- 28.02.2017, 10:20:16
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Seltene Erkrankungen in Österreich: bessere Versorgung durch stärkere Vernetzung
Expertisezentren sind Voraussetzung für frühe und adäquate Behandlung von Patienten. Der Anerkennungsprozess solcher Zentren verzögert sich jedoch aufgrund von Ressourcenmangel.
Utl.: Expertisezentren sind Voraussetzung für frühe und adäquate
Behandlung von Patienten. Der Anerkennungsprozess solcher
Zentren verzögert sich jedoch aufgrund von Ressourcenmangel. =
Wien (OTS) - In Österreich wurde bislang ein Expertisezentrum für
seltene Erkrankungen designiert, die Ernennung eines Weiteren erfolgt
in Kürze. Mehr als 400.000 Personen sind hierzulande von einer
seltenen Erkrankung (SE) betroffen. Insbesondere Patientinnen und
Patienten, Selbsthilfegruppen und, was die Entwicklung innovativer
Therapien betrifft, auch die pharmazeutische Industrie fordern, dass
rasch eine größere Anzahl an Expertisezentren in Österreich
designiert und auf EU-Ebene in Europäische Referenznetzwerke (sog.
ERN) integriert wird. Davon erhoffen sie sich eine stärkere
Vernetzung von Ärzten, Behandlungszentren, Forschungseinrichtungen
und Behörden. Die Anbindung an europäische Expertisezentren mittels
ERN soll den länderübergreifenden Austausch, die Vernetzung und die
Bündelung von Expertise fördern, was insbesondere bei Krankheiten,
die nur ein paar Personen betreffen, hochrelevant ist.
„Je mehr Information, je stärker die Vernetzung, umso besser die
Versorgung“, bringt es Pro Rare Obmann Dr. Rainer Riedl auf den
Punkt. Er kämpft seit Jahren für die Anliegen der Patienten mit SE.
Was fast alle Betroffene trotz großer Unterschiede zwischen den
vielen seltenen Erkrankungen vereint, ist der lange Weg zur Diagnose:
„Durchschnittlich vier bis sieben Jahre dauert es, bis SE-Patienten
richtig diagnostiziert werden. Das ist ein immens langer Leidensweg,
der sich gewaltig auf die Lebensqualität auswirkt. Immerhin sprechen
wir von mehr als 400.000 Personen in Österreich, die von einer
seltenen Erkrankung betroffen sind. Damit sie in Zukunft besser
versorgt sind, braucht es die verstärkte Nutzung von Expertise und
Vernetzung“, so Riedl.
Mag. Dominique Sturz ist Mutter einer Tochter mit Usher Syndrom -
einer seltenen, erblich bedingten Erkrankung, die kombinierte
Hörsehbeeinträchtigung unterschiedlichsten Ausmaßes zur Folge hat.
Weiters ist sie Initiatorin der Usher Initiative Österreich und stv.
Vorsitzende des Forums für Usher Syndrom, Hörsehbeeinträchtigung und
Taubblindheit. Über ihren jahrelangen Einsatz für eine adäquate
medizinische Versorgung ihrer Tochter sagt sie: „Mangels
entsprechender Kompetenzen in Österreich nahmen wir als Familie nach
der Diagnose Kontakt zu internationalen Patientenvertretungen und
Fachkreisen in Europa und den USA auf, eigneten uns die nötigen
Fachkenntnisse an und bemühten uns um die Vernetzung und Kooperation
mit Medizin und Forschung auf österreichischer und internationaler
Ebene.“ Dank ihres Engagements gibt es mittlerweile eine verstärkte
interdisziplinäre Zusammenarbeit. Letztlich aber sollte das nicht
Ergebnis der Arbeit einzelner Patienten oder ihrer Angehörigen sein,
sondern es liegt vielmehr im Verantwortungsbereich der Politik, die
Versorgungsstruktur derartig weitreichend zu verbessern.
Der NAP.se, der Nationale Aktionsplan für seltene Erkrankungen, sieht
als zentrale Maßnahme ein Bündeln, Vernetzen und Sichtbarmachen der
in Österreich bestehenden Expertise zu seltenen Erkrankungen vor.
Dies soll durch die Designation (Ernennung) von spezialisierten
Einrichtungen für definierte Gruppen von seltenen Erkrankungen, sowie
deren Vernetzung mit Zentren in anderen europäischen Ländern
geschehen. Die Nationale Koordinationsstelle für seltene Erkrankungen
(NKSE) ist, in enger Kooperation mit Orphanet Austria, im Auftrag des
Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen mit dem
Designationsprozess entsprechender Einrichtungen betraut. Die
Entscheidungen trifft letztlich die Bundeszielsteuerungskommission,
bestehend aus Vertretern von Bund, Ländern und Sozialversicherung, um
durch die untereinander abgestimmte Beschlussfassung qualitätsvolle
und nachhaltige Strukturen sicherzustellen.
Dr. Ursula Unterberger, der als Mitarbeiterin der NKSE bei der
Designation eine maßgebliche Rolle zukommt, sagt dazu: „Es gibt ein
großes Interesse vieler heimischen Einrichtungen, etwa Universitäten
oder anderen Behandlungszentren, als Expertisezentrum für seltene
Erkrankungen designiert zu werden, um als Vollmitglied in einem ERN
mitwirken zu können.“ Dass der Prozess zur Ernennung von
Expertisezentren vielen Akteuren nicht schnell genug geht, kann
Unterberger gut nachvollziehen, ebenso, dass diese sich eine
Perspektive wünschen. Genau aus diesem Grund fließe derzeit auch der
Hauptteil der Arbeit der NKSE in die Designation weiterer geeigneter
Zentren.
Auch Dr. Wolfgang Schnitzel, Vorsitzender im Arbeitskreis Rare
Diseases der Pharmig, setzt sich für einen rascheren
Designationsprozess ein: „Ohne Zentren mit der entsprechenden
Expertise können in Österreich keine klinischen Prüfungen für seltene
Erkrankungen durchgeführt werden, um neue Medikamente zu entwickeln.“
Um die Forschungstätigkeit in Österreich zu stärken und heimischen
Patienten so früh wie möglich innovative Therapien angedeihen zu
lassen, wäre es daher notwendig, das im NAP.se festgeschriebene Ziel
rascher umzusetzen. Dazu Schnitzel: „Das BMGF hat im Beirat für
seltene Erkrankungen, einer dem Ministerium zugeordneten
Expertengruppe, erkennen lassen, dass es einen rascheren Prozess
grundsätzlich begrüßen würde, diesen aber nicht alleine tragen kann.
Daher braucht es letztlich ein noch stärkeres, gemeinsames
politisches Bekenntnis aller verantwortlichen Akteure auf
Bundesebene. Einzelkämpfer wie die Familie Sturz oder engagierte
Vertreter von medizinischen Einrichtungen scheitern an unklaren
Finanzierungs- und Verantwortungsstrukturen. Das ist ein
Systemproblem, das bei seltenen Erkrankungen besonders deutlich
wird.“ Wenn sich hier nichts verändere, bleibe, so Schnitzel, der
nationale Aktionsplan zum Teil lediglich Makulatur. „Das wäre schade,
denn dieser Plan verfolgt die richtigen Ziele. Wenn es aber an den
Strukturen und mangelnden Ressourcen scheitert, damit Patienten eine
entsprechende Versorgung bekommen, dann ist das kein positives Signal
aus unserem oft als äußerst qualitätsvoll bezeichneten heimischen
Gesundheitssystem“, erklärt Schnitzel.
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