
Graz (OTS) - In der aktuellen Diskussion um das Thema „Deutschpflicht
in der Pause“ kommt der Kinder- und Jugendanwältin Denise
Schiffrer-Barac ein zentraler Aspekt deutlich zu kurz: Die Frage nach
der Meinung der Kinder.
„Es passiert leider viel zu oft, dass Kinder und Jugendliche nicht
als Expertinnen und Experten für ihr Lebensumfeld anerkannt werden
und für sie, statt mit ihnen gemeinsam, geplant, geregelt und
gestaltet wird“, bedauert die Kinder- und Jugendanwältin. Wesentlich
für eine gelungene Pausengestaltung ist, das Miteinander in der
Schule gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern gemäß dem Recht
auf Partizipation und Meinungsäußerung (Artikel12 UN-KRK) zu
definieren und zu regeln. Die Achtung der Meinung der Kinder und
Jugendlichen ist ein Grundprinzip der UN-Kinderrechtskonvention. Auch
im Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern ist das Recht
auf angemessene Beteiligung und Berücksichtigung der Meinung des
Kindes (BVG über die Rechte von Kindern, Artikel 4) festgeschrieben.
Schiffer-Barac ist überzeugt davon, dass „eine Einigung, die im
gemeinsamen Prozess mit Kindern und Jugendlichen erzielt wird,
jedenfalls aufgrund des breiteren Konsenses unter Berücksichtigung
verschiedenster Sichtweisen nachhaltiger ist.“ Kinder und Jugendliche
fühlen sich für die von ihnen gefundenen Entscheidungen
verantwortlich. Zudem werden sie in ihrer demokratischen
Handlungskompetenz gestärkt und erfahren Demokratie als wertvolles
und schützenswertes Gut. „Und ganz nebenbei wird auch noch ein
respektvoller Umgang miteinander gefördert und das Machtverhältnis
zwischen Einzelnen ausbalanciert“, unterstreicht die Kinder- und
Jugendanwältin.
Der rechtliche Aspekt:
Im Oktober des Vorjahres verwies das Bildungsministerium in einer
Stellungnahme darauf, "dass das Festlegen von Deutsch als einziger
außerhalb des Unterrichts in der Schule zulässiger Sprache bzw. das
Verbot einer bestimmten bzw. mehrerer Sprachen im Rahmen von
Hausordnungen oder Verhaltensvereinbarungen jedenfalls im Widerspruch
zur Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK
(Europäische Menschenrechtskonvention, Anm.) und zu Art. 1 BVG
(Bundesverfassungsgesetz, Anm.) über die Rechte des Kindes steht und
daher unzulässig ist". Somit ist eine Verordnung der Deutschpflicht
in Schulen rechtlich nicht gedeckt. Nun sollen Empfehlungen zur
Schulsprache Deutsch ausgesprochen werden. Die Kinder- und
Jugendanwaltschaft Steiermark sähe in der Einführung der
Deutschpflicht in den Pausen oder entsprechenden Empfehlungen einige
Artikel der UN-Kinderrechtskonvention verletzt – Artikel 2, Artikel
3, Artikel 15, Artikel 16 und weitere.
Zu den Initiativen von Schulen:
In den letzten Jahren gab es immer wieder vereinzelt Initiativen und
Forderungen, Deutsch als Sprache in der Schule konkret im Pausenhof
zu empfehlen – mit unterschiedlichen Zielen: Reduktion des
Konfliktpotenzials, Integration durch Sprache, schnellstmögliches
Erlernen der deutschen Sprache und andere. Die Initiativen wurden von
Schulen selbst initiiert und basierten mehr oder minder auf
Freiwilligkeit. So konnten zum Beispiel an der Berliner
Herbert-Hoover-Realschule, wo 90 Prozent der Schülerinnen und Schüler
nicht Deutsch als Muttersprache haben, nach der Einführung der
„Deutschpflicht“, die von Lehrer/innen, Schüler/innen und Eltern
gemeinsam vereinbart wurden, tatsächlich auch positive Folgen
verzeichnet werden. Es gab weniger Konflikte, bessere Noten in
Mathematik, höhere Identifikation mit der Schule und sogar ein
Anmeldeplus. Diese positiven Auswirkungen sind aber nicht
ausschließlich der „Deutschpflicht“ zuzuschreiben, sondern sind auch
Resultat anderer Angebote an der Schule wie beispielsweise die
Projektgruppe „Darstellendes Spielen“, eine zusätzliche Deutschstunde
pro Woche oder korrektes Deutsch im Unterricht. Die Direktorin der
Schule erhielt für ihren Einsatz den deutschen Nationalpreis.
Deutsch als gemeinsame Sprache von Schülerinnen und Schülern aus
verschiedensten Sprachkulturen kann neben Integration und
Identifikation mit einer Gruppe noch Weiteres bewirken: Sie bringt
Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichsten Muttersprachen
zusammen, ermöglicht ihnen Verständigung und ein Miteinander statt
Missverständnisse und Konflikte aufgrund von Sprachdifferenzen.
Außerdem ist für manche Schülerinnen und Schüler in der Pause Deutsch
zu sprechen die einzige Möglichkeit, sich mit Gleichaltrigen in
dieser Sprache zu unterhalten und ihre Sprachkompetenz, die sie
unweigerlich im weiteren Leben brauchen, zu erhöhen.
„Trotz aller Vorteile, die Deutsch als gemeinsame Sprache bringen
mag, gibt es auch viele Gefahrenquellen, die nicht unberücksichtigt
bleiben dürfen. Mit der Verpflichtung auf die deutsche Sprache wird
bei Schülerinnen und Schülern mit anderem sprachlichen Hintergrund
der Eindruck vermittelt, dass ihre Muttersprache wertlos, ja sogar
störend sei“, so Bildungsexpertin Barbara Herzog-Punzenberger. Es
wird diesen Schülerinnen und Schülern in gewisser Weise auch Gewalt
angetan, weil man ihnen mit der Deutschpflicht einen Teil ihrer
Persönlichkeit verbietet und sie aufgrund ihrer Sprache diskriminiert
werden.
„Eine differenzierte Herangehensweise ist also erforderlich. Es gilt
Wege zu finden, auch die Mehrsprachigkeit zum Vorteil aller nutzen zu
können, denn Diversität bereichert, wenn sie richtig gelebt werden
kann. Wenn darüber hinaus Integration mittels verschiedenster
Maßnahmen bereits im Unterricht gelingt und als erstrebenswert
vermittelt wird, benötigt es für die Pausen eher keine Maßnahmen oder
Regelungen“, so die Kinder- und Jugendanwältin Schiffrer-Barac.
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