fehlt.

Allgemein wollten die Bundesrätinnen und Bundesräte keine pauschale
Verurteilung vornehmen und zollten dem Pflegepersonal ihre
Anerkennung. Sie sahen aber Handlungsbedarf bei den Ländern, viele
sprachen sich für bundeseinheitliche Qualitätsstandards aus, aber auf
Missstände rasch reagieren

Mühlwerth: Probleme proaktiv angehen

Man wolle nicht behaupten, alles sei schlecht, unterstrich Monika
Mühlwerth (F/W) in der Begründung der Anfrage. Auch ziehe man das
Engagement des Pflegepersonals keinesfalls in Zweifel. Bei
Missständen müsse man aber sofort reagieren. Das lehre auch die
Tatsache, dass ehemaligen Heimopfern lange nicht geglaubt wurde und
erst jetzt die Politik darauf reagiere. Allein "hinschauen" auf die
in der Anfrage angeschnittenen Problemfelder genüge nicht, vielmehr
müsse man diese proaktiv angehen, den Landeshauptleute "auf die Zehen
steigen" und sich mit Ihnen zusammensetzen, damit sich etwas zum
Besseren ändert, forderte Mühlwerth.

Die freiheitliche Bundesrätin wies auf mangelnde Kontrollen und die
ständige Überforderung durch Personalmangel hin. Auch seien oftmals
die Führungskräfte schlecht ausgebildet, Probleme entstünden zudem
dadurch, dass MitarbeiterInnen Arbeiten durchführen müssen, für die
sie nicht ausgebildet sind. Ebenso bereiteten oft mangelnde
Deutschkenntnisse Schwierigkeiten. Hinzu kämen inadäquate Zeitpläne,
die den Anforderungen nicht angepasst seien. Es dürfe auch nicht
sein, dass MitarbeiterInnen aus Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren,
sich nicht trauen, etwas aufzudecken.

Stöger ruft Landtage auf, die Empfehlungen der Volksanwaltschaft
umzusetzen

Pflege sei ein wichtiges und sensibles Thema, unterstrich
Bundesminister Alois Stöger, Pflegeheime seien Ländersache. Daher
hält er es für notwendig, gemeinsam Zielsetzungen zu erarbeiten. Die
autonomen Länder müssten das aber umsetzen, sagte er und appellierte
daher an die Länderparlamente, sich diesem Thema zu widmen und die
Empfehlungen der Volksanwaltschaft umzusetzen. Schließlich gehe es um
die Würde der Betroffenen.

Der Minister zollte der Volksanwaltschaft größte Anerkennung für
deren differenzierten Bericht, der sowohl eklatante Missstände
aufzeige, gleichzeitig aber auch klar mache, dass es vielerorts
funktioniere. Er, Stöger, erwarte sich aufgrund des Berichts
Lösungen, stellte er unmissverständlich fest. Die kommende
Landessozialreferentenkonferenz werde sich daher intensiv mit dem
Thema auseinandersetzen, informierte er in diesem Zusammenhang.
Stöger sprach sich unter anderem dafür aus, in den Landesgesetzen die
Supervision verpflichtend vorzuschreiben; auch gehe es nicht an, dass
das Pflegepersonal aufgrund von Personal- und Ressourcenknappheit
gezwungen sei, die Leistungen am untersten Level halten. Zu wenig
Personal führe auch zu Gewalthandlungen, warnte er. Der Minister wies
in diesem Zusammenhang auf die Broschüre "Gewalt erkennen" hin.

Der Bund habe seine Aufgabe in hohem Ausmaß erfüllt, stellte Stöger
fest, es bestehe der unbedingte Wille, hohe Qualität und
Weiterentwicklung im Pflegbereich zu gewährleisten. Das Pflegegeld
sei erhöht worden, so der Minister, man habe die Pflegekarenz und
eine kostenlose Kranken- und Pensionsversicherung für pflegende
Angehörige eingeführt; im Bereich der Familien seien die Zuwendungen
für Ersatzpflege angehoben worden. Im Rahmen des Finanzausgleichs
seien erstmals personelle Mindeststandards festgeschrieben worden,
ebenso transparente Personalschlüssel in den Pflegeheimen; zudem
wolle man den Ausbau von Qualitätssicherungssystemen in Heimen. "Wir
lassen nicht zu, dass es Menschenrechtsverletzungen im Bereich der
Heime gibt", stellte er unmissverständlich fest.

Die Empfehlungen der Volksanwaltschaft seien von den Landtagen
umzusetzen, betonte Stöger. Vor allem unterstrich er die
Notwendigkeit einer gut funktionierenden und ausreichend personell
ausgestatteten Aufsicht in den Ländern und sah bei der Aufwertung des
Pflegepersonals in den Ländern noch "Luft nach oben".

Keine pauschale Verurteilung - BundesrätInnen sehen aber politischen
Handlungsbedarf

Seitens der Freiheitlichen drängte Rosa Ecker (F/O) auf die
finanzielle Absicherung einer qualitätsvollen Pflege. Angesichts der
strukturellen Defizite sollte der Bund entsprechende Strukturen
anregen, ihrer Ansicht nach braucht es ein Alarmsystem. Sie sieht
auch Versäumnisse beim Arbeitsmarktservice und bei den ÄrtztInnen und
ortet Lücken in der Gesundheitsversorgung - vor allem was die
neurologische und psychiatrische Betreuung betrifft. Ecker forderte
einheitliche Qualitätsstandards und einen adäquaten Personalschlüssel
ein und regte an, einen Stresstest für angehende PflegerInnen zu
überlegen. Ecker wiederholte zudem die Forderung der FPÖ, eine
Pflegelehre einzuführen. Was das Arbeitsrecht betrifft, so hält ihr
Fraktionskollege Hans-Jörg Jenewein (F/W) eine Neuregelung für die
24-Stunden-Kräfte für erforderlich, denn hier liege ein prekäres
Arbeitsverhältnis vor.

Die ÖVP-Mandatarin Angela Stöckl-Wolkerstorfer (V/N) arbeitet selbst
als Physiotherapeutin und berichtete aus der Praxis. In den
niederösterreichischen Pflegeheimen gebe es ein offenes Miteinander,
wo der Mensch im Mittelpunkt stehe, wehrte sie sich gegen eine
Pauschalverurteilung. Die Teams seien multiprofessionell, man arbeite
dort kompetent und mit viel Engagement; zahlreiche Freiwillige würden
mithelfen, die Angehörigen würden eingebunden. Bundesweite Regelungen
hält sie wie Ferdinand Tiefnig (V/O) für nicht erforderlich. Bei
Vorfällen werde in Niederösterreich sofort gehandelt, den
niederösterreichischen Heimen würde ein hervorragendes Zeugnis
ausgestellt, die österreichischen Heime würden von verschiedenen
Institutionen kontrolliert, im Gegensatz zur 24-Stunden Betreuung.
Schwarze Schafe gebe es überall, dort müsse sofort eingegriffen
werden. Wesentlich sei es, in moderne Pflegesysteme zu investieren,
sagte sie.

Auch Ferdinand Tiefnig (V/O) warnte davor, einen allgemeinen
Pflegenotstand auszurufen, ohne zu leugnen, dass es Probleme gibt,
die selbstverständlich sofort abzustellen seien. Es gebe aber sehr
viele motivierte Menschen, betonte er. Tiefnig appellierte, alles
dazu zu tun, dem Pflegeberuf auch die entsprechende Anerkennung zu
geben. Kleine Einheiten sind ihm zufolge weniger anfällig für
Missstände. Ebenso unterstrich Gregor Hammer (V/St), dass man in
Österreich über das beste Pflegesystem verfüge. Das Problem liegt
seines Erachtens vor allem im Bereich der Demenz. Hier müsse man in
Zukunft den Schwerpunkt setzen, meinte er und plädierte dafür, das
Thema in der Landeshauptleutekonferenz zu beraten.

Rund 75.000 Menschen werden in über 800 Heimen betreut, merkte
Susanne Kurz (S/S) an, viele davon mit hoher Qualität. Missstände
dürfe man nicht leugnen, kein einziger Fall dürfe im Grunde genommen
passieren, sagte sie. In einem Sozialstaat wie Österreich müsse es
möglich sein, allen Menschen einen würdigen Lebensabend zu bereiten.
Sie erwartet sich daher von den Ländern Bewegung, was
bundeseinheitliche verbindliche Qualitätskriterien betrifft. Auch im
Sinne der Beschäftigten sei es wichtig, dass die öffentliche Hand
nicht nur Geld, sondern auch Zielsteuerung betreibt. Es gelte auch,
die finanziellen Mittel richtig einzusetzen, sagte sie im Hinblick
auf den Finanzausgleich. Kurz sprach die Notwendigkeit entsprechender
Aufsicht und Kontrolle an und forderte eine transparente und valide
Qualitätsbeurteilung ein. Wie in jedem Beruf gibt es auch beim
Pflegepersonal Überforderung, hier sei auf die Ausbildung und das
Führungspersonal besonderes Augenmerk zu legen, um Verbesserungen zu
erzielen.

Wie viele vor ihr warnte auch Inge Posch-Gruska (S/B) vor Panikmache
und dankte für die sachliche Diskussion. Man brauche auch im
Pflegeberich eine bundeseinheitliche Lösung, ist auch sie überzeugt,
Qualitätskriterien seien einheitlich festzulegen. Posch-Gruska rief
dazu auf, diese Thema gemeinsam anzugehen und intensive Gespräche in
den Ländern zu führen, wo genau man jeweils ansetzen muss. Dabei
könnten die Bundesrätinnen und Bundesräte einen wesentlichen Beitrag
leisten, meinte sie. Für sie geht es im Pflegeberuf nicht nur um mehr
Wertschätzung, sondern auch um eine adäquate Bezahlung. Der Beruf sei
anspruchsvoll und herausfordernd. Posch-Gruska wies in diesem
Zusammenhang darauf hin, dass hier vor allem Frauen tätig sind.

Heidelinde Reiter (G/S) erinnerte an die Pflege-Enquete des
Bundesrats vom 5. April dieses Jahres und hält es für falsch, von
einer Pflegeheimmisere zu sprechen. "Die" Pflegeheimmisere gibt es
nicht", hielt sie fest. Wo es tausende Pflegende und tausende
Betroffene gibt, passiert etwas, wichtig sei es, dass jemand
hinschaut und etwas dagegen tut. Als einen wesentlichen Punkt nannte
sie das mangelnde Personal und die mangelnde fachliche ärztliche und
physiotherapeutische Versorgung. Das zeige auch der Bereich der
Schmerzbekämpfung. Reiter sprach die aktuelle gesellschaftliche
Umbruchsituation an, deren man sich noch gar nicht bewusst sei, auch
was die damit verbundenen Herausforderungen betrifft. Den
Finanzausgleich bezeichnete sie als eine Enttäuschung, weil es nicht
gelungen sei, transparente und gut vergleichbare Standards in ganz
Österreich festzulegen. Vorsicht ist ihr zufolge bei
Berichtspflichten und Dokumentationen geboten, denn das belaste das
Pflegepersonal außerordentlich. Man müsse mit der Frage sensibel
umgehen, sprach sie sich für eine Balance zwischen Anspruch der
Kontrolle und der Betreuung aus. Für Reiter ist die häusliche Pflege
nicht das Idealbild, dieser Bereich werde schwieriger und eine
gesellschaftliche Frage, wie man damit umgeht. Die grüne Bundesrätin
sprach auch den finanziell notwendigen Aufwand an - eine Problematik,
der man sich stellen müsse. (Fortsetzung Bundesrat) jan

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