- 04.04.2017, 10:31:22
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90 Jahre Justizpalastbrand: ORF stellt Schattendorf-Prozess mit Top-Juristen nach
Dreharbeiten zur „Menschen & Mächte“-Doku „Republik in Flammen“ im Wiener Landesgericht
Utl.: Dreharbeiten zur „Menschen & Mächte“-Doku „Republik in
Flammen“ im Wiener Landesgericht =
Wien (OTS) - Mit dem Brand des Wiener Justizpalastes am 15. Juli 1927
beginnt die Erosion der Demokratie und des parlamentarischen Systems
in Österreich. Neun Jahre nach der Ausrufung der Republik erlebt das
Land den ersten großen Ausbruch staatlicher Gewalt. Sie ist die
Antwort der Regierung Seipel auf sozialdemokratische Demonstrationen
nach dem Freispruch von drei Angehörigen des Frontkämpferverbandes,
die beschuldigt wurden, im burgenländischen Schattendorf bei
Zusammenstößen mit dem sozialdemokratischen Schutzbund zwei Menschen
erschossen zu haben. Die sozialdemokratische Führung bekommt die
Demonstranten nicht mehr in den Griff, sie stürmen den Justizpalast,
der bald danach brennt. Die Polizei erhält Schießbefehl. Die Bilanz:
84 tote Demonstranten und fünf tote Polizisten.
Aus Anlass des bevorstehenden 90. Jahrestages analysiert der ORF in
seiner Zeitgeschichte-Reihe „Menschen und Mächte“ am Donnerstag, dem
29. Juni 2017, um 21.05 Uhr in ORF 2 Ursachen, Hintergründe und
politische Konsequenzen des Brandes. Im Rahmen der noch bis Mitte Mai
anberaumten Dreharbeiten für die Dokumentation „Republik in Flammen –
90 Jahre Justizpalastbrand“ stellte Regisseur Fritz Kalteis in
Anwesenheit von ORF-Generaldirektor Dr. Alexander Wrabetz und Andreas
Novak, Leiter der ORF-Zeitgeschichte, vergangenen Freitag Teile des
Schattendorf-Prozesses nach – am Originalschauplatz im großen
Schwurgerichtssaal des Wiener Straflandesgerichtes. Die Rollen von
Richter, Staatsanwalt und Verteidiger übernahmen einige von
Österreichs Top-Juristen, so etwa der Präsident des Landesgerichtes
für Strafsachen Wien, Dr. Friedrich Forsthuber. In weiteren Rollen
sind Dr. Norbert Gerstberger, Richter am Landesgericht für
Strafsachen Wien, Staatsanwalt Dr. Leo Bien, Strafverteidiger Dr.
Rudolf Mayer und Schussgutachter Dr. Ingo Wieser zu sehen.
ORF-Generaldirektor Dr. Alexander Wrabetz: „Der Justizpalastbrand war
eines der wesentlichen Ereignisse in der Geschichte der Ersten
Republik, letztlich in den Auswirkungen der Beginn des Endes der
Ersten Republik. Daher ist es für den ORF wichtig, sich mit dem Thema
auseinanderzusetzen. Gerade wenn wir nächstes Jahr 100 Jahre
Österreichische Republik feiern werden, ist das ein ganz
entscheidendes Thema, das beleuchtet gehört. In diesem Zusammenhang
freut es mich sehr, dass es unserem Zeitgeschichte-Team gelungen ist,
Top-Juristen unseres Landes für die Mitwirkung an der Dokumentation
zu gewinnen.“
„Bei der Analyse der Ursachen für den Untergang Österreichs im März
1938 stehen oft der Februar 1934 und der Dollfuß-Mord im Vordergrund,
aber die Erosion der demokratisch-parlamentarischen Republik beginnt
eigentlich mit dem Justizpalastbrand bzw. dem Schattendorf-Prozess.
Anhand aktueller politischer Ereignisse etwa in der Türkei sieht man,
wie schnell sich der Weg von der Ausschaltung der Demokratie in
Richtung Diktatur entwickeln kann“, betonte Andreas Novak, Leiter der
ORF-Zeitgeschichte: „Die Überlegung, die Sequenzen im
Straflandesgericht mit Top-Juristen zu drehen, hat sich insofern
bewährt, da deren Fachwissen für die präzise Nachstellung des
Prozesses sehr hilfreich war“, so Novak abschließend.
Menschen & Mächte: „Republik in Flammen – 90 Jahre Justizpalastbrand“
„Vom Justizpalastbrand am 15. Juli 1927 führt eine direkte Linie zum
Bürgerkrieg im Februar 1934 und weiter zum März 1938. Dieser Tag
markiert einen Wendepunkt am Weg von der Demokratie zu einem
autoritären Regime.“ Das sagt der Historiker Gerhard Jagschitz zu
einem der wichtigsten Ereignisse der österreichischen
Republiksgeschichte. Unmittelbarer Anlass für die Ausschreitungen in
Wien war ein Gerichtsurteil gegen drei Mitglieder des rechten
Frontkämpferverbandes. Durch Gewehrschüsse dieser Männer waren bei
einem Aufmarsch des republikanischen Schutzbundes im burgenländischen
Schattendorf zwei Menschen gestorben – ein sozialistischer
Kriegsinvalide und ein achtjähriges Kind. Im sogenannten
Schattendorf-Prozess wurden die Angeklagten von den Geschworenen
überraschend freigesprochen. Die Proteste gegen das vermeintliche
„Schandurteil“ gipfelten im Brand des Justizpalastes und dem
anschließenden Polizeimassaker.
Dr. Friedrich Forsthuber, Präsident des Landesgerichtes für
Strafsachen Wien: „Wir wollen den Handlungsablauf authentisch
nachstellen, die Beweisführung im Prozess zeigen und klarstellen, wie
es zu dem Urteil kam. Wir haben es mit einem überaus umstrittenen
Urteil zu tun, bei dem das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen und
die juristische Gerechtigkeit weit auseinandergeklafft sind.“
Den überzeugenden Verteidiger der Angeklagten gibt der
Strafverteidiger Dr. Rudolf Mayer. Für ihn ist der Auftritt vor der
Kamera eine Rückkehr zu den eigenen Wurzeln. Was kaum jemand weiß:
Mayer war vor seiner Juristenkarriere als Schauspieler tätig: „Da
habe ich pro Aufführung 300 Schilling bekommen, für die Proben gar
nichts. Mit steigendem Alter ist dann mein Sicherheitsbedürfnis
gewachsen und mit 29 habe ich die Juristerei entdeckt.“
Forsthuber und Kalteis orientieren sich am historischen Prozessakt –
1.025 Seiten komprimierte Geschichte. Er gibt Einblick in eine enorm
aufgeheizte Zeit: „Einerseits können wir uns heute kaum vorstellen,
wie locker damals Fäuste und Taschenfeitel gesessen sind und wie
gewaltsam die politische Auseinandersetzung war. Andererseits sind
die Ähnlichkeiten unserer Gegenwart mit der Zwischenkriegszeit
unübersehbar: Auch heute werden radikale Stimmen immer lauter, die
meinen, dass es eine Zukunft nur gibt, wenn der weltanschauliche
Gegner restlos besiegt ist“, so Fritz Kalteis.
„Republik in Flammen – 90 Jahre Justizpalastbrand“ ist eine
Auftragsproduktion der Metafilm für den ORF in Kooperation mit dem
BMB, gefördert vom Zukunftsfonds der Republik Österreich und
Burgenland Kultur.
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