- 15.04.2016, 10:31:46
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Kritische Stimmen zu CETA, TTIP & Co bei Diskussion und Studienpräsentation
Wird mit Freihandels- und Investitionsabkommen die öffentliche Daseinsvorsorge zur Handelsware?
Utl.: Wird mit Freihandels- und Investitionsabkommen die öffentliche
Daseinsvorsorge zur Handelsware? =
Wien (OTS) - Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada,
CETA, soll heuer dem Handelsministerrat der EU und dem Europäischen
Parlament zur Entscheidung vorgelegt werden. In vorläufiger Anwendung
- ohne Zustimmung des österreichischen Parlaments - könnte es
allerdings schon bald kommen. Am 14. April standen die Risiken zur
Diskussion. ExpertInnen wie Maude Barlow (Council of Canadians,
Trägerin des alternativen Nobelpreises) oder Verena Mader
(Wirtschaftsuniversität Wien) sprachen im Wiener Rathaus mit
VertreterInnen aus Politik, Verwaltung und einem sehr interessierten
Publikum. Eine Studie über Auswirkungen auf die Daseinsvorsorge
informiert über umfassende und tiefgreifende Rechtsfolgen. CETA gilt
als Blaupause für TTIP.
Studie über Aspekte zur Daseinsvorsorge
Um das 1.600 Seiten starke CETA-Abkommen systematisch auf Risiken für
die Daseinsvorsorge zu untersuchen, erstellte Verena Madner,
Professorin für Öffentliches Recht und Public Governance an der WU,
eine Studie. Die Studie zeigt auf, dass in Bereichen wie etwa im
gemeinnützigen Wohnbau oder bei der Abwasserentsorgung Lücken beim
Schutz vor Liberalisierungsverpflichtungen bestehen. Zudem können
ausländische Investoren durch CETA auf umfassende Sonderklagsrechte
gegenüber der öffentlichen Hand zugreifen.
Die Studie belegt deutlich, dass die Daseinsvorsorge erheblichen
rechtlichen Risiken ausgesetzt wird, insbesondere durch
Investitionsschutzbestimmungen. Durch die
Investitionsschutzbestimmungen erhalten ausländische Investoren
Sonderklagerechte. Staaten können verklagt werden, wenn diese
Regulierungen für Umwelt, Wasser oder Gesundheit erlassen, welche die
Gewinnerwartungen von Investoren verletzen. Insgesamt zeigt die
Studie, dass CETA der Gestaltungsspielraum von Regierungen und
Kommunen einschränkt wird und einen permanenten Liberalisierungsdruck
erzeugt.
Schlechte Erfahrungen in Kanada
Maude Barlow kämpft an der Spitze von Kanadas größter
Bürgerrechtsbewegung „Council of Canadians“ gegen Umweltzerstörung,
Trinkwasserprivatisierung und Investorenklagen. Kanada sah sich im
Rahmen des NAFTA-Abkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko bereits
mehrfach mit Klagen ausländischer Investoren konfrontiert. Bekannt
ist das Beispiel der millionenhohen Klage der US-Niederlassung eines
kanadischen Rohstoffkonzerns gegen das Fracking-Moratorium der
Provinz Québec. Aus diesen Erfahrungen heraus warnte die alternative
Nobelpreisträgerin Barlow die Europäer davor nicht die gleichen
Fehler zu machen.
Gemeinwohl hat Vorrang
„Auch die Wirtschaft braucht verlässliche und leistbare Infrastruktur
in allen Bereichen. Öffentliche Daseinsvorsorge und demokratische
Willensbildung haben daher Vorrang vor rein kommerziellen Interessen
ausländischer Konzerne und Investorensonderrechte“, stellt Renate
Brauner, Wiener Wirtschaftsstadträtin und Präsidentin des Verbandes
der öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft Österreichs (VÖWG)
klar. Der VÖWG setzt sich dafür ein, dass die regulatorische
Gestaltungsfreiheit der Kommunen zur flächendeckenden und
bedarfsnahen Grundversorgung der Bürgerinnen und Bürger gewahrt
bleibt. Für Martin Margulies, Dritter Landtagspräsident in Wien, sind
„CETA und TTIP eine große Gefahr für Umweltstandards,
ArbeitnehmerInnenrechte und Demokratie, die die angebliche Vorteile
bei weitem überwiegen.“
Risiken für Kommunen
Der Generalsekretär des Österreichischen Städtebundes, Thomas
Weninger, erwartet negative Folgen vor allem für die öffentliche
Auftragsvergabe, die Energieversorgung und den Umweltschutz. Außerdem
befürchtet er, dass die Freihandelsabkommen den sozialen Wohnbau in
den Städten einschränken könnten. „Die Freihandelsabkommen CETA und
TTIP hätten weitreichende Auswirkungen auf die kommunale
Selbstbestimmung und erheblichen Einfluss auf die Handlungsfreiheit
der Kommunen“, kritisiert Weninger.
Kluft zwischen EU-Handelspolitik und Anliegen der BürgerInnen
AK Präsident Rudi Kaske verwies in seiner Rede darauf, dass sich in
den letzten Tagen und Wochen deutlich gezeigt hat, wie sehr sich die
Kluft zwischen der Abgehobenheit der offiziellen EU-Handelspolitik
und den Anliegen der Bürgerinnen und Bürger vertieft hat. Es sei
mittlerweile offenkundig, dass in der österreichischen Bevölkerung
ernsthafte Vorbehalte gegenüber den Freihandelsabkommen bestehen.
„Ich möchte die Politik daran erinnern, dass sich über 70 Prozent der
Bevölkerung ausdrücklich gegen das Freihandelsabkommen TTIP
ausgesprochen haben, und CETA ist nichts anderes als TTIP durch die
Hintertür.“ Eine klare Absage kam vom AK Präsidenten auch für die
Sonderklagerechte für multinationale Konzerne. Außerdem, so Kaske,
„müssen öffentliche Dienstleistungen lückenlos ausgenommen werden.
Die Daseinsvorsorge gehört in die öffentliche Hand und hat in CETA,
TTIP & Co nichts zu suchen.“
ArbeitnehmerInnenrechte absichern
Durch die Bestimmungen von CETA geraten Regelungen zum
ArbeitnehmerInnen-, Umwelt- und Konsumentenschutz unter Druck. Ein
Abbau dieser Regelungen und Schutzbestimmungen hat massive
Auswirkungen auf die allgemeinen Arbeitsbedingungen und soziale
Sicherungssysteme. Der Druck auf Löhne und Gehälter wird erhöht. Für
Thomas Kattnig, Mitglied des Bundespräsidiums von younion _ Die
Daseinsgewerkschaft, sind Ratifikation, Umsetzung und Anwendung der
ILO-Kernarbeitsnormen die Voraussetzung für die Inkraftsetzung des
Abkommens. Die ILO ist als Internationale Arbeitsorganisation eine
Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Kattnig: “Das
Nachhaltigkeitskapitel muss, wie alle anderen Kapitel des Abkommens
auch, unter das allgemeine Streitbeilegungsverfahren fallen. Verstöße
gegen diese internationalen Mindestrechte sind zu sanktionieren.”
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