• 25.10.2016, 11:40:20
  • /
  • OTS0083

Alexander Van der Bellen: "Österreichs Erfolgsgeschichte wurde mit der Tinte der Neutralität geschrieben."

Statement von Alexander Van der Bellen anlässlich des Nationalfeiertages im Wortlaut

Utl.: Statement von Alexander Van der Bellen anlässlich des
Nationalfeiertages im Wortlaut =

Wien (OTS) - Heute hat sich Bundespräsidentschaftskandidat Alexander
Van der Bellen im Rahmen einer Pressekonferenz an die
Österreicherinnen und Österreicher gewandt. Hier sein Statement im
Wortlaut:

"Liebe Österreicherinnen und Österreicher!

Sie können sich wahrscheinlich denken,
warum wir Sie heute eingeladen haben:
Es geht um den morgigen Nationalfeiertag.

Zugegeben, ich hätte gerne als gewählter Bundespräsident der Republik
Österreich eine Rede zum großen Feiertag Österreichs gehalten.

Ich werde das in dieser Form nun nicht tun, da es mir gerade in einer
laufenden Wahlauseinandersetzung anmaßend erscheint.
Mir ist aber wichtig, meine Gedanken zum Feiertag der Republik
Österreich mit Ihnen zu teilen.

Konzentrieren wir uns auf das, was wirklich wichtig ist.
Konzentrieren wir uns auf Österreich.

Ja, wir haben schwierige Zeiten.
Ja, vieles verändert sich dieser Tage in unserem Heimatland in einer
geradezu atemberaubenden Geschwindigkeit.
Ja, die wirtschaftliche Lage ist angespannt,
gesellschaftliche Veränderungen machen uns zu schaffen - nicht
zuletzt durch die Flüchtlingssituation.
Ja, viele Österreicherinnen und Österreicher fühlen sich durch Themen
wie Digitalisierung und den rasanten technischen Fortschritt -
wie etwa Industrie 4.0 - unter Druck.

Außenpolitisch ist es offenkundig, dass wir schon einmal in ruhigeren
Zeiten gelebt haben. Mit Sorge erfüllen uns die grausamen
Bombardements von Aleppo.
Und auch in Europa läuft nicht alles nach Plan.
Die tragische Entscheidung der Briten, die Europäische Union zu
verlassen. Stichwort Brexit.

Es ist aber auch wichtig,
dass wir uns auf unsere Stärken besinnen.
Auf das, worauf wir in unserem Land stolz sein können.
Gerade am Nationalfeiertag.

Meine lieben Österreicherinnen und Österreicher!

Vor 61 Jahren wurde der Staatsvertrag unterzeichnet.
Daraufhin haben die alliierten Soldaten Österreich verlassen.
Und am 26. Oktober 1955 hat der Nationalrat die immerwährende
Neutralität Österreichs beschlossen.

Seitdem ist die Neutralität Österreichs ein Eckpfeiler unseres
Selbstverständnisses.

In den letzten sechzig Jahren war das ein Erfolgsprinzip:
Unser unparteiischer Standpunkt half uns dabei,
in vielen Konflikten zu vermitteln,
Gegensätze auszugleichen,
das Gemeinsame über das Trennende zu stellen.
So hat Österreich zu Wohlstand, Wachstum und Frieden in der Welt
beigetragen.

Gerade in den Zeiten des Kalten Krieges ermöglichte uns unsere
Neutralität, zwischen Konfliktparteien zu vermitteln.
Ihnen dabei zu helfen, aufeinander zuzugehen.
Auch wenn sie noch so unerbittlich stritten.

Denn es gab einen Ort,
wo dieser Streit zivilisiert ausgetragen werden konnte.
Denn das ist das Wesen der Neutralität: noch so unterschiedlichen
Standpunkten grundsätzlich mit Respekt zu begegnen. Dieser Respekt
ist heute zum Teil verloren gegangen.

Wir erleben eine neue Polarisierung und mit ihr einhergehend eine
neue, tiefe Verunsicherung unserer Gesellschaften.

Quer über den Kontinent erheben sich populistische, demagogische
Stimmen, die den lange für unantastbar gehaltenen gemeinsamen Boden
der Humanität und sogar der Menschenrechte in Frage stellen.

Stimmen, die das Trennende über das Gemeinsame stellen.
Die nicht nur eine Spaltung zwischen den Staaten Europas,
sondern auch eine Spaltung innerhalb unserer europäischen
Gesellschaften billigend in Kauf nehmen. Das erfüllt mich wirklich
mit Sorge.

Die Europäische Union und mit ihr das Friedensprojekt selbst
werden aktiv bekämpft.
Internationale Abkommen werden radikal in Frage gestellt,
demokratische Institutionen,
ja die Demokratie selbst, werden lächerlich gemacht und in Zweifel
gezogen.

Dies vor einem Hintergrund,
der gerade jetzt die Kraft der Gemeinsamkeit erfordert:
Menschen sind auf der Flucht vor Krieg und Bombenhagel,
Terror und Extremismus erschüttern unsere Lebensordnung,
die Klimaerhitzung bedroht die Zukunft unseres Planeten.

Und blicken wir auf Österreichs Gesellschaft,
so müssen wir auch hier eine alarmierende Unversöhnlichkeit
feststellen.

Menschen, die mit ihren radikalen Meinungen auf Widerspruch stoßen,
ziehen sich wütend in die Echokammern ihrer sozialen Medien zurück.

Dort treffen sie nur mehr auf Menschen der gleichen Meinung und
bestärken einander in ihrem Hass auf alle anderen.
Und sind vor allem: unversöhnlich.

Aber Unversöhnlichkeit,
egal auf welcher Seite,
führt ins Verderben.

Wir müssen wieder lernen, aufeinander zuzugehen und einander
zuzuhören.
Wir müssen auch in unserem Land das leben,
was uns das Erfolgsprinzip Neutralität über Jahrzehnte gelehrt hat:

unterschiedlichen Standpunkten mit Respekt zu begegnen.
Das Gemeinsame über das Trennende zu stellen.
Denn auch wenn es im Moment so erscheint, dass Österreich aus zwei
Hälften bestünde:
Die eine Hälfte ist gleich wichtig wie die andere.
Und nur gemeinsam sind wir Österreich.

Wenn wir zerstritten sind,
sehen wir nur die Probleme.
Wenn wir uns zusammentun,
können wir auch die Lösungen sehen.
Das kann uns die Neutralität lehren!

Auch der Bundespräsident Österreichs muss neutral sein.

Er darf keiner Partei,
keinem Parteichef,
keiner Seil- oder Burschenschaft verpflichtet sein.

Er muss Österreich dienen,
unser Land nach Innen verbinden und nach außen gut und ehrenhaft
vertreten.

Er muss Wirtschaftskontakte aufbauen und pflegen können.
Das ist seit über sechzig Jahren unsere gute Tradition.

Die österreichische Nation,
unser Land ist eine ganz reale Erfolgsgeschichte.
Diese Erfolgsgeschichte wurde nicht zuletzt mit der Tinte der
Neutralität geschrieben.

Mein Appell an die Österreicherinnen und Österreicher vor diesem
großen Feiertag:

Lassen Sie uns diese Geschichte gemeinsam weiterschreiben.
Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen,
dass unsere Kinder in einer besseren,
friedlicheren,
schöneren Zukunft leben können.

Wie heißt es in der Bundeshymne?

Mutig in die neuen Zeiten.

Meine lieben Österreicherinnen und Österreicher:
Alles Gute zum Nationalfeiertag!"

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | VDB

Bei Facebook teilen.
Bei X teilen.
Bei LinkedIn teilen.
Bei Xing teilen.
Bei Bluesky teilen

Stichworte

Channel