• 29.03.2017, 11:02:09
  • /
  • OTS0081

Rückblick auf ein Jahr ELGA im Spital

ÖÄK-Mayer: „Bisher schöne Worte, Bewährungsprobe kommt erst“

Utl.: ÖÄK-Mayer: „Bisher schöne Worte, Bewährungsprobe kommt erst“ =

Wien (OTS) - In der derzeitigen Form bestehe mit der elektronischen
Gesundheitsakte (ELGA) im Spital kein zusätzlicher Nutzen, geschweige
denn eine Arbeitserleichterung, sagte der Obmann der Bundeskurie
Angestellte Ärzte und Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer
(ÖÄK), Harald Mayer, am Mittwoch im Zuge eines Pressegespräches. „Wir
blicken auf ein Jahr ELGA im Spital zurück und müssen feststellen:
Ärztinnen und Ärzte verbringen noch mehr Zeit vor dem Computer,
anstatt sich ihren Patientinnen und Patienten widmen zu können.“

Sowohl das Durchlesen einer kompletten Krankengeschichte bzw. der
angefügten PDF-Dateien als auch das Durchsuchen unterschiedlicher
Systeme nach Informationen bringe enorme zeitliche Verschlechterungen
mit sich. „Wir haben es hier leider mit unstrukturierten Datenmassen
zu tun“, so Mayer.

Seit 2006 liege das Thema ELGA am Tisch, wobei es schon damals die
Möglichkeit gab, in den Spitalsverbünden auf verschiedene Daten –
verdichtete, aktuelle Information – zuzugreifen. Dazu Mayer:
„Versprochen wurde uns mit ELGA eine Verbesserung der medizinischen
Versorgung und dass sich für Spitäler nicht viel ändern solle.
Bekommen haben wir bisher nur schöne Worte, die Bewährungsprobe kommt
erst.“

Von Beginn habe sich die Frage nach den Kosten und dem medizinischen
Nutzen gestellt. Ebenso hätten sich von Anfang an die Hinweise an die
Spitalsträger verdichtet, dass es zu vermehrtem Arbeitsaufwand kommen
werde. Die schrittweise Umsetzung habe im Dezember 2015 in
öffentlichen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen in Wien und der
Steiermark begonnen. Seitdem sind Krankenanstalten verpflichtet, an
ELGA teilzunehmen, d.h. das System in den Spitälern zu
implementieren.

ÖÄK grundsätzlich für elektronische Gesundheitsakte

Als Interessenvertretung einer Berufsgruppe, die digitalen und neuen
Medien gegenüber sehr aufgeschlossen ist, spreche sich auch die ÖÄK
stark für moderne Kommunikationsmittel und Fortschritte in der
Digitalisierung in der Medizin aus und unterstütze diese, betonte der
Obmann der Bundeskurie. So stehe die ÖÄK auch einer elektronischen
Gesundheitsakte grundsätzlich positiv gegenüber, sofern die
Kosten-Nutzen-Relation und Usability gegeben sind.

„Seit ELGA diskutiert und entwickelt wird, fordern wir einen
sinnvollen Einsatz und eine Erleichterung der
Informationsbeschaffung“, so Mayer. Im Mittelpunkt des Systems
müssten die Patientinnen und Patienten sowie die Verbesserung ihrer
ärztlichen Behandlung stehen. Das Wohl der Patienten durch eine
individuelle ärztliche Begleitung beim Diagnose- und Therapieprozess
sowie ein ärztliches Gespräch müssten unterstützt werden.

Derzeit sorgt ELGA für noch mehr Bürokratie

„Was wir leider schon jetzt sehen: ELGA füttert die ohnehin schon
überbordende Bürokratie in der täglichen Spitalsarbeit“, so Mayer. So
müssen Patientendaten in manchen Krankenhäusern von Ärztinnen und
Ärzten immer noch in verschiedene EDV-Masken eingegeben werden. Als
weiteres Beispiel nannte der ÖÄK-Vizepräsident die Abfragedauer des
Systems. Angekündigt war, dass Links zu Datenspeichern in
Millisekunden funktionieren und die Informationen punktgenau auf den
PC des Abfragers bringen sollen. Die Realität zeige, dass selbst bei
neuester Hard- und Software Abfragen durchschnittlich ca. 30-35
Sekunden, manchmal sogar über eine Minute dauerten.

Studien belegen, dass lediglich 58 % der ärztlichen Arbeitszeit für
ärztliche Tätigkeiten aufgewendet werden – für administrative
Tätigkeiten sind es hingegen bereits 35 %. „Lassen wir unsere
Ärztinnen und Ärzte doch in erster Linie das machen, wofür sie
ausgebildet wurden, und unterstützen wir sie mit Systemen, die eine
Erleichterung der Arbeitsabläufe und nicht noch mehr Bürokratie und
Verwaltungsaufwand mit sich bringen“, so Mayer abschließend.

Kritik an ELGA

• Usability: Sowohl das Durchlesen einer kompletten Krankengeschichte
bzw. der angefügten PDF-Dateien als auch das Durchsuchen
unterschiedlicher Systeme nach Informationen – wie KIS und ELGA –
bringen enorme zeitliche Verschlechterungen mit sich. In vielen
Fällen ist bis heute ELGA in die Krankenhaus-Informationssysteme
nicht so integriert, dass es im Hintergrund läuft und sämtliche
Abläufe durch ELGA keinesfalls verzögert werden. Die ELGA-GmbH hat
unter Mitwirkung der ÖÄK einen Usability Styleguide entworfen, diesen
aber noch nicht umgesetzt.
• Dokumentensicherheit/Datensicherheit: So ist zum Beispiel das
automatische Hineinstellen von Dokumenten in das ELGA-System möglich
– auch ohne Zustimmung des Patienten (z.B. Labors).
Löschungsmöglichkeiten fehlen (Dokumente bleiben im System, lediglich
Verweise werden „gekappt“).
• Wechselwirkungsproblematik: Die Patientin/der Patient kann
Medikamente ausblenden, d.h. die Medikationsliste kann unvollständig
sein.
• Haftung: Teilnahmepflicht/Hineinschaupflicht und damit verbundene
Haftungsfragen für Ärztinnen und Ärzte sind noch ungeklärt. Viele
Fragen sind noch zu beantworten, zum Beispiel, was den Umfang der
Entlassungsbriefe künftig betrifft: Wie viele Laborbefunde sind
hineinzustellen? Der erste, der letzte, alle?
• Kosten und Finanzierung: Sowohl die genaue Kostenstruktur als auch
die Finanzierung des Projektes sind noch nicht vollständig geklärt.
ELGA ist ein öffentliches Infrastrukturprojekt, daher müssten auch
die damit in Zusammenhang stehenden Kosten von der öffentlichen Hand
getragen werden. In den Jahren 2010 bis 2017 kamen Gesamtkosten von
130 Millionen Euro zusammen, ab 2018 sind laufende Kosten von 18
Millionen Euro jährlich prognostiziert. Dieses Geld beinhaltet die
Kosten der ELGA-GmbH, d.h. Personal, Räumlichkeiten und zentrale
Komponenten, jedoch nicht den Betrieb (Errichtungskosten für
Spitäler, Schulungen, Informationen an Patienten, Anpassung der
Software etc.).

Forderungen der ÖÄK im Hinblick auf ELGA

• Usability: Um den besonderen Anforderungen und Prozessen in den
Krankenanstalten gerecht zu werden, benötigen wir höchstmögliche
Gebrauchstauglichkeit und Anwenderfreundlichkeit. ELGA muss in die
Krankenhaus-Informationssysteme so integriert werden, dass ELGA im
Hintergrund läuft und sämtliche Abläufe durch ELGA keinesfalls
verzögert werden.
• Strukturierte Dokumentenarchitektur bzw. hohe
Interoperabilitätsstufe: (EIS 3 Full Support samt
Freitextmöglichkeit; keine (eingescannten) Pdf-Dokumente). Damit ist
eventuell die Anpassung/Neuaufsetzung der EDV-Systeme/Integration ins
KIS verbunden; die Setzung von Prioritäten, die Aufnahme externer
Befunde; die Achtung auf Datenqualität und Aktualität. Wie eine
Umfrage der ELGA-GmbH zeigte, waren im Sommer 2012 nicht einmal die
Hälfte der Krankenanstaltenträger EDV-mäßig imstande, selbst einfache
CDA-Dokumente zu generieren und zu verarbeiten. Dieses Defizit gehört
aufgelöst.
• Systematische, punktegenaue und vor allem effektive Suchfunktionen
zur Recherche von medizinischen Inhalten in Dokumenten. Möglichkeit
von Suchanfragen über Schlüsselwörter mit einer nach Relevanz
geordneten Trefferliste (z.B. spezielle Suchfunktionen nach Diagnose,
Medikamenten, Laborwerten und einzelnen Parametern, sowie
Vorkehrungen für das Filtern von Suchergebnissen und die Darstellung
der Resultate mit Gewichtung nach Relevanz). „Mehr“ an Informationen
soll „Mehr“ an Qualität bringen. Genaue Anforderungen zu diesem Thema
wurden in einer Arbeitsgruppe „ELGA Suchfunktion“ unter Beteiligung
der ÖÄK erarbeitet. Dabei wurden von der Ärztekammer Forderungen
aufgestellt, die auch von der ELGA-GmbH als sinnvoll akzeptiert
wurden. Zur Umsetzung muss die ELGA Architektur geändert werden.
• Datensicherheit/Datenschutz und Aufbau einer entsprechenden
Informations- und Ablaufstruktur - verbunden mit klaren
Verantwortlichkeiten
(Vertraulichkeit/Verfügbarkeit/Zugriffs¬berechtigung): Im Krankenhaus
wird der Zugriff vieler Personen auf die ELGA-Daten (höchst sensible,
persönliche gesundheitsbezogene Daten) notwendig sein. Der
Patient/die Patientin soll wissen, wer auf seine/ihre Akte
zugegriffen hat. Patientenrecht „Opt-Out“: Wie kann der Patient seine
ELGA-Rechte im Krankenhaus ausüben?
• Klärung der Nutzungsbedingungen: Strukturierung der Arbeitsabläufe
und Herstellung der entsprechenden IT-Sicherheit, insbesondere bei
Nutzung eines PCs durch mehrere Ärztinnen und Ärzte. Zudem müssen
benutzerfreundliche Arbeitsumgebungen für Spitalsärztinnen und
Spitalsärzte geschaffen werden. Klärung schon vorab, wer im Spital
wann Einsicht in ELGA hat. Sicherstellung, vor allem bei
verpflichtender Verwendung dass ausschließlich jene Einsicht
nehmen, die die notwendige Information benötigen.
• Datenvollständigkeit und Aktualität. Damit hängt auch die Frage
zusammen, wer für nicht aktuelle, nicht vollständige, nicht
verfügbare und falsche Daten haftet.
• Aufrechterhaltung der vollständigen Dokumentation in der
Krankenanstalt bei gleichzeitiger Möglichkeit der Ausblendung des
Entlassungsbriefs beziehungsweise bestimmter Teile des
Entlassungsbriefs.
• Einsatz von DokumentationsassistentInnen: Damit Ärztinnen und
Ärzte, die in Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin oder Facharzt
stehen, nicht vermehrt für ELGA- und Verwaltungstätigkeiten
herangezogen werden, sondern sich einer qualitätsgesicherten
Ausbildung unterziehen können.
(bs)

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | NAE

Bei Facebook teilen.
Bei X teilen.
Bei LinkedIn teilen.
Bei Xing teilen.
Bei Bluesky teilen

Stichworte

Channel