- 05.12.2016, 09:19:21
- /
- OTS0022
Geophagie: „Erde essen“ als suchtartiges Verhalten
Entgiftende Wirkung von lehmhaltiger Erde als möglicher Hintergrund
Utl.: Entgiftende Wirkung von lehmhaltiger Erde als möglicher
Hintergrund =
Wien (OTS) - 30 bis 80 Prozent der Menschen in Afrika, insbesondere
Frauen, essen regelmäßig lehmhaltige Erde – das nennt man Geophagie.
Dabei werden täglich immerhin zwischen 100 und 400 Gramm konsumiert.
„Vor allem schwangere und stillende Frauen haben praktisch immer Erde
dabei. Man kann das am Markt günstig erwerben“, sagt Ruth Kutalek vom
Zentrum für Public Health der MedUni Wien (Institut für
Sozialmedizin). Die Ursache dieses Verhaltens, das es früher auch
weit verbreitet in Europa und Asien gab, ist noch ungeklärt und
weitgehend unerforscht. Jetzt konnte eine Studie an der MedUni Wien
zeigen, dass es sich dabei um ein suchtartiges Verhalten handelt.
Das ist das zentrale Ergebnis des Papers, das nun im renommierten
„The American Journal of Tropical Medicine and Hygiene“ erschienen
ist, und das aus den Diplomarbeiten der drei Medizin-Studierenden
Lena Hübl, Stephan Leick und Lukas Güttl unter der Leitung von
Kutalek am Zentrum für Public Health entstanden ist. Beschrieben wird
das Erde-Essen darin als „Craving“, als Substanzverlangen. Die
AutorInnen sehen es ähnlich wie Heißhunger auf Schokolade oder als
eine Art „Belohnung“. Kutalek: „Diese Menschen konsumieren Lehmerde
oft als Snack zwischendurch und berichten, dass sie ohne die Substanz
nicht auskommen können.“
Entgiftende Wirkung
Der Hintergrund könnte aber ein anderer sein – und ist zugleich
vielschichtig: In der Erde sind Lehmanteile enthalten, die Giftstoffe
(Toxine) binden, ähnlich wie in Kohletabletten gegen
Durchfallerkrankungen. Diese Lehmanteile können einerseits den
pH-Wert der Magensäure beeinflussen und gegen Sodbrennen wirken –
viele der Frauen in Afrika ernähren sich hauptsächlich von Mais,
Maniok und Bohnen –, andererseits gibt es Hinweise, so Kutalek, dass
die Erde auch gegen Schwangerschaftsübelkeit wirkt. Daher gilt das
Erde-Essen bei vielen afrikanischen Ethnien als „weiblich“ und der
vermehrte Verzehr von Erde steht als Zeichen dafür, dass eine Frau
schwanger ist. Männer greifen aber, so die MedUni Wien-ExpertInnen,
immer häufiger zu Erde, vor allem weil Lehmerde auch als natürliches
Stimulans gilt.
Reduktion des Konsums von Erde ratsam
Aus Public Health-Sicht ist das Erde-Essen allerdings bedenklich –
zumindest in großen Mengen. Denn in der Erde wurden, insbesondere in
Afrika, sehr viele Schwermetalle wie etwa Blei oder Quecksilber
nachgewiesen, was vor allem den ungeborenen Babys, aber auch den
Müttern und anderen Erwachsenen schadet. „Eine Reduktion des Konsums
ist daher unbedingt ratsam“, sagt Kutalek. Die Empfehlung, gänzlich
damit aufzuhören, ist schwierig umzusetzen, weil suchartiges
Verhalten nicht von heute auf morgen zu ändern ist. Weitere
Forschungen zur Ursache des Verlangens nach Erde laufen bereits am
Zentrum für Public Health der MedUni Wien.
Übrigens greifen auch aus Afrika stammende MigrantInnen in Europa,
und auch in Wien, aus Gewohnheit zu Erde. Portioniert gibt es sie in
exotischen Supermärkten zu kaufen. Und selbst in Reformhäusern wird
„Heilerde“ zur inneren Anwendung angeboten. Ein Verzehr dieser Erde
ist allerdings nicht ratsam.
Service: The American Journal of Tropical Medicine and Hygiene
„Geophagy in Northern Uganda: Perspectives from Consumers and
Clinicians.“ Lena Hübl, Stephan Leick, Lukas Güttl, Grace Akello and
Ruth Kutalek. Am.J.Trop.Med.Hyg., 95(6), 2016, pp. 1440-1449.
Doi:10.4269/ajtmh.15-0579.
OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | MEU