• 30.03.2017, 14:00:30
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  • OTS0207

Nationalrat beschließt einstimmig die Reform der Sachwalterschaft

Brandstetter: Paradigmenwechsel im Sinne von mehr Mitmenschlichkeit, Finanzierung ist gesichert

Utl.: Brandstetter: Paradigmenwechsel im Sinne von mehr
Mitmenschlichkeit, Finanzierung ist gesichert =

Wien (PK) - Mit den Stimmen aller Parlamentsparteien wurde heute im
Nationalrat das neue Erwachsenenschutzgesetz beschlossen, das von
vielen Rednern als justizpolitischer Meilenstein bezeichnet wurde.
Leitgedanke der Regierungsvorlage ist die Förderung der Autonomie von
vertretungsbedürftigen Personen. Aufgrund der Erfahrungen mit der
Sachwalterschaft in den letzten Jahren habe er sich intensiv für eine
Reform in diesem Bereich eingesetzt, erklärte Bundesminister Wolfgang
Brandstetter. Während in der Vergangenheit oftmals die Frage im
Vordergrund stand, ob "eine Person im Geschäftsverkehr noch
funktioniert", soll nun die Autonomie und die Selbstbestimmung der
Menschen gestärkt werden. Die Kosten sind aus seiner Sicht auf
absehbare Zeit problemlos bewältigbar, zumal auf die Rücklagen des
Ministeriums zurückgegriffen werden kann.

Im Gegensatz zum Ausschuss haben heute auch die Grünen die
Regierungsvorlage mitgetragen. Man gebe dem Minister Brandstetter
einen Vertrauensvorschuss, erklärte Albert Steinhauser (G), da dieser
die Garantie dafür übernommen hat, dass die Finanzierung des Gesetzes
- selbst wenn ein Mehraufwand entsteht - gesichert ist.

Gesetz schafft vier Stufen der Erwachsenenvertretung und bringt mehr
Autonomie für die Betroffenen

Mit dem 2. Erwachsenenschutz-Gesetz (2. ErwSchG) wird die
gerichtliche Fürsorge für Menschen, die aufgrund einer psychischen
Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung nicht mehr in
der Lage sind, ihre Angelegenheiten selbst wahrzunehmen, neu
geregelt. Zu diesem Zweck werden die Vertretungsmodelle ausgebaut und
Alternativen zur bisherigen Sachwalterschaft angeboten. Die
betroffenen Menschen sollen, soweit dies möglich ist, selbst über
ihre rechtlichen Beziehungen bestimmen (1461 d.B.).

Begrifflich wird aus der Sachwalterschaft nun die
Erwachsenenvertretung, die konkret auf die Bedürfnisse der
betroffenen Person zugeschnitten ist. Das Gesetz bietet dabei vier
mögliche Arten der Vertretung einer vertretungsbedürftigen
volljährigen Person. Vorgesehen ist zunächst der gerichtliche
Erwachsenenvertreter, der den Sachwalter ersetzt. Seine Befugnisse
sollen aber auf bestimmte Vertretungshandlungen beschränkt werden und
nicht pauschal für "alle Angelegenheiten" gelten. Die gerichtliche
Bestellung des Erwachsenenvertreters ist nach den Intentionen des
Entwurfs nur die ultima ratio, geht es doch darum, die Alternativen
auszubauen.

Mit der gesetzlichen Erwachsenenvertretung übernimmt das Gesetz die
schon bisher mögliche Vertretung durch nächste Angehörige. Dadurch
sei es möglich, z.B. Geschwister oder Nichten und Neffen einzubinden.
Da diese Form der Vertretung aber nun weitergehende Befugnisse
schafft, unterliegt sie nun einer gerichtlichen Kontrolle und muss
spätestens nach drei Jahren erneuert werden.

Neu ist hingegen die gewählte Erwachsenenvertretung, die einer
volljährigen Person die Möglichkeit gibt, im Bedarfsfall selbst eine
Vertretungsperson - z.B. eine Freundin, eine Pflegerin etc. - zu
bestimmen, die sofort für sie tätig werden soll. Auch diese
Vertretungsbefugnis setzt eine Eintragung ins Österreichische
Zentrale Vertretungsverzeichnis (ÖZVV) voraus und unterliegt der
gerichtlichen Kontrolle. Da sie aber auf der Willensbildung des
Vertretenen beruht, ist sie auf unbestimmte Zeit eingerichtet.

Bei der Vorsorgevollmacht mit uneingeschränktem Wirkungsbereich
schließlich knüpft das Gesetz an das geltende Recht an. Voraussetzung
ist hier der Eintritt des "Vorsorgefalls" - des Verlusts der
Entscheidungsfähigkeit - sowie die Eintragung im ÖZVV. Die
gerichtliche Kontrolle beschränkt sich dabei im Wesentlichen auf die
Genehmigung von Entscheidungen bei medizinischen Behandlungen, soweit
zwischen VertreterIn und vertretener Person ein Dissens erkennbar
wird, sowie auf den Fall einer dauerhaften Wohnortverlegung ins
Ausland. Eingerichtet wird die Vorsorgevollmacht auf unbestimmte
Zeit.

Große Zustimmung von Seiten der Abgeordneten zum Gesetz

Michaela Steinacker (V) bezeichnete das Gesetz als einen großen
Meilenstein, weil durch die Schaffung von differenzierten
Vertretungsbefugnissen maßgeschneiderte Lösungen geschaffen und die
höchstmögliche Selbstbestimmung für jeden einzelnen Menschen
garantiert werden können. Auch der gesamte Gesetzwerdungsprozess war
vorbildlich, lobte die Rednerin, u.a. wurden viele Empfehlungen, die
im Rahmen der Enquete "Würde am Ende des Lebens" erarbeitet wurden,
berücksichtigt. Als Clearingstellen sind in Hinkunft
Erwachsenenschutzvereine tätig. Viele SeniorInnen waren bis dato
besorgt darüber, dass sie von einem Tag auf den anderen entmündigt
werden können, berichtete Gertrude Aubauer (V), dies könne mit dem
vorliegenden Gesetz nun nicht mehr passieren. Auch für Abgeordneten
Franz-Joseph Huainigg (V) bringt die Reform einen Paradigmenwechsel,
und zwar weg von der Bevormundung und hin zur Unterstützung.

Johannes Jarolim (S) freute sich, dass nach einem dreijährigen
Vorbereitungsprozess heute das Erwachsenenschutzgesetz beschlossen
werden kann. Er dankte dem Justizminister und seinen MitarbeiterInnen
für die tolle Arbeit und vor allem auch dafür, dass nun auch die
Finanzierung der Maßnahmen gesichert sein soll. Durch einen im
Ausschuss eingebrachten Abänderungsantrag sei es auch noch gelungen,
die Grundsätze der Reform auf das Heimaufenthaltsgesetz auszudehnen,
wodurch nun auch eine Kontrolle von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen
bei Kindern und Jugendlichen möglich ist. Das Gesetz trage den
gesellschaftlichen Änderungen Rechnung und stehe unter dem Motto "Weg
von der Entmündigung, hin zur Ermächtigung", hoben Ulrike
Königsberger-Ludwig und Gisela Wurm (beide S) vor.

Harald Stefan (F) sprach von einer sinnvollen Weiterentwicklung der
bisherigen Sachwalterschaftsregelungen, dennoch sollte man die
Anwendung des Gesetzes aufmerksam beobachten. Eine Schwachstelle
ortete er bei der gerichtlichen Erwachsenenvertretung, da es in
diesem Fall nun eine Beschränkung auf drei Jahre gibt. Diese
Bestimmung werde zu einem größeren bürokratischen Aufwand führen,
befürchtete Stefan. Skeptisch sei auch die Tatsache zu beurteilen,
dass man in diesem Bereich nunmehr kein Gutachten eines Psychiaters
mehr braucht.

Nikolaus Scherak (N) schloss sich den positiven Kommentaren seiner
VorrednerInnen an. Er sei froh, dass nun alle Fraktionen das neue
Erwachsenenschutzgesetz, das die antiquierten
Sachwalterschaftsbestimmungen ablöst, mittragen werden. Im besonderen
hob er hervor, dass nunmehr individuelle Vertretungslösungen
entwickelt werden können, die eine maximale Selbstbestimmung der
Menschen ermöglichen. Der große Wermutstropfen sei natürlich die
Frage der Finanzierung, merkte Scherak an, da die Abänderung der
ursprünglichen Kostenschätzung auch laut dem Budgetdienst des
Parlaments nicht ausreichend nachvollzogen werden könne.

Grüne geben dem Justizminister einen Vertrauensvorschuss und stimmen
ebenfalls zu

Dieses Gesetz, das fachlich sehr gut vorbereitet wurde, kann ein
Meilenstein sein, erklärte Albert Steinhauser (G), weil damit die
Autonomie der betroffenen Menschen gestärkt wird. Lobenswert sei
auch, dass kein automatischer Verlust der Geschäftsfähigkeit mehr
vorgesehen ist und dass ein verpflichtendes Clearing eingeführt wird.
Voraussetzung für eine positive Wirkung des Gesetzes sei aber die
entsprechende Finanzierung der Maßnahmen. Das Justizressort habe die
Kostenschätzungen offensichtlich an das angepasst, was mit dem
Finanzminister ausverhandelt werden konnte; dies sei aber nicht
ausreichend. Auch der Budgetdienst des Parlaments, den seine Fraktion
in der dieser Frage um Unterstützung gebeten hat, habe diesbezüglich
Bedenken angemeldet. Da Minister Brandstetter aber im Ausschuss
versprochen hat, dass die Finanzierung sichergestellt ist, haben sich
die Grünen dazu entschlossen, dem Gesetz heute zuzustimmen. Um die
Kostenentwicklung besser beurteilen zu können, sollten die Ergebnisse
des Finanzmonitorings jährlich dem Parlament übermittelt werden,
forderte Steinhauser in einem Entschließungsantrag. Auch Helene
Jarmer (G) sah noch einige Hausaufgaben, die erledigt werden müssen,
und u.a. die Länder gefordert, sich aktiv an der Umsetzung zu
beteiligen. Sehr positiv sei auch die Ausweitung der Reform auf das
Heimaufenthaltsgesetz.

Das Gesetz bringe wesentliche Verbesserungen für die betroffenen
Menschen, konstatierte Christoph Hagen vom Team Stronach. Allerdings
sei noch abzuwarten, ob das Ressort mit den finanziellen Schätzungen
richtig liegt.

Brandstetter: Interessen der Betroffenen stehen nun wieder im
Vordergrund

Die vorliegende Reform der Sachwalterschaft bringen einen notwendigen
Paradigmenwechsel, betonte Justizminister Wolfgang Brandstetter. Die
Erfahrungen in den letzten zehn Jahren hätten nämlich gezeigt, dass
oft weniger der Rechtsschutz für die betroffenen Personen im
Vordergrund gestanden ist, sondern eher "das Service für Banken,
Versicherungsträger, Ämter und Fürsorgeeinrichtungen". In Zukunft
sollen die Interessen des einzelnen Menschen, dem ein höchstmögliches
Maß an Selbstbestimmung eingeräumt wird, wieder mehr Gewicht haben.
Der hohe Anstieg an Sachwalterschaften in der Vergangenheit hätten
gezeigt, dass Handlungsbedarf gegeben ist.

Die Finanzierung des Gesetzes sei auf absehbare Zeit wirklich
gesichert, unterstrich der Minister, und zwar nicht zuletzt deshalb,
weil auf die relativ hohen Rücklagen des Ressorts zurückgegriffen
werden kann. Was die abgeänderte Kosteneinschätzung betrifft, so gab
es dafür sachliche Gründe, die auch im Ausschuss schon ausführlich
dargelegt wurden. Er habe sich zudem dafür eingesetzt, dass es ein
jährliches Monitoring gibt; dies wurde auch in den Erläuterungen
festgehalten. Sollten die Rücklagen wirklich einmal aufgebraucht
sein, dann sei das Parlament gefordert, im Rahmen des
Budgetbeschlusses sicherzustellen, dass das Gesetz auch in ferner
Zukunft finanziert werden kann.

Bei der Abstimmung wurde der Entschließungsantrag der Grünen
betreffend Finanzmonitoring zum 2. Erwachsenenschutz-Gesetz
abgelehnt. (Fortsetzung Nationalrat) sue

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