• 06.04.2017, 15:59:58
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  • OTS0247

Misshandelte Heimkinder erhalten zusätzliche Rente von 300 € ab Juli 2017

ExpertInnenhearing im Sozialausschuss ergibt Nachbesserungsbedarf; Abänderungsantrag noch in Verhandlung

Utl.: ExpertInnenhearing im Sozialausschuss ergibt
Nachbesserungsbedarf; Abänderungsantrag noch in Verhandlung =

Wien (PK) - Mit einem Staatsakt im Parlament haben Politik und Kirche
im vergangenen November ein symbolisches Zeichen gesetzt, um das
Leiden jener ehemaligen Heimkinder anzuerkennen, die unter
staatlicher bzw. kirchlicher Obhut Opfer von Gewalt wurden. Nun folgt
der "Geste der Verantwortung" ein weiterer konkreter, Schritt. Der
Sozialausschuss des Nationalrats stimmte in seiner heutigen Sitzung
mit S-V-G-N-Mehrheit dem Vorhaben der Regierung zu, den Betroffenen
eine Rente zu gewähren. Wer in Heimen des Bundes, der Länder und der
Kirche missbraucht bzw. misshandelt wurde und dafür eine
pauschalierte Entschädigungsleistung vom Heimträger erhalten hat,
wird ab Erreichen des Regelpensionsalters bzw. ab Pensionsantritt
eine monatliche Zahlung von 300 € erhalten. Dieser Betrag gilt laut
Sozialminister Alois Stöger brutto für netto und wird erstmals ab
Juli 2017 ausbezahlt. Man rechne damit, dass davon zunächst etwa
2.000 Personen Gebrauch machen werden. Insgesamt geht die Regierung
von rund 7.000 Fällen aus, die jährlichen Kosten werden auf vorläufig
8 Mio. € geschätzt. Damit soll der Einkommensnachteil, der durch
staatliches Wegschauen bzw. Nichthinschauen entstanden ist, ein wenig
reduziert werden, betonte Stöger.

Ausführlich diskutiert wurde auch über einen - nicht eingebrachten -
Abänderungsantrag der Regierungsparteien. Unter Bezugnahme darauf
erklärte Bundesminister Stöger, dass er die Einrichtung einer
zentralen Beratungsstelle für wichtig erachtet. Zu klären sei auch
noch die Frage der Ausweitung des BezieherInnenkreises auf
Pflegekinder oder MindestsicherungsbezieherInnen. Um zu
gewährleisten, dass die Rentenleistungen nicht auf die
Mindestsicherung angerechnet werden, brauche es jedoch eine
verfassungsrechtliche Bestimmung. Ausschussvorsitzender Josef
Muchitsch teilte noch mit, dass die SozialsprecherInnen der einzelnen
Fraktionen am 19. April über die einzelnen Punkte beraten werden. Er
hoffe, dass dann im Nationalratsplenum ein einstimmiger Beschluss des
Heimopferrentengesetzes (HOG) möglich ist.

Hearing: ExpertInnen warnen vor Retraumatisierung und schlagen noch
einige Änderungen vor

Beim vor der Debatte angesetzten öffentlichen ExpertInnenhearing
sahen alle RednerInnen noch einen gewissen Nachbesserungsbedarf bei
der Regierungsvorlage. Dem Präsidenten der Verbrechensopfer-
Hilfsorganisation Weisser Ring, Udo Jesionek, war es ein großes
Anliegen, dass durch den geplanten Abänderungsantrag entsprechende
Begleitmaßnahmen für die Betroffenen sowie ein weiterführendes
niederschwelliges und unbürokratisches Versorgungsangebot
sichergestellt werden. Was die Durchführung betrifft, so sollten nur
ausgewiesenen ExpertInnen (z.B. PsychologInnen, SozialarbeiterInnen
etc.) eingesetzt werden, forderte er, damit es zu keinen
Retraumatisierungen kommt.

Waltraud Klasnic stellte eingangs klar, dass sie nicht für die Kirche
spricht, sondern für die Unabhängige Opferschutzanwaltschaft, die
frei und autonom agiert. Auch wenn die Vorlage grundsätzlich gut sei,
sollte man den BezieherInnenkreis noch um jene Personen erweitern,
die in Pflegefamilien Opfer von Gewalt und Missbrauch wurden. Sie
schlug zudem eine Präzisierung im Gesetz vor, um sicherzustellen,
dass nicht nur Heime, sondern auch Internate von den Regelungen
umfasst sind. Außerdem wünschte sie sich eine zentrale und offizielle
Anlaufstelle für alle Betroffenen. Diese könnte etwa in Form eines
bei der Volksanwaltschaft angesiedelten Beirats realisiert werden,
schlug Klasnic vor. Wichtig war ihr auch, dass die Betroffenen, die
schon eine Entschädigung erhalten haben, keinesfalls noch einmal von
ihren Missbrauchserfahrungen berichten müssen. Schließlich hielt sie
es für unbedingt notwendig, den Aspekt der Prävention nicht nur in
das Gesetz aufzunehmen, sondern auch noch mehr in den
Ausbildungscurricula von pädagogischem Personal, Tagesmüttern etc. zu
verankern.

Eine ähnliche Meinung vertrat Bernhard Mager, der die Sicht der Stadt
Wien einbrachte. Auch er plädierte für die Einbeziehung von
Pflegekindern in das Gesetz sowie für die Gleichstellung von
MindestsicherungsbezieherInnen. Zum Glück habe sich in den letzten
Jahren viel verändert, bis zum Jahr 1989 war etwa die "die gesunde
Watsche" noch erlaubt, erinnerte er. In Wien werden die Kinder und
Jugendlichen nur mehr in kleinen Gruppen untergebracht und von einem
gut ausgebildeten Personal betreut. Auch für den Tiroler Vertreter,
Josef Danner, waren noch einige Fragen offen. So sei etwa nicht
geklärt, wie man mit jenen Personen umgeht, die eine
bedarfsorientierte Mindestsicherung beziehen. Aus seiner Sicht sollte
es auf jeden Fall eine einheitliche Vollzugspraxis in ganz Österreich
geben.

Es sei richtig, dass sich die Rahmenbedingungen in den letzten Jahren
stark verändert haben, erklärte Johanna Zimmerl vom
Kinderschutzverein "die möwe", sie sei jedoch tagtäglich mit Opfern
konfrontiert, die in den eigenen Familien oder in diversen
Institutionen Gewalt und Missbrauch erfahren haben. Als Psychologin
hält sie es für vorrangig, dass es niederschwellige Angebote gibt, da
die Betroffenen oft unter schweren Traumafolgestörungen leiden oder
ein großes Misstrauen gegenüber Behörden haben. Völlig klar sei
natürlich, dass dabei immer der Datenschutz beachtet werden müsse.
Ihrer Ansicht nach bringt das Gesetz eine gewisse Ungleichbehandlung,
da Opfer von familiärer Gewalt ausgeschlossen sind. Wie Waltraud
Klasnic wünscht sie sich, dass das Thema Gewalt und Missbrauch
gegenüber Kindern in der Grundausbildung von PädagogInnen und
PsychologInnen noch viel stärker berücksichtigt wird. "Gewalt kann
niemand allein beenden", hob Zimmerl hervor, deshalb brauche es
Erwachsene, die die Signale der Kinder richtig deuten können.

Rente wird ab Juli 2017 ausgezahlt

Gemäß dem Gesetzentwurf (1525 d.B.) wird die Rente gemeinsam mit der
Pension bzw. vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen
ausgezahlt. Betroffene Personen, die keine einmalige
Entschädigungsleistung bekommen haben, etwa weil der Heimträger einem
Antrag nicht entsprochen hat oder ihnen aus besonderen Gründen keine
zeitgerechte Einbringung eines Antrags möglich war, müssen die ihnen
zugefügte vorsätzliche Gewalt nachweisen. Die Entscheidung über eine
Rentenleistung ergeht mit Bescheid, dagegen kann beim Arbeits- und
Sozialgericht berufen werden. Unberechtigt empfangene
Rentenleistungen sind unter bestimmten Voraussetzungen zu
refundieren.

Ausgezahlt werden soll die Leistung ab Juli 2017, wobei Personen, die
bereits eine Pension beziehen bzw. das Regelpensionsalter erreicht
haben, die Rente rückwirkend ab Juli erhalten, wenn sie innerhalb
eines Jahres ab Inkrafttreten des Gesetzes einen Antrag einbringen.
Ansonsten wird die Rente mit dem Folgemonat des Antrags gewährt. Ab
März 2017 können keine neuen Anträge auf wiederkehrende Leistungen
als Verdienstersatz gemäß Verberbrechensopfergesetz eingebracht
werden.

Opposition fordert Valorisierung und Ausweitung des
BezieherInnenkreises

Abgeordnete Ulrike Königsberger-Ludwig (S) dankte den ExpertInnen für
ihre Statements, die wichtige Anregungen wie etwa die mögliche
Erweiterung des BezieherInnenkreises, den niederschwelligen Zugang zu
den Leistungen sowie die Einrichtung einer zentralen Beratungsstelle
enthalten haben.

Da es um ein sehr sensibles Thema geht, sollten sich alle Fraktionen
nach Ostern noch einmal treffen, um über eventuell notwendige
Änderungen zu reden, regte ÖVP-Mandatar August Wöginger an. Die von
Waltraud Klasnic vorgeschlagene Einrichtung eines Beirats bei der
Volksanwaltschaft sei eine sehr gute Idee; darin sollten alle
Organisationen, die in der Vergangenheit mit dem Thema zu tun hatten,
vertreten sein. Sein Fraktionskollege Franz-Joseph Huainigg wies noch
darauf hin, dass gerade behinderte Kinder und Jugendliche von Gewalt
und sexuellem Missbrauch betroffen waren. Er setzte sich dafür ein,
dass die Heimopferrente nicht auf die Mindestsicherung angerechnet
werden darf.

Dagmar Belakowitsch-Jenewein (F) fragte den Minister, wie man auf den
Betrag von 300 € gekommen ist und ob er brutto für netto gilt. Auf
jeden Fall sollte es eine automatische Indexierung geben, forderte
sie. Skeptisch betrachtete sie den Umstand, dass in Hinkunft keine
weiteren Ansprüche mehr geltend gemacht werden können.

Einigen Änderungsbedarf sah Albert Steinhauser von den Grünen und
forderte u.a. die Einbeziehung von misshandelten Pflegekindern in den
Berechtigtenkreis, die Nichtanrechnung der Rentenleistung auf die
Mindestsicherung sowie die Einrichtung einer professionellen
Anlaufstelle. Kritik übte er daran, dass jene Personen, die keinen
Antrag gestellt haben - auch aus Gründen der Traumatisierung - keine
Chance auf eine Rente mehr haben. Unverständlich ist für Steinhauser
auch, dass die Betroffenen künftig keine Anträge mehr nach dem
Verbrechensopfergesetz stellen können. Aus diesem Grund lehnte er -
ebenso wie die NEOS - diesen Teil des Gesetzes im Rahmen der von ihm
beantragten getrennten Abstimmung ab. Seine Fraktionskollegin Judith
Schwentner trat für eine Valorisierung der Heimopferrente ein. G-
Abgeordnete Helene Jarmer machte darauf aufmerksam, dass sich manche
Menschen aufgrund sprachlicher Barrieren an keine Beratungsstellen
wenden können.

Zwischen 6.000 und 7.000 Personen haben eine pauschalierte
Entschädigung erhalten, erklärte Bundesminister Alois Stöger,
insgesamt wurden mehr als 84 Mio. € an Heimopfer ausbezahlt. Im Zuge
der von Nationalratspräsidentin Doris Bures dankenswerter Weise
initiierten Veranstaltung "Geste der Verantwortung" sei klar
geworden, dass die Betroffenen eine weitere Hilfestellung brauchen.
Auch wenn der Schaden in keinster Weise reparierbar sei, wolle man
mit der Heimopferrente in der Höhe von 300 €, die zwölf Mal im Jahr
ausbezahlt wird, ein Zeichen der Anerkennung setzen. In Richtung von
Abgeordnetem Steinhauser, der eine Kürzung der Mindestsicherung
befürchtete, merkte er an, dass dies nur im Wege einer
Verfassungsbestimmung lösbar sei. Er versicherte jedoch, dass die
Rentenleistung nicht auf das Einkommen bzw. auf die Ausgleichszulage
angerechnet wird. Stöger stellte zudem klar, dass auch Schulheime und
somit Internate vom Gesetz umfasst sind. Generell glaube er, dass mit
dem Pauschalbetrag, dessen Berechnung die Höhe der
Durchschnittspensionen in Österreich zugrunde lag, ein guter Weg
beschritten wird, um den Verdienstentgang auszugleichen.
Schadersatzklagen seien weiterhin möglich. (Fortsetzung
Sozialausschuss) sue

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