- 29.03.2017, 15:36:55
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Deregulierungsgrundsätzegesetz sorgt für viel Kritik im Nationalrat
Gründung von Ein-Personen-Unternehmen wird vereinfacht
Utl.: Gründung von Ein-Personen-Unternehmen wird vereinfacht =
Wien (PK) - Die Gründung von Einzelunternehmen und kleinen Standard-
GmbHs soll künftig einfacher werden. Wer einziger Gesellschafter und
Geschäftsführer einer GmbH ist, wird ab 2018 keinen Notar mehr
benötigen und das Unternehmen per Bürgerkarte bzw. Handysignatur
registrieren lassen können. Vorausgesetzt, die physische
Identifizierung wurde im Zuge der bar zu leistenden Stammeinlage von
der Bank vorgenommen. Das hat der Nationalrat in seiner heutigen
Sitzung beschlossen. Auch alle weiteren Schritte im Gründungsprozess
sollen demnach elektronisch über das Unternehmensserviceportal (USP)
abgewickelt werden können. Die Neuregelung für GmbHs ist vorerst
allerdings auf drei Jahre befristet und soll vor einer Verlängerung
evaluiert werden.
Eingebaut sind die neuen Bestimmungen für vereinfachte
Firmengründungen in das Deregulierungsgesetz 2017. Ziel der
umfangreichen Sammelnovelle mit insgesamt 25 Gesetzesänderungen sind
die Reduktion von Bürokratie für Unternehmen und BürgerInnen,
vereinfachte Verwaltungsabläufe und mehr elektronische Kommunikation
mit den Behörden. In diesem Sinn wird etwa auch ein Rechtsanspruch
auf elektronischen Behördenverkehr eingeführt sowie eine Pflicht für
Unternehmen zur Teilnahme an der elektronischen Zustellung ab 2020
verankert. Erleichterungen gibt es unter anderem auch für Auto- und
MotorradfahrerInnen: Bei einem Wohnsitzwechsel im gleichen
Kennzeichen-Bezirk wird künftig kein neuer Zulassungsschein mehr
benötigt.
Vom Nationalrat verabschiedet wurde darüber hinaus das umstrittene
Deregulierungsgrundsätzegesetz. Durch mehr befristete Gesetze, eine
systematische Durchforstung gesetzlicher Bestimmungen auf ihre
Notwendigkeit und eine präzise Umsetzung von EU-Vorgaben ohne darüber
hinausgehende Regelungen soll die Zahl der gesetzlichen Vorschriften
insgesamt reduziert und damit die Bürokratie verringert werden.
Die FPÖ nutzte die Debatte über die beiden Gesetze auch dazu, um die
Umsetzung von auf Regierungsebene bereits vereinbarten Maßnahmen
einzumahnen. Sie konnte sich mit einem Entschließungsantrag aber
nicht durchsetzen. Am Beginn der Sitzung war die Novelle zum
Ökostrom-Gesetz mit Zweidrittelmehrheit von der Tagesordnung
abgesetzt worden. Das Plenum folgte damit einem gemeinsamen Antrag
von SPÖ, ÖVP und Grünen.
Grüne warnen vor Schuss ins eigene Knie
In der Debatte über das Deregulierungspaket sorgte vor allem das
Deregulierungsgrundsätzegesetz bei der Opposition für viel Kritik und
einiges an Häme. So warf Grünen-Abgeordnete Christiane Brunner der
Regierung vor, mit dem Gesetz "Scheinaktivität" zu demonstrieren. Die
Grünen würden auch ohne gesetzliche Vorgaben bei jedem
Gesetzesvorschlag überlegen, ob er notwendig ist oder nicht und
welche Wirkung er habe.
Brunner wertete es zudem als "Schuss ins eigene Knie", würde
Österreich in Zukunft EU-Vorgaben nur noch nach Punkt und Beistrich
umsetzen und auf "Gold Plating" verzichten. EU-Richtlinien seien ein
Minimalkompromiss, mit denen ein Mindeststandard für alle EU-Länder
festgelegt werde, Österreich solle aber eine Vorreiterrolle anstreben
und sich nicht mit Durchschnitt begnügen, machte sie geltend und
nannte als konkrete Bereiche etwa den Klimaschutz oder die
Energiewende. Auch der "One in - one out"-Regelung können die Grünen
wenig abgewinnen: Durch notwendige neue Regelungen würden andere
nicht automatisch überflüssig, machte Wolfgang Zinggl geltend.
Sowohl Georg Willi (G) als auch Christoph Hagen (T) appellierten an
die Regierungsparteien, einen stärkeren Fokus auf die Lesbarkeit von
Gesetzen zu richten. Willi zitierte in diesem Zusammenhang aus der
vorliegenden Novellierung der Bundesabgabenordnung und meinte, es sei
"unerträglich, was wir hier produzieren."
NEOS bezweifeln Sinnhaftigkeit des Deregulierungsgrundsätzegesetzes
Kritik am Grundsatzgesetz, allerdings mit einer etwas anderen
Stoßrichtung, kam auch von den NEOS. So zeigte sich Gerald Loacker
irritiert darüber, dass es in der Koalition offenbar Leute gebe, die
davon ausgehen, dass vorgelegte Gesetze nicht notwendig seien und
nicht ausreichend geprüft würde, ob die daraus resultierenden
Belastungen für BürgerInnen und Unternehmen angemessen sind. Zudem
ist es seiner Meinung nach angesichts der vagen Bestimmungen ein
Leichtes, gegen die Intention des Gesetzes zu verstoßen. Es handle
sich tatsächlich um nicht viel mehr als um Neujahrsvorsätze, die
meist am 7. Jänner schon wieder vergessen sind, hielt er in
Anspielung auf ein Interview von SPÖ-Abgeordnetem Christoph
Matznetter fest.
Für Loacker ist das vorliegende Gesetz in diesem Sinn selbst ein
Fall, das an den eigenen Vorsätzen gemessen werden sollte: Seinem in
einen Entschließungsantrag gegossenen Appell an die Regierung, bei
der Vorlage von "Deregulierungsgrundsätzegesetzesvorschlägen" darauf
zu achten, ob diese notwendig und zeitgemäß sind und ob die
angestrebten Wirkungen nicht auch auf andere Weise erreicht werden
könnten, wollte sich bei der Abstimmung allerdings nur eine
Minderheit der Abgeordneten anschließen.
Zustimmung der FPÖ mit Vorbehalten
Kritisch zum Gesetz äußerte sich auch die FPÖ. Dieses enthalte
lediglich Allgemeinplätze, noch dazu "mit Hintertürln", hielt etwa
Axel Kassegger fest und machte darauf aufmerksam, dass sich bereits
etliche Kabarettisten des Entwurfs angenommen hätten. Für ihn ist das
Gesetz nichts anderes als Teil "der Marketing-Show" der
Bundesregierung, wie auch generell die Regierungspolitik vor allem
von Marketing und Streit geprägt sei. Außer diversen Plänen habe die
Regierung bisher nichts vorgelegt, klagte er.
Dass die FPÖ dem Deregulierungsgrundsätzegesetz letztlich dennoch
zustimmte, begründete Harald Stefan damit, dass "es nichts Falsches
ist, was hier steht". Man könne Selbstverständlichkeiten nicht
ablehnen.
SPÖ und ÖVP: Regierung handelt
Klar hinter das Gesetz stellten sich die SPÖ-Abgeordneten Christoph
Matznetter und Josef Cap. Dieses sei zwar nicht die Idee der SPÖ
gewesen, sagte Matznetter, seiner Meinung nach spricht aber nichts
dagegen, die im Gesetz verankerten Vorsätze zu fassen. Man habe nur
das in Paragraphen gegossen, was von der Opposition ständig gefordert
wird, hält auch Abgeordneter Cap die vorgebrachten Einwände für nicht
gerechtfertigt. Dass im Gesetz viele Konjunktive enthalten sind,
begründete Matznetter damit, dass Gesetzesbeschlüsse im Sinne des
freien Mandats letztlich der Entscheidung der Abgeordneten obliegen.
Auch die Kritik von Abgeordnetem Kassegger an der Regierungspolitik
ließ Matznetter nicht gelten. Die "Propaganda" vom
Regierungsstillstand wirke nicht mehr, betonte er. Die Regierung
handle, auch die Wirtschaft fange an zu wachsen.
Auch Michaela Steinacker (V) verwahrte sich gegen den Vorwurf, dass
die Regierung Scheinmaßnahmen setze. Vielmehr würden mit dem
Deregulierungsgesetz 2017 konkrete Erleichterungen für Unternehmen
beschlossen. Als Beispiele nannte sie die vereinfachte
Unternehmensgründung und den forcierten Einsatz von elektronischen
Signaturen. Auch ihr Fraktionskollege Rouven Ertlschweiger sieht
viele Punkte im Gesetz, die den Betroffenen das Leben erleichtern.
Bürokratie und Bevormundung gebe es in Österreich genug, meinte er,
mit dem vorliegenden Gesetz würde der Forderung nach mehr Augenmaß
Rechnung getragen. Auch insgesamt hält er es für zweckmäßig, Gesetze
in regelmäßigen Abständen dahingehend zu prüfen, ob sie noch sinnvoll
sind.
Politik will Bürgerkarte für Unternehmen attraktiver machen
Bei der Verabschiedung des Deregulierungsgesetzes 2017 wurde, wie
bereits im Verfassungsausschuss angekündigt, ein Abänderungsantrag
berücksichtigt. Dieser sieht insbesondere Erleichterungen für
Unternehmen vor, die die Bürgerkarte bzw. die Handysignatur zur
Identitätsfeststellung von Kunden verwenden wollen. Wer eine
bürgerkartentaugliche Umgebung einsetzt, kann demnach künftig vom
Innenministeruim als Stammzahlenregisterbehörde bereichsspezifische
Personenkennzeichen (bPK bzw. verschlüsselte bPK) anfordern, wobei
dafür ein Kostenersatz vorgesehen werden kann.
Ausdrücklich begrüßt wurde das Deregulierungspaket nicht nur von den
ÖVP-Abgeordneten Steinacker und Ertlschweiger, sondern auch von
Angela Lueger (S). Wer das Gesetz ablehne, stimme gegen mehr Service
für BürgerInnen, gegen eine Entlastung von Unternehmen und gegen eine
Effizienzsteigerung der öffentlichen Verwaltung, hielt sie fest.
Zudem sei es sinnvoll, die elektronische Kommunikation mit den
Behörden auszuweiten, auch wenn Österreich bereits Vorreiter in
Sachen E-Government sei. Besonders begrüßte Lueger in diesem
Zusammenhang die künftig mögliche Ausstellung so genannter Apostillen
(diplomatischer Beglaubigungen) in elektronischer Form.
Was die vereinfachte Firmengründung für Ein-Personen-Unternehmen
betrifft, wertete es Steinacker als sinnvoll, die Novelle zum GmbH-
Gesetz vorerst nur befristet zu beschließen und deren Auswirkungen
vor einer Verlängerung zu evaluieren.
Opposition begrüßt Teile des Gesetzespakets
Teile des Gesetzespakets erhielten auch die Zustimmung der
Opposition. Die NEOS würden jeden Schritt der Deregulierung begrüßen,
und sei er auch noch so klein, betonte etwa Gerald Loacker. Ihm und
seinem Fraktionskollegen Nikolaus Alm gehen die vorgesehenen
Deregulierungsschritte allerdings nicht weit genug. Man hätte auch
Mehr-Personen-GmbHs mit standardisierter Satzung die Möglichkeit
einer elektronischen Gründung eröffnen können, meinte Alm. Generell
sollte man sich seiner Meinung nach überlegen, ob eine GmbH überhaupt
noch ein Stammkapital benötigt. Begrüßt wurden die Erleichterungen
für Selbständige auch von Christiane Brunner (G).
Die Gesetzesänderungen seien zum Teil gut, zum Teil nicht gut, fasste
Harald Stefan die Position der FPÖ zusammen. Es sei zwar durchaus
sinnvoll, den elektronischen Datenverkehr zu forcieren, angesichts
zunehmender Hacker-Angriffe und anderer Gefahren für die
Datensicherheit müsse man aber behutsam vorgehen, mahnte er. In
diesem Sinn hält es Stefan etwa für heikel, Firmengründungen per
Handysignatur und Bürgerkarte zu ermöglichen. Er sieht auch die
Gefahr von Missbrauch gegeben. Stefan hält überdies die Beratung
durch einen Notar bei Firmengründungen für zweckmäßig.
Eine ähnliche Meinung vertraten auch die fraktionslosen Abgeordneten
Rupert Doppler und Gerhard Schmid. Doppler äußerte sich in diesem
Sinn über die dreijährige Befristung GmbH-Gesetz-Novelle erfreut.
Mehrfach von der Opposition kritisiert wurde die Vermengung
unterschiedlichster Themen im Deregulierungsgesetz.
Verwaltungsvereinfachungen seien grundsätzlich positiv, man sollte
die entsprechenden Gesetzesänderungen aber in den zuständigen
Fachausschüssen beraten und nicht Kraut und Rüben in einer
Sammelnovelle zusammenmischen, klagte etwa Team-Stronach-Abgeordneter
Hagen. Inhaltlich hält er einzelne Punkte im Gesetz für "brauchbar".
Ähnliche Kritik kam von Harald Stefan (F) und Sigrid Maurer (S).
Maurer beurteilte zudem den Einsatz bereichsspezifischer
Personenkennzeichen im Bereich privater Unternehmen skeptisch. Schon
jetzt würden private Unternehmen zu viele Daten von KundInnen
sammeln. Sie sehe nicht ein, warum die "Datensammelwut" auch noch
staatlich unterstützt werden solle. Bedenklich ist für Maurer
außerdem die künftige Pflicht für Unternehmen, an der elektronischen
Zustellung teilzunehmen. Die Beweislast, dass man eine
Benachrichtigung nicht bekommen habe, liegt bei einem selbst, dadurch
werde der Rechtsschutz eingeschränkt.
Thema in der Debatte war schließlich auch der Arbeitnehmerschutz.
Birgit Schatz (G) sieht nicht ein, warum Unternehmen künftig nicht
mehr verpflichtet sind, alle Gesetze und Verordnungen zum
Arbeitnehmerschutz im Betrieb aufzulegen oder elektronisch zur
Verfügung zu stellen. Ihr zufolge bringt dieser Schritt lediglich
eine Einsparung von 10 € für ein Unternehmen. Angesichts der
Bedeutung des Arbeitnehmerschutzes sei dies ein schlechtes Geschäft,
nicht nur für die ArbeitnehmerInnen, sondern letztlich auch für die
UnternehmerInnen selbst.
Massive Kritik der FPÖ an Regierungspolitik
Die FPÖ nutzte die Debatte darüber hinaus dazu, um der Regierung
massive Versäumnisse in der Flüchtlingspolitik und in der
Integrationspolitik vorzuwerfen. Unter anderem forderte Klubobmann
Heinz-Christian Strache ein generelles Kopftuchverbot im öffentlichen
Dienst, auch in Kindergärten und Schulen, und ein rigoroses Vorgehen
gegen Islamisten. Es wäre zudem eine Selbstverständlichkeit,
Sozialleistungen nur an jene auszuzahlen, die zuvor bereits in den
Sozialtopf eingezahlt haben, hielt er fest.
Mit einem Entschließungsantrag wollte die FPÖ der Koalition "die
Chance geben zu beweisen", dass sie es mit dem neuen
Regierungsprogramm ernst nimmt, wie Strache erklärte. Der von
Abgeordnetem Stefan vorgelegte Antrag enthielt unter anderem die
Forderung, Gesetzesvorlagen für eine Kopftuchverbot im öffentlichen
Dienst und für eine gestaffelte Familienbeihilfe für im Ausland
lebende Kinder, je nach Lebenshaltungskosten, vorzulegen. Zudem
drängt die FPÖ darauf, dass Sozialhilfeleistungen an
nichtösterreichische StaatsbürgerInnen erst nach fünfjähriger
Einzahlung ins System gewährt werden und Deutschklassen für
Flüchtlinge eingerichtet werden. Weiters werden der Abbruch der EU-
Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und ein rigoroses Abfangen von
Bootsflüchtlingen im Mittelmeer verlangt. Der Brexit dürfe keine
höheren EU-Beiträge Österreichs zur Folge haben.
Der Entschließungsantrag wurde in namentlicher Abstimmung mit 125
Nein-Stimmen, bei 40 Ja-Stimmen, abgelehnt. Die Regierung habe sich
im neuen Regierungsprogramm nicht nur auf eine Reihe von Maßnahmen
verständigt, sondern auch vereinbart, dass man nicht gegen den
jeweiligen Koalitionspartner stimme, unterstrich ÖVP-Klubobmann
Reinhold Lopatka. Daran halte sich seine Fraktion. Im Übrigen
bedankte er sich bei der FPÖ "für die Werbeeinschaltung für Sebastian
Kurz", der seiner Einschätzung nach klar vorgibt, in welche Richtung
es gehen solle.
Das Deregulierungsgesetz selbst wurde mehrheitlich beschlossen, wobei
es in Zweiter Lesung für die einzelnen Teile des Pakets
unterschiedliche Mehrheiten gab. Begleitend zum Gesetz fassten die
Abgeordneten auch eine Entschließung: Sie hat einen beschleunigten
Abschluss der vom Finanzministerium bereits begonnenen Arbeiten zur
elektronischen Prüfung und Vergabe von Steuernummern (UID) zum Ziel.
(Fortsetzung Nationalrat) gs
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