• 14.04.2017, 10:10:14
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  • OTS0024

Türkei-Referendum: Nein! zur Abschaffung der Demokratie!

Wien (OTS) - Die Türkische KULTURgemeinde in Österreich (TKG) und die
Verfassungsexperten des Europarates („Venedig-Kommission“) warnen vor
einem Ein-Personen-Regime und vor der Abschaffung der Demokratie in
der Türkei die Gegenstand eines Referendums am 16. April 2017 ist.

TKG möchte hiermit als streitbare, wehrhafte Demokraten mit
sachlichen Argumenten ihr Nein zur Abschaffung der Demokratie in der
Türkei positionieren.

Integration bedeutet mehr als Pass und Sprache, sie erfordert eine
Citoyen-Identität, sowie eine demokratische Identität. Für die TKG
bezeichnet der Citoyen den Bürger bzw. Staatsbürger, der in der
Tradition und im Geist der Aufklärung aktiv und eigenverantwortlich
am Gemeinwesen EU teilnimmt und dieses mitgestaltet.

Vorsicht: Gewaltenteilung aufgehoben

Die Experten und die Türkische KULTURgemeinde in Österreich weisen
auf die Gefahr hin, dass die Verfassungsänderung durch den Abbau der
nötigen Kontrollmöglichkeiten („Checks and Balances“) nicht dem
Modell eines demokratischen Präsidialsystems entspricht( USA,
Frankreich), das auf der Gewaltentrennung basiert.

Die Befugnisse des Präsidenten werden so ausgeweitet, dass er die
Exekutive, Legislative und Judikative kontrolliert, womit die
Gewaltenteilung aufgehoben wird.

Vielmehr bestehe das Risiko, dass sich ein autoritäres
Präsidialsystem entwickelt. Zu den in der Schlussfolgerung geäußerten
Bedenken zählen folgende Punkte:

1) Der Präsident wird zum Chef der Exekutive. Das
Ministerpräsidentenamt und der Ministerrat werden mit Streichung des
Artikels 109 abgeschafft. Stattdessen ermächtigt der ergänzte Artikel
104 den Präsidenten, den Vizepräsidenten und den Minister zu berufen
(er kann als Vizepräsidenten jeden ernennen) und zu entlassen. Die
Minister werden nicht mehr vom Parlament, sondern vom
Staatspräsidenten kontrolliert. Das bedeutet: Alleinige Ausübung der
exekutiven Gewalt durch den neuen Präsidenten mit nicht
kontrollierter Befugnis zur Ernennung und Entlassung von Ministern
und hohen Beamten auf Grundlage von Kriterien, die nur der Präsident
festlegt.

2) Der Staatshaushalt wird nicht mehr vom Ministerrat (Artikel 162
wird aufgehoben) dem Parlament vorgelegt, sondern vom
Staatspräsidenten (neuer Artikel 161). Die nationale
Sicherheitspolitik wird vom Ministerrat auf den Staatspräsidenten
übertragen (Änderungen der Artikel 104, 117 und 118).

3) Der Ausnahmezustand wird nicht mehr vom Parlament (Artikel 120
wird abgeschafft), sondern künftig vom Staatspräsidenten ausgerufen
(Artikel 120). Es wird hier der Anschein erweckt, die Gesamtdauer des
Ausnahmezustandes werde auf insgesamt 10 Monate beschränkt. Diese
zeitliche Beschränkung entfällt jedoch im Kriegsfall. Das legt die
Befürchtung nahe, dass der Präsident bereits einen Krieg ins Auge
gefasst hat.

4) Die Verfassungsänderungen sehen folglich vor, die exekutiven
Kompetenzen des Staatspräsidenten in einem starken Maße auszuweiten.
Der Staatspräsident soll darüber hinaus einen Zugriff auf die
Legislative bekommen, der dem Gedanken der Gewaltenteilung
widerspricht.

5) Das Parlament darf Minister nicht mehr mündlich befragen (Art.
105). Das Parlament kann die neue Regierung nicht mehr mit einem
Vertrauensvotum bestätigen (Art. 110).

6) Ein Misstrauensvotum gegenüber der Regierung ist nicht mehr
möglich (Art. 109 wird abgeschafft).

7) Dekrete mit Gesetzeskraft (Art. 87) werden nicht mehr vom
Parlament, sondern vom Staatspräsidenten verabschiedet (Art. 104).
Der Präsident hat die Befugnis, aus einem beliebigen Grund das
Parlament aufzulösen, was grundsätzlich unvereinbar mit einem
demokratischen Präsidialsystem ist. Außerdem eine weitere Schwächung
der bereits unzureichenden Möglichkeiten, die der Justiz zur
Kontrolle der Exekutive zur Verfügung stehen, sowie die weitere
Schwächung der Unabhängigkeit der Justiz.

8) Der Staatspräsident muss nicht mehr seine Parteizugehörigkeit
(Art. 101) ablegen. Das bedeutet, dass der Präsident auch Mitglied
oder gar Vorsitzender einer Partei ist, wodurch er einen unzulässigen
Einfluss auf die Gesetzgebung erhält. Da der Präsident und das
Parlament am gleichen Tag gewählt werden und den türkischen Parteien
die innerparteiliche Demokratie weitgehend fremd ist, wird die größte
Fraktion im Parlament vom Präsidenten bestimmt.

9) Mit dem Referendum von 2010 hat Erdogan durchgesetzt, dass die
Zahl der Mitglieder des Hohen Rates der Richter und Staatsanwälte von
7 auf 22 erhöht wurden (Art. 159). Somit konnte Erdogan seine Leute
in dieses Gremium implementieren. Jetzt will er den Rat auf 13
Mitglieder verkleinern und weitgehend von sich und seiner Fraktion im
Parlament bestimmen lassen.

10) 12 von 15 Mitgliedern des Verfassungsgerichtes werden vom
Präsidenten und drei von seiner Partei im Parlament bestimmt. Während
die Macht und Immunität des Staatspräsidenten maßlos ausgebaut
werden, wird seine Rechenschaftspflicht vor dem Verfassungsgericht
durch die von ihm gewählte Richterschaft ausgeschaltet.

Es ist die Pflicht aller Bürger, ihre Demokratie zu verteidigen, weil
durch die Abschaffung der Demokratie die Türkei leider sehr traurige
Zeiten erwartet, die in nächster Zeit Auswirkungen auf Österreich,
Deutschland und die gesamte EU haben wird.

~
Rückfragehinweis:
Türkische Kulturgemeinde in Österreich(TKG)

Ata Sel

Kommunikation
Tel.:01/513 76 15-0
office@turkischegemeinde.at
http://www.turkischegemeinde.at
~

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