• 27.10.2016, 10:14:30
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  • OTS0063

Das Kinder- und Jugendhilfesystem ist ungerecht

Wer hilft den ganz Kleinen und denen an der Schwelle zum Erwachsenenalter?

Die Kinder- und JugendanwältInnen Österreichs bei
ihrer Konferenz in Salzburg.

Utl.: Wer hilft den ganz Kleinen und denen an der Schwelle zum
Erwachsenenalter? =

Salzburg (OTS) - Von 19. bis 20. Oktober 2016 tagte in Salzburg die
58. Konferenz der Kinder- und JugendanwältInnen Österreichs.
Zentrales Thema dabei waren mangelhafte Hilfssysteme für Kinder und
Jugendliche, von den ersten Lebensjahren bis ins junge
Erwachsenenalter.

Feigenblatt "Frühe Hilfen"

Längst ist erwiesen, dass die frühe Kindheit (0 bis 3 Jahre) eine
zentrale Bedeutung für die Entwicklung eines Kindes hat und zu den
prägendsten und gleichzeitig zu den vulnerabelsten Lebensjahren
zählt. In dieser Zeit ist die Gefahr der Überlastung bei Familien
besonders groß. Die dramatischsten Auswirkungen dieser Überforderung
werden immer wieder an Kindesmisshandlungen als Spitze des Eisbergs
sichtbar.

Genau hier setzen „Frühe Hilfen“ an. Sie sollen der Idee nach
möglichst frühzeitig, niederschwellig und nicht stigmatisierend vom
Wochenbett an und unterschiedslos zunächst jeder Mutter/jedem
Elternpaar zur Verfügung stehen. Durch die „Frühen Hilfen“ soll der
Neubeginn etwas leichter gemacht werden und die Gefahr einer
Kindeswohlgefährdung erkannt und durch entsprechende Hilfestellung
reduziert werden. Wirksamkeit und Effektivität, auch in Hinblick auf
teure Folgekosten, sind längst nachgewiesen.
Doch leider sind die „Frühen Hilfen“, wie so vieles in Österreich, in
unterschiedlich aufgestellten und zeitlich begrenzten Projekten
aufgesplittert. Nur Vorarlberg hat „Frühe Hilfen“ seit fast zehn
Jahren (ausgehend von dem tragischen Tod eines Kleinkindes)
konsequent umgesetzt. Trotz best practice-Beispiels und politischer
Bekenntnisse sind wir österreichweit von einem breit aufgestellten
qualifizierten Angebot für alle noch meilenweit entfernt.

Beispiel:
In Salzburg schätzt man, dass sieben Prozent der jungen Familien
Bedarf an weiterführender Hilfe hätten. Das derzeitige Frühe
Hilfen-Projekt kann gerade einmal ein Zehntel davon abdecken.

Aus Sicht der KIJAS sind folgende Punkte entscheidend:

• Verbindliche Kooperation und Vernetzung zwischen Kinder- und
Jugendhilfe, dem Gesundheitssystem und anderen Systempartnern

• Keine Vorsortierung der Familien in gefährdete oder nicht
gefährdete Familien sondern ein präventiver und nicht
stigmatisierender Zugang für alle Eltern

• Gut ausgebildete MitarbeiterInnen nach einheitlichen
Qualitätsstandards

• Rollenklarheit sämtlicher Berufsgruppen (ÄrztInnen, LehrerInnen und
KindergartenpädagogInnen), insbesondere im Zusammenhang mit der
Meldepflicht

• Ausreichende Finanzierung für flächendeckendes Angebot für alle
Regionen

Die KIJAS Österreich appellieren dringend, diese Erfolgsfaktoren auf
alle Bundesländer auszudehnen. Es ist absolut notwendig, ein so
wichtiges Instrument wie die „Frühen Hilfen“, von Beginn an auf gute
Beine zu stellen. Sie tragen maßgeblich zum gesunden Aufwachsen von
Kindern bei. Hier ist der Bund gefragt, verbindliche Standards
vorzugeben. Er kann bei Vorarlberg lernen!

Mit 18 aus dem Nest

Ähnlich uneinheitlich und mangelhaft gestaltet sich das Hilfssystem
am anderen Ende der Kindheit, bei den jungen Erwachsenen. In diesem
Alter werden wichtige Weichen für die Zukunft gelegt, doch der
Übergang zur Verselbständigung (Wohnung, Arbeit, Partnerschaft etc.)
ist mitunter schwer und wird im Fachjargon als Adoleszenzkrise
bezeichnet.

Im Schnitt ziehen junge Menschen hierzulande mit 24 Jahren von zu
Hause aus – und auch dann werden die meisten noch weiter (finanziell)
unterstützt. Anders ist es jedoch ausgerechnet bei den Jugendlichen,
die außerhalb der Familie, also in Wohngemeinschaften oder
Pflegefamilien, aufwachsen. Bei ihnen endet die Hilfe häufig mit der
Volljährigkeit. Mit 18 müssen diese jungen Leute auf den eigenen
Füßen stehen.

Aktuell werden in Österreich nur 15 Prozent der Maßnahmen der „vollen
Erziehung“ der Kinder- und Jugendhilfe nach dem 18. Geburtstag
verlängert (bis maximal 21 Jahre). Dabei schwanken die Zahlen von
Bundesland zu Bundesland und reichen von rund zehn Prozent in
Niederösterreich bis zu fast 30 Prozent in der Steiermark. Die jungen
Erwachsenen, die aus der Fremdunterbringung ausziehen müssen, tragen
ein erhöhtes Risiko, an den Hürden des Erwachsenwerdens zu scheitern.

Die Diskriminierung der sogenannten „Care Leaver“ ist kein
österreichspezifisches Problem, doch in anderen Ländern hat man
bereits reagiert:

• In Norwegen geht die staatliche Unterstützung bis zum Alter von 24
Jahren.

• In D können die Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe bis 26
verlängert werden, bis 21 kann man neu in eine Maßnahme hineinkommen.

• In Großbritannien muss zwei Jahre nach Beendigung der Maßnahme
der/die Jugendliche aktiv kontaktiert werden, um zu sehen, ob
Unterstützungsbedarf besteht.

Auch in Österreich rücken die „Care Leaver“ nun langsam in den Fokus
des Interesses. Sowohl an der Uni Salzburg als auch an der Uni
Klagenfurt laufen Forschungsprojekte zu ihrer Lebensrealität. Der
Dachverband österreichischer Jugendhilfeeinrichtungen (DÖJ) hat in
vier Bundesländern für drei Jahre das Modellprojekt „Welcome to life“
gestartet und setzt sich darüber hinaus für zuverlässiges
Datenmaterial ein, um auf dieser Basis Verbesserungen anzuregen.
Doch für die Jugendlichen ist das mit Sicherheit noch nicht
ausreichend.

Die KIJAS fordern:

• Rechtsanspruch auf Verlängerung und Wiederaufnahme bzw. erstmalige
Aufnahme der Kinder- und Jugendhilfemaßnahme bis mindestens 21 Jahre

• Stabile SozialpartnerInnen für ehemals fremduntergebrachte
Jugendliche - auch nach der Fremdunterbringung

• Bundesweit einheitliches Vorgehen orientiert an den Bedürfnissen
der Jugendlichen, nicht am vorhandenen Budget

• Vergleichbare österreichweite Daten

Das Kindeswohl ist in allen Belangen, die Kinder betreffen, vorrangig
zu berücksichtigen - so heißt es in Art. 3 der
UN-Kinderrechtskonvention, der seit 2011 in Österreich
Verfassungsrang hat.
Es kann nicht sein, dass es in einem kleinen Land wie Österreich
einen Unterschied macht, ob ein Kind in Vorarlberg oder im Burgenland
lebt und welche Art der der Hilfestellung es bekommt. Die KIJAS
Österreich appellieren daher dringend an den Gesetzgeber um
entsprechende kinderrechtliche Anpassung.

Bild(er) zu dieser Aussendung finden Sie im AOM / Originalbild-Service
sowie im OTS-Bildarchiv unter http://bild.ots.at

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