- 19.01.2017, 20:54:12
- /
- OTS0188
TIROLER TAGESZEITUNG: Leitartikel vom 20. Jänner 2017 von Ivona Jelcic - Kritische Nachfrage: unerwünscht
Innsbruck (OTS) - Ein Ex-Stiftungsrat interveniert wegen eines
unliebsamen ORF-Beitrags. Auch das sagt einiges über ein Medien-
verständnis aus, das mehr dem politischen Machterhalt als dem
demokratischen Grundverständnis geschuldet ist.
Wir dürfen uns das Thema getrost schon in den Kalender des Jahres
2022 eintragen: Dann kommt die nächste ORF-Generaldirektorenwahl und
damit so sicher wie das Amen im Gebet auch die nächste Debatte über
politische Einflussnahme auf den öffentlich-rechtlichen Medienapparat
des Landes. Es gab sie auch im ORF-Wahljahr 2016. Im Grunde aber wird
eine Entpolitisierung des ORF so lange niemals ernsthaft verfolgt
werden, solange der Glaube fest zementiert ist, dass sich der ORF als
politische Arena eignet. Der Beschickung des Stiftungsrates mit in
„Freundeskreisen“ organisierten Parteigängern kommt dabei zentrale
Bedeutung zu, gerade auch aus Sicht der Länder. Andreas Braun, der
von 2001 bis 2010 als Vertreter Tirols im obersten ORF-Gremium saß,
hatte stets auf seine Unabhängigkeit gepocht. Jetzt stieß er sich an
der Berichterstattung des ORF Tirol über die diese Woche vorgestellte
Landes-Gesellschaft für integriertes Standortmanagement (Stichwort:
Lebensraum 4.0) und forderte vom Landesintendanten per SMS „Ahndung“
der „journalistischen Fehlleistung“ und vom ORF insgesamt, dass er
„fundamentale politische Weichenstellungen sachlich gebührend
begleitet und unterstützt“. Pikant daran: Braun selbst soll als
stellvertretender Vorsitzender im Aufsichtsrat besagter
Landes-Gesellschaft sitzen.
Brauns „Privatmeinung“ also? Oder Teil eines österreichischen
Sittenbilds? Das Medienverständnis der heimischen Politik ist
mitunter weniger dem demokratischen Grundverständnis als vielmehr dem
Willen des Machterhalts geschuldet. Man nehme etwa das Naheverhältnis
von Ex-Kanzler Werner Faymann (SPÖ) zum Boulevard oder die jüngsten
Attacken der niederösterreichischen ÖVP gegen den Falter nach dessen
Bericht über die Privatstiftung von LH Erwin Pröll. Der Wunsch nach
willfähriger Berichterstattung ist weit verbreitet. Und er ist
keineswegs nur an den ORF gerichtet. Medien werden als Vehikel
angesehen, um politische Botschaften zu verbreiten. Kritische
Nachfrage: unerwünscht.
Je weiter es auf Landes- und Gemeindeebene hinuntergeht, desto enger
werden naturgemäß die Strukturen, in denen sich politischer Wunsch
und Wille an der demokratiepolitischen Funktion eines unabhängigen
Journalismus reiben. Keine Frage: Das betrifft auch uns. Genauso wie
die Tatsache, dass die Glaubwürdigkeit der Medien (Stichwort:
„Lügenpresse“) kaum weniger in Gefahr ist als jene der Politik. Umso
mehr kann die Verteidigung der Unabhängigkeit nichts anderes als
täglich neue Herausforderung sein.
OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | PTT