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Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 30. Mai 2016. Von MICHAEL SPRENGER. "System, Elite, Establishment".

Innsbruck (OTS) - Der Erfolg der FPÖ ist auch ein Erfolg ihrer
„einfachen Sprache“. Jahrelang konnte sie ihre Macht ausbauen,
weil ihr leidenschaftslose Regierende mit einer „technokratischen
Sprache“ nichts entgegensetzen konnten.

Herbert Kickl ist ein Meister seines Fachs. Er versteht sein Handwerk
der politischen Agitation. Und er hat mit Norbert Hofer und
Heinz-Christian Strache treue Gesellen, die seine Vorgaben umsetzen.
Der zurückliegende Bundespräsidentenwahlkampf bietet hierfür
Anschauungsmaterial. Die FPÖ verstand es, mit ihrer Sprache bei einer
breiten Wählerschaft Bilder im Kopf entstehen zu lassen, die sich in
Wählerstimmen verwandelt haben.
Es stimmt: Die FPÖ-Parteigänger tragen bei feierlichen Anlässen die
Kornblume im Revers. Einst Symbol der antisemitischen und
deutschnationalen Bewegung des 19. Jahrhunderts. Dort, im
1848er-Jahr, sehen die Freiheitlichen ihre Tradition begründet, sie
sehen sich selbst als Drittes Lager. Also müsste man doch meinen, die
FPÖ, die erst vor wenigen Wochen ihren 60. Gründungsparteitag
gefeiert hatte, zählt zur politischen Elite der Republik. Doch Kickl
hat es schon lange verstanden, das Establishment woanders zu
verorten. Obwohl zahlreiche FPÖler wichtige Funktionen in der
Republik ausüben, rückt er die FPÖ außerhalb des Establishments,
stellt sie abseits der Elite, des Systems, wie er es abschätzig
nennt. Kickl lässt damit einen kleinen Film im Kopf der
Angesprochenen ablaufen: Da oben sind Leute (er sagt nicht Menschen)
am Werk, die uns nicht mehr verstehen. Sie sind abgehoben, wir zahlen
drauf. Sie öffnen die Grenzen für Ausländer, und wenn wir etwas
sagen, nennen sie uns rechtsradikal.
SPÖ und ÖVP haben jahrelang darauf nicht reagiert, und wenn, dann in
einer verschwurbelten technokratischen Sprache, die Ausdruck darüber
gibt, dass in diesen beiden Parteien längst Leidenschaft und Inhalt
abhandengekommen sind. Dass sich dazu die Grünen, eine im Vergleich
jugendliche Partei, von der FPÖ ebenfalls zur Elite, zum System, zum
Establishment zurechnen ließen, zeigt ihre Schwäche im politischen
Diskurs auf.
Trotz Wahlniederlage reibt sich Kickl mitunter die Hände, weil
Politiker die Bundespräsidentenwahl als Abrechnung mit dem
Establishment interpretieren und Journalisten unreflektiert die
Begrifflichkeit der FPÖ übernehmen.
Dass es nicht nur eine verschwommene Sehnsucht nach autoritärer
Abschottung gibt, sondern eine republikanische, zeigt der
Stimmungswandel der vergangenen zwei Wochen auf. Ausschlaggebend
hierfür war auch eine Sprache – und zwar die des neuen Kanzlers, die
man hierzulande so lange nicht mehr gehört hatte.

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